Donnerstag, 16. Januar 2020

Rezension zu Hennette/Piketty/Sacriste/Vauchez: Für ein anderes Europa

Hennette, Stéphanie / Piketty, Thomas / Sacriste, Guillaume / Vauchez, Antoine (2017), Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone, C.H.Beck.

Autorin: Lina Hielscher

Rezension

„Ist das Recht ein Kampfsport?“ Mit dieser Frage befasst sich das Buch „Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone“ von Thomas Piketty und Kollegen, das in seiner deutschen Übersetzung im Jahr 2017 erschienen ist. Die Autoren stellen Forderungen an die Europäische Union auf, wonach sich die Eurozone innerhalb der EU wandeln sollte, da die Machtstruktur innerhalb der Eurozone aus ihrer Sicht nicht länger transparent ist und zu viele Player mit eigenen Kompetenzen versuchen, Einfluss auf wichtige Entscheidungen zu nehmen.

Zur Verbesserung könnte ein Demokratievertrag beitragen, der im besten Fall von allen Euro-Ländern unterzeichnet und inhaltlich genutzt werden soll, um einzelnen bisher bestehenden Institutionen (z.B. EZB), die aus Sicht der Autoren zu viel Macht besitzen und kaum kontrolliert werden können, besser entgegentreten zu können. Dabei betonen die Autoren aber immer wieder, dass der von ihnen aufgestellte Demokratievertrag nicht dazu dienen soll, die Eurozone und dessen Institutionen zu unterwandern. Vielmehr sollen Kompetenzen besser verteilt und die Bürger der Eurozone stärker in den Prozess der Lösung von Problemen einbezogen werden.

Der letzte Punkt soll durch die unmittelbare Wahl von Abgeordneten in ein eigens zuständiges Parlament verwirklicht werden. Nur so könne die Demokratie innerhalb der Eurozone gestärkt und gleichzeitig dem zunehmenden Populismus Einhalt geboten werden. Konkret schlagen die Autoren vor, wie sich ein solches zusätzliches Parlament zusammensetzen könnte. Dabei ergeben sich zwei Varianten mit mindestens 130 und maximal 400 Abgeordneten, von denen je ein Viertel von Vertretern des Europäischen Parlaments und der Rest von Vertretern aus den nationalen Parlamenten gestellt werden würde.


Sie nehmen hierfür den prozentualen Bevölkerungsanteil, gemessen an der Gesamtbevölkerung der Eurozone, als Gradmesser der Entsendung von Abgeordneten. Demnach würden die vier Staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien bereits knapp drei Viertel der Abgeordneten stellen, da sie bevölkerungsmäßig die größten Länder innerhalb der Eurozone darstellen. Diese ungleiche Verteilung bietet im Falle der Einführung eines solchen Parlamentes möglicherweise Zündstoff auf Seiten der restlichen Euro-Länder, da diese sich durch weniger Abgeordnete nicht gleichberechtigt behandelt fühlen könnten und aus diesem Grund einem Demokratievertrag gar nicht erst zustimmen könnten.

Die Autoren schlagen weiterführend vor, dass der Demokratievertrag bereits als angenommen gelten könnte, wenn die ihn ratifizierenden Nationen zusammen einen Bevölkerungsanteil von 70% ausmachen. So würden allerdings für meinen Geschmack kleinere Staaten (z. B. Malta, Luxemburg, Zypern) hintergangen werden und diese müssten sich dem Willen der größeren Staaten ohne Chance auf Gegenwehr fügen, was alles andere als demokratisch sein würde.

Im letzten Abschnitt wird der Vertrag inhaltlich vorgestellt und dieser mit Kommentaren zu den einzelnen Artikeln erklärt. Die Kommentare sind beim Lesen der Artikelpunkte besonders hilfreich, sind die Vertragsinhalte doch für Laien nur schwer nachvollziehbar. Generell kann gesagt werden, dass sich das Buch an manchen Stellen eines anspruchsvollen Schreibstils bedient, der für den gewöhnlichen Bürger schwierig zu verstehen sein könnte. Oft werden juristische Urteile angeführt, die inhaltlich zwar relevant, aber für mich selbst eine gewisse Herausforderung darstellten.

Alles in allem sind die Überlegungen von Thomas Piketty und Kollegen in weiten Teilen nachvollziehbar und wünschenswert, da in der Eurozone aus meiner Sicht zu vieles hinter verschlossenen Türen verhandelt und beschlossen wird, ohne dass es echte und vor allem wirksame Kontrollinstanzen gibt. Allerdings erscheint es aktuell sehr fragwürdig, ob Institutionen wie die EZB bereit sind, ihrerseits Kompetenzen an ein neu geschaffenes Parlament zu übertragen und ob auch kleinere Staaten einen Demokratievertrag ratifizieren würden, der ihnen selbst nur ein geringfügiges Stimmrecht gewähren und andererseits wirtschaftlich höhergestellte Länder noch weiter bevorzugen könnte.

Für politisch interessierte Leser, die einen neuen Blick auf die Weiterentwicklung der Eurozone werfen möchten, ist das Buch absolut lohnenswert, allerdings sollten einzelne Passagen mehr als einmal gelesen werden, um die tatsächliche Intention der Autoren zu verstehen.

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