Bei der EU verhält es sich ganz ähnlich. Die Politik kennt die beiden grundlegenden Kategorien „Internationale Organisationen“ und „nationale politische Systeme“ (oder einfach „Staaten“). Wie das Schnabeltier umfasst die EU Elemente BEIDER Kategorien und sprengt dadurch das Kategoriensystem. Sie ist also zum einen eine Internationale Organisation – sie besteht ja aus Staaten – UND sie ist gleichzeitig in vielerlei Hinsicht wie ein nationales politisches System. So verfügt die EU etwa über ein direkt gewähltes Parlament und ein Rechtssystem, das es in dieser Form im Bereich der internationalen Politik sonst nirgends gibt. Wie die Zoologen haben auch die Politikwissenschaftler versucht, das Problem mit ihrem Kategoriensystem zu kaschieren. Sie nennen die EU deshalb ein „Gebilde sui generis“. Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet das: Gebilde eigener Art. Es ist eine Verlegenheitsbezeichnung, die eigentlich nichts aussagt.
Aus dieser eigenartigen Zwitterstellung zwischen den grundlegenden Kategorien resultieren viele der Probleme, die wir bei der Beschäftigung mit der EU haben. Wir haben kein Modell im Kopf, das uns einzuordnen hilft, was wir in der Zeitung oder im Web über die EU lesen. So kann es auch passieren, dass wir gar keine Lust mehr haben, einen Artikel zur EU überhaupt erst zu lesen. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Menschen in Europa nur unzureichend über europäische Politik Bescheid wissen, obwohl die EU mittlerweile überragende Bedeutung besitzt. Hinzu kommt, dass leider nach wie vor unzählige Legenden, Mythen und Vorurteile über die EU verbreitet werden und sie für vieles als Sündenbock herhalten muss.
Schaubild: Ragnar Müller |