"Of course, a little bit of force is needed when doing push-backs."
Kolinda Grabar-Kitarović, ehemalige kroatische Präsidentin
Kroatien, ein Staat, der gemeinsam mit Slowenien am 25. Juni 1991 seine Unabhängigkeit vom jugoslawischen Bundesstaat erklärte und damit einer der Akteure der schwersten Kriege in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union, die vor allem als Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde.
Doch viele Stimmen äußern sich kritisch gegenüber dem Beitritt des Staates und sind der Meinung, dass Kroatien besonders im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext noch nicht bereit dazu wäre, Mitglied der Gemeinschaft zu sein.
Die Europäische Kommission sieht das allerdings anders und ist der Meinung, dass die kroatische Politik große Fortschritte macht. Sie äußert sich bereits zuversichtlich über den kommenden Beitritt in den Schengen-Raum, der Bürger*innen der EU die Freiheit gibt, ohne ein Visum in viele Länder der Welt reisen zu dürfen. Doch an den kroatischen Grenzen gibt es Berichten zufolge immer wieder Fälle von Gewalt und Rechtswidrigkeiten von Seiten der Polizei gegenüber Asylsuchenden. Die ehemalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović äußert sich in einem Interview mit dem oben aufgeführten Zitat zu den Menschenrechtsverletzungen.
Wenn die kroatische Wirtschaft betrachtet wird, können einige Problematiken beobachtet werden, vor denen kroatische Politiker*innen stehen, wie beispielsweise die Arbeitsmigration von kroatischen Jugendlichen aufgrund von Umständen wie niedrigen Löhnen.
Der folgende Beitrag soll auf diese und weitere Aspekte der kroatischen Politik näher eingehen und damit eine Bilanz nach 8 Jahren EU-Mitgliedschaft Kroatiens ziehen. Wie kam es zum Beitritt Kroatiens in die EU und welche Kriterien mussten erfüllt werden? Vor welchen Hindernissen steht der Staat und wie geht die Europäische Union mit diesen um? Diese Fragen sollen im Anschluss geklärt werden, bevor die Frage gestellt werden kann: Ist Kroatien überhaupt bereit für die Europäische Union?
EU-Beitritt
2003 ging das Beitrittsgesuch Kroatiens nach Brüssel und 10 Jahre später wurde das Land schließlich Mitglied der Europäischen Union. 2011 unterschrieb die Regierungschefin Jadranka Kosor den Beitrittsvertrag und legte damit den Grundstein für den 2013 in Kraft getretenen Beitritt des Landes in die Europäische Union. In diesem langen Prozess kam es zu einigen Hindernissen, die die Beitrittsverhandlungen herauszögerten und nach wie vor die Problematiken innerhalb des Landes widerspiegeln. (vgl. BPB 2013)
Die Bevölkerung Kroatiens wurde erst nach dem unterschriebenen Beitrittsvertrag zu der Thematik befragt. Dabei stimmten 67% für einen Beitritt in die Europäische Union. Die Wahlbeteiligung fiel allerdings sehr gering aus, was unter anderem daran liegen könnte, dass die Abstimmung nur sechs Wochen zuvor angekündigt wurde. (vgl. ebd)
Der 2011 unterschriebene Beitrittsvertrag war mit einigen Bedingungen verbunden, die bis zum letztendlichen Beitritt im Jahr 2013 erfüllt werden sollten. Hierbei ging es darum, grundlegende Defizite innerhalb des Landes zu beseitigen. Beispielsweise musste der Justizapparat gestärkt werden. Außerdem sollte stärker gegen Korruption vorgegangen sowie eine effizientere Verwaltung gewährleistet werden. Der letzte Punkt umfasst die Privatisierung der Staatsbetriebe. (vgl. ebd)
Im Großen und Ganzen möchte die Europäische Union durch die Eingliederung Kroatiens den Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie vorantreiben. Denn Kroatien war Teil des blockfreien, sozialistischen Jugoslawiens mit all den Folgewirkungen (vgl. Kušić 2013).
Kopenhagener Kriterien
Auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wurden im Jahr 1993 Kriterien aufgestellt, anhand derer geprüft wird, ob ein Land dazu bereit ist, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Zusammengefasst sind das folgende Faktoren:
- Die Gesamtlage innerhalb des Landes muss stabil sein. Das heißt, politische Institutionen, der Rechtsstaat und die Demokratie muss gesichert sein. Außerdem müssen Menschen- und Minderheitsrechte gewahrt werden. (vgl. Grosse-Hüttmann 2004, S. 7)
- Zudem muss eine funktionierende Marktwirtschaft vorhanden sein, die auf Wettbewerb und Privateigentum beruht. Dadurch sollen die Staaten in der Lage sein, dem Konkurrenzdruck im Binnenmarkt standhalten zu können. (vgl. ebd., S. 7)
- Der Aquis Communautaire, also alle Verträge der Europäischen Gemeinschaft sowie alle europäischen Gesetze, müssen in nationales Recht übernommen werden. Alle Pflichten und Regeln müssen von dem jeweiligen Staat akzeptiert und eingehalten werden. (vgl. ebd., S. 7 f.)
- Der Staat muss mit den weitreichenden Zielen der EU sowie der Währungs- und Wirtschaftsunion einverstanden sein, wie sie im Vertrag von Maastricht estgelegt wurden. Dadurch soll verhindert werden, dass neue Mitglieder einen anderen Weg einschlagen als die Europäische Union. (vgl. ebd., S. 8)
Da Kroatien nun seit 8 Jahren Mitglied der Europäischen Union ist, scheinen diese Kriterien aus Sicht der Institutionen der Europäischen Union erfüllt zu sein. Dennoch musste der Staat zunächst an einigen Stellen arbeiten, um dieses Ziel erreichen zu können.
Flüchtlingsrückkehr und Kriegsverbrecherprozesse
Eine wichtige Bedingung, die im Jahr 2005 gestellt wurde und ein großes Hindernis für den Beitritt darstellte, war der Umgang mit kroatischen Kriegsverbrechern, die in den Unabhängigkeitskriegen Verbrechen begangen haben und zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend sanktioniert wurden. Die Europäische Union forderte volle Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Vor allem ging es dabei um die Auslieferung von Ante Gotovina, der in der kroatischen Offensive Operation „Oluja“ Kriegsverbrechen begangen hat. (vgl. Kušić 2021)
Gerade wenn es um die Ahndung von Kriegsverbrechern sowie um die Flüchtlingspolitik geht, kann bisher nur ein eher mäßiger Erfolg verzeichnet werden. Die Problematik kann darauf zurückgeführt werden, dass die Staatswerdung Kroatiens mit kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgt ist, so dass sich nationalistische Strukturen innerhalb der Gesellschaft und der Politik verfestigt haben. (vgl. Richter 2009, S. 7) Trotz alledem gilt Kroatien als eines der stabilsten Länder auf dem Balkan, der sich derzeit innerhalb eines Prozesses der Wechselwirkung zwischen innenpolitischer Demokratisierung und Stabilisierung befindet. (vgl. Richter 2009, S. 19)
Die Premierminister Ivica Račan (2000-2003) und Ivo Sanader (2003-2009) haben versucht, die Wünsche der Europäischen Union im Bereich Flüchtlingsrückkehrer und Kriegsverbrechen umzusetzen. Dabei ging es hauptsächlich um Aspekte wie den Koalitionsfrieden, einen parteiübergreifenden Konsens zugunsten der Union, Stabilisierung und Konsolidierung. Der Preis waren allerdings Reformdefizite im Justizsektor, die die EU ebenfalls zuvor bemängelte.
Durch blockierte Anträge, nicht veröffentlichte Fristen oder nicht ausgeführte richterliche Anweisungen kam es schließlich zu Defiziten im Bereich der Rückkehrpolitik und Kriegsverbrechen. Diese Politik führte zwar zu mehr Stabilität und Kontinuität des innenpolitischen Reformprozesses, jedoch wurden die Kopenhagener Kriterien vernachlässigt, so dass sich Defizite im Justiz- und Verwaltungsprozess verfestigen konnten. (vgl. Richter 2009, S. 19)
Die von der Europäischen Union anerkannte Genfer Flüchtlingskonvention soll Flüchtlingen auf der ganzen Welt Schutz bieten. Doch oftmals sieht die Realität, auch innerhalb der EU anders aus. Vor allem an der kroatischen Grenze zu Bosnien und Herzegowina berichten Menschen davon, über die grüne Grenze zurückgeschickt zu werden. Ihnen zufolge haben sie keinen Zugang zu Asyl und erfahren oftmals exzessive Gewalt von Seiten der kroatischen Polizei. (vgl. Strippel 2021)
Dieses Phänomen wird auch Push-Back genannt und bedeutet, dass Menschen, die auf Asyl in Kroatien hoffen, wieder nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben werden, wo sie ebenfalls nicht empfangen werden. Diese Verfahren sollten im Normalfall zur Kenntnis genommen und geprüft werden, doch die kroatische Regierung dementiert das Vorgehen der Polizei. Es wird lediglich betont, dass die kroatischen Außengrenzen geschützt werden.
Dadurch, dass es keine Einigkeit über diese Vorfälle gibt, werden diese von der Europäischen Union nicht sanktioniert beziehungsweise zur Kenntnis genommen, obwohl es sich hierbei um die Verletzung von Menschenrechten und Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention handeln würde. (vgl. Strippel 2021) Einen interessanten Podcast zu dieser Thematik wurde vom Bayerischen Rundfunk veröffentlicht, dieser ist unter diesem Link zu finden.
Kroatien und der Schengenraum
Länder, die Teil des Schengen-Raums der EU sein wollen, müssen sich einer Vielzahl von Evaluierungen unterziehen, die prüfen, ob alle für den Schengen-Raum erforderlichen Vorschriften erfüllt worden sind. Die Evaluierungen bewerten, ob das jeweilige Land in der Lage ist, Verantwortung für die Außengrenzen im Namen der anderen Mitglieder des Raumes zu übernehmen. (vgl. Europäische Kommission 2019)
2016 wurde der Schengen-Evaluierungsprozess eingeleitet, der bewerten soll, ob Kroatien die Schengen-Vorschriften und Normen erfüllt. Die Europäische Kommission ist dabei der Auffassung, dass Kroatien Fortschritte bei der Erfüllung der Voraussetzungen gemacht hat, weiterhin aber an deren Erfüllung, insbesondere am Management der Außengrenzen, arbeiten muss. (vgl. ebd.) Der Kommissar Dimitris Avramopoulos, welcher für Migration, Bürgerschaft und Inneres zuständig ist, äußert sich im folgenden Zitat über den voraussichtlichen Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum:
„Schengen ist eine der größten und greifbarsten Errungenschaften der europäischen Integration. Seine Stärke hängt jedoch von seiner Aufnahmebereitschaft ab. Kroatien hat nun die Maßnahmen zur Erfüllung der notwendigen Bedingungen ergriffen, und wir müssen dies anerkennen. Als vollwertiges Schengen-Mitglied wird das Land zu einer weiteren Stärkung des Schengen-Raums beitragen und dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen besser geschützt werden.“ (Dimitris Avramopoulos, Europäische Kommission 2019)
Das gesamte Statement der Europäischen Kommission zu dieser Thematik wurde auf deren Internetseite veröffentlicht.
Wirtschaftliche Maßnahmen im EU-Kontext
Nach Weidenfeld und Wessels (2002) hat die Europäische Union zusammengefasst drei grundlegende Ziele, wenn es um die Struktur ihrer Mitgliedstaaten und vor allem um Regionen mit Entwicklungsrückstand geht. Zum einen sollen diese Regionen und Länder besonders gefördert werden. Nach Auffassung der Europäischen Union besteht dann ein Rückstand, wenn sich das BIP je Bürger*in auf weniger als 75% des EU-Durchschnitts beläuft. Dieses Ziel gilt als Priorität, weshalb mehr als zwei Drittel der Strukturfonds zur Beseitigung dieser Rückstände verwendet werden. (vgl. Weidenfeld/Wessels 2002)
Als zweites Ziel gilt die soziale und wirtschaftliche Umstellung von Gebieten, deren Entwicklungsniveau über dem Durchschnitt liegt. Dennoch weisen diese Gebiete Strukturprobleme, wie beispielsweise Deindustrialisierung, eine hohe Arbeitslosenquote, Bevölkerungsrückgang oder Krisensituationen auf, die mit Hilfe der Mittel der Europäischen Union aufgefangen werden sollen. Das dritte Ziel ist die Anpassung und Modernisierung von Ländern und Regionen. (vgl. ebd.)
Das EU-Förderprogramm für den Staat Kroatien beinhaltet 10,74 Milliarden Euro und soll die kroatische Wirtschaft unterstützen. Dabei gehen 40% in Fonds für regionale Entwicklung, 24% in Kohäsionsfonds, 19% in Landwirtschaftsfonds, 14% in Sozialfonds und der Rest in Meeres- und Fischereifonds sowie in eine Jugendbeschäftigungsinitiative. (vgl. Holzner/Vidovic 2018, S. 10)
Ziel der Unterstützung ist es vor allem, die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens voranzutreiben, die Armut innerhalb der Gesellschaft zu bekämpfen und den Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Inanspruchnahme ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern allerdings gering, nimmt aber immer weiter zu. Das langsame Vorgehen könnte damit zusammenhängen, dass die Entwicklungsfähigkeit des Landes derzeit noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass die Fonds angemessen verwaltet werden können. (vgl. ebd., S. 25)
Ein wichtiges Infrastrukturprojekt, das sich derzeit in Baumaßnahmen befindet und von der kroatischen Regierung mithilfe der EU-Fonds gestartet wurde, ist der Bau der Pelješac-Brücke, welche das Festland mit der vorgelagerten Halbinsel verbinden soll. 357 Millionen von 550 Millionen Kosten werden von der EU getragen. Allerdings erhielt der chinesische Staatskonzern Communications Construction Company den Zuschlag für den Bau, was vielerorts für Erstaunen sorgte. (vgl. Mihm 2021)
Weitere Ziele, die die EU-Mitgliedschaft mit sich bringen soll, sind die Ansiedlung einer EU-Einrichtung, die Einführung der goldenen Investitionsregel sowie vor allem der Eintritt in den Schengenraum. (vgl. Holzner, Vidovic 2018)
Einfluss des Brexit
Das Vereinigte Königreich selbst führte den Euro als Währung nicht ein und trotzdem hat der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einen großen Einfluss auf die Währungsintegration und somit auch auf die Währungspolitik Kroatiens und das Verhältnis zur Europäischen Union.
Bei den acht Mitgliedsstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, den so genannten „Euro-Outs“, kann zunehmend die Befürchtung beobachtet werden, dass ihr Einfluss auf den Willensbildungsprozess innerhalb der Union verringert wird. Als Folge dieser Sorge hat sich eine Art Koalition von Staaten entwickelt, die die Interessen einiger Mitglieder vereint. Der Brexit kann also als Auslöser für eine neue Dynamik und Treiber für die Ausdehnung der Eurozone gesehen werden. (vgl. Tokarski; Funk 2018, S. 1)
Kroatien gehört zu der Gruppe der „Euro-Outs“. Sie sind eine heterogene Gruppe von Staaten, die verschiedenen Wirtschaftsmodellen folgen und sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung befinden. Rumänien und Kroatien sind darunter die Staaten, die ein Wechselkursregime mit kontrolliertem, variablem Wechselkurs unterhalten. Die Problematik hinsichtlich der ungleichen ökonomischen Bedingungen ist, dass diese die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten erschweren. Allerdings gilt Kroatien als Spezialfall, denn auch wenn der Euro als Währung noch nicht eingeführt wurde, ist die Wirtschaft weitgehend „euroisiert“, da 67% der Verbindlichkeiten und 75% der Anlagen auf dem Euro basieren. (vgl. ebd., S. 1 f.) Die Einführung der europäischen Währung ist also nur eine Frage der Zeit und eine Frage des politischen Fortschritts.
Arbeitsmarkt
Aufgrund der Überbewertung des realen Wechselkurses befand sich die Wirtschaft Kroatiens zwischen 2009 und 2014 in einer tiefen Rezession, was dazu führte, dass die Beschäftigungszahlen sanken und das BIP um fast 13% einbrach. Seit dieser Zeit sinken die Zahlen der Arbeitslosen, somit erreichte die Arbeitslosenquote innerhalb des Landes im Mai 2017 den niedrigsten Wert mit 11,7%. (vgl. Holzner, Vidovic 2018, S. 2 f.)
Bis heute ist der kroatische Arbeitsmarkt gekennzeichnet durch geringe Erwerbstätigkeit und niedrige Beschäftigung, was ein massives Problem darstellt. Die Beschäftigtenrate ist niedriger als der EU-Durchschnitt. Neben Italien und Rumänien hat Kroatien den höchsten Anteil an inaktiven Bürger*innen innerhalb der Europäischen Union. (vgl. ebd., S. 4 f.)
Besonders Jugendliche und Kroat*innen mit primären Ausbildungen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Personen mit Sekundärbildung können die geringste Arbeitslosigkeit aufweisen. Trotzdem wird oft der Mangel an Arbeitskräften vor allem in touristischen Gebieten bemängelt. (vgl. ebd., S. 5 f.)
Zur Lösung dieser Problematik fordern Gewerkschaften höhere Löhne für Arbeiter*innen. Einige Vertreter*innen von Unternehmen fordern allerdings die Erhöhung der Quoten für Arbeitsplätze aus dem Ausland. (vgl. ebd., S. 6)
Arbeitsmigration
Bereits seit den 60er Jahren, in denen viele Gastarbeiter*innen vom Balkan in Länder wie Deutschland und Österreich immigrierten, um ihre Familien zu ernähren, spielt die Thematik Arbeitsmigration in Kroatien eine wichtige Rolle. Bis heute nutzen viele Kroat*innen die besseren Arbeitsumstände und Löhne in Ländern wie Deutschland, um ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen zu können.
Seit dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union sind die Zahlen der Migrant*innen aus Kroatien um 38% gestiegen. Insbesondere war hierfür die Öffnung des kroatischen Arbeitsmarktes verantwortlich, der es kroatischen Staatsbürger*innen ermöglichte, in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Mehrheit der Kroat*innen ist im Alter zwischen 25 und 54 Jahren und findet Beschäftigung in der Industrie sowie in der Bauwirtschaft. (vgl. Holzer, Vidovic 2018)
Aufgrund von Faktoren wie der unterdurchschnittlichen Entlohnung hat Kroatien der Auswanderung dieser Bürger*innen wenig entgegenzusetzen. Dem Regierungsprogram 2016-2020 ist lediglich ein vages Statement zu der Auswanderung kroatischer Jugendliche und junger Erwachsenen zu entnehmen. Das Ziel ist es, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch junge Leute dazu zu bewegen, in Kroatien zu bleiben. (vgl. ebd., S. 9)
Euroskeptizismus
Seit einiger Zeit befindet sich die gesamte Europäische Union in einer Krise, die mehrere Teilkrisen umfasst und deshalb auch Polykrise genannt wird. Dazu zählt unter anderem auch der Euroskeptizismus, der in allen Mitgliedsländern zunehmend wahrzunehmen ist. Dieser kann mit einzelnen Politiken oder dem Erhalt von Souveränitätsrechten begründet werden. (vgl. Weiss, S. 14)
Auch wenn der Euroskeptizismus mittlerweile weit verbreitet ist, gibt es zwischen den Mitgliedsstaaten Unterschiede in der Ausprägung. Besonders neue Mitgliedstaaten, wie auch Kroatien, empfinden die Thematik des Kompetenz- und Souveränitätstransfers an die Europäische Union problematisch. Dieser Machtverlust wird als sensibel, historisch abrufbar aber auch politisch instrumentalisierbar wahrgenommen. (vgl. ebd., S. 14)
Legitimitäskrise
Die Europäische Union leidet also derzeit unter einem Stimmungstief, das mehrere Ursachen hat. Vor allem aber hagelt es immer mehr Kritik zum Thema Demokratiedefizit, Handlungsunfähigkeit und mangelnder Bürgernähe. Viele Bürger*innen begegnen der EU misstrauisch, da sie für sie sehr intransparent und wenig demokratisch erscheint. (vgl. Höreth 2004, S. 41)
Aufgrund dessen machte es sich die EU bereits im Jahr 2002 zum Ziel, verfassungsmäßige und institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, die demokratische Grundsätze innerhalb der erweiterten EU sowie die Steuerungsfähigkeit nach innen und die Handlungsfähigkeit nach außen ermöglichen sollen. Dieses ambitionierte Ziel konnte allerdings bislang nicht erreicht werden, da einzelne Mitgliedsstaaten auf die Gewichtung ihrer Stimmen im Ministerrat nicht verzichten wollten. (vgl. ebd., S. 41) Nach Höreth (2004) basiert das Demokratiedefizit nicht nur auf technische Probleme des Politikmanagements, sondern auf grundlegende Legitimitätsprobleme, die die Anerkennungswürdigkeit der EU in Frage stellen.
Fazit
Wie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat Kroatien mit den Hindernissen der Polykrise zu kämpfen. Doch die Gesamtsituation des Staates zeigt, dass das Land sich vor allem mit Themen wie dem Umgang mit Flüchtlingen im Rückstand befindet, was damit zusammenhängen könnte, dass sich politische, soziale und ideologische Strukturen, die sich im Laufe der Geschichte, aber vor allem während der Unabhängigkeitskriege gebildet haben, verfestigt haben.
Die geringe Wahlbeteiligung und die 67%ige Zustimmung zum Beitritt in die Europäische Union lässt relativ offen, wie die kroatische Gesellschaft zu der Europäischen Union steht. Zunächst konnte allerdings das Gefühl geweckt werden, dass eine gewisse EU-Euphorie in der Gesellschaft Kroatien zu beobachten war. Nun aber äußern sich, wie in der gesamten Europäischen Union erkennbar, immer mehr Menschen skeptisch gegenüber der EU. Es erscheint immer noch so, als ob die Gesellschaft den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union nur schwer folgen kann und sie sich damit unsicher fühlen.
Die kroatische Regierung hat einige Maßnahmen getroffen, um den EU-Beitritt des Staates zu ermöglichen. Trotzdem gibt es Kritiker*innen, die der Meinung sind, die EU habe es Kroatien zu einfach gemacht. Nach ihr wurden die Kopenhagener Kriterien erfüllt, sonst hätte das Land nicht zu einem offiziellen Mitglied der Europäischen Union werden können.
Doch ein genauerer Blick in die Strukturen des Staates und vor allem auf die Grenze zu Bosnien und Herzegowina zeigen: das Land muss weiterhin an sich arbeiten, um den Kriterien gerecht werden zu können. Die Europäische Union darf die Augen nicht verschließen, wie es derzeit getan wird, indem zuversichtlich über den Beitritt in den Schengen-Raum diskutiert wird. Als Friedensgemeinschaft ist die Aufgabe der Europäischen Union, Menschenrechte zu wahren und dort genauer hinzuschauen, wo diese verletzt werden. Allerdings setzt der Beitritt Kroatiens in die Europäische Union gleichzeitig auch ein wichtiges Zeichen und bringt den Staat, als einer der stabilsten Länder auf dem Balkan, dazu, aktiv zu werden und als Vorbild für den restlichen Balkan zu fungieren.
Auch wenn der Beitritt kritisch hinterfragt werden kann, sollte also gesagt werden, dass der Staat durchaus Schritte macht, die ohne die Europäische Union wahrscheinlich nicht stattgefunden hätten. Kroatien profitiert sowohl wirtschaftlich, als auch gesellschaftlich von den Vorteilen der EU. Allerdings verlangsamen Defizite innerhalb der Politik, wie beispielsweise lange Verwaltungsverfahren die Fortschritte, so dass die Europäische Union zum einen Geduld zeigen, aber zum anderen die Problematiken innerhalb des Landes nicht ignorieren sollte.
Literaturverzeichnis
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- Mihm, Andreas (2021): Chinesen bauen Brücke in Kroatien, die EU zahlt. Hg. v. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kroatien-china-baut-peljesac-bruecke-und-die-eu-zahlt-17461739.html, zuletzt geprüft am 30.09.2021.
- Richter, Solveig (2009): Zielkonflikte der EU-Erweiterungspolitik? Kroatien und Makedonien zwischen Stabilität und Demokratie. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.
- Schrooten, Mechthild (2004): Ökonomische Perspektiven der EU-Osterweiterung. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 17–20.
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- Tokarski, P.; Funk, S. (2018): Die Nicht-Euro-Staaten in der EU nach dem Brexit. In: SWP-Aktuell (68), S. 1–8.
- Weidenfeld, W.; Wessels, W. (2002): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003. Bonn: Europa Union Verlag.
- Weiss, S. (2004): Die Erweiterung aus der Sicht der Beitrittskandidaten. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 11–17.
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