Dienstag, 21. Januar 2020

Rezension zu Cohn-Bendit/Verhofstadt: Für Europa!

Cohn-Bendit, Daniel / Verhofstadt, Guy (2012), Für Europa! Ein Manifest, Carl Hanser Verlag.

Rezension

Autor: Hakki Devrim Celen

Der ehemalige Vorsitzende der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament Daniel Cohn-Bendit und der frühere belgische Premierminister Guy Verhofstadt, welcher bis 2019 die liberale Fraktion ALDE im Europäischen Parlament leitete, verdeutlichen mit ihrem “Manifest“, weshalb Europa vom nationalen Denken wegkommen muss, um in der Welt von morgen noch eine Rolle zu spielen.

Das “Manifest“ der Autoren besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist in vier Kapitel unterteilt, die aus mehreren Teilabschnitten bestehen, welche wiederum jeweils durch eine Aufforderung an den Leser eingeleitet werden, wie z.B.:
„DEMASKIERE DAS WAHRE GESICHT DER EUROKRISE.“ (S. 22)
„DURCHSCHAUE DIE FALSCHE RHETORIK DER FEINDE EUROPAS.“ (S. 38)
Der zweite Teil besteht aus einem Interview zwischen den beiden Autoren und Jean Quatremer, der das preisgekrönte Blog “Coulisses de Bruxelles“ betreibt. Im Wesentlichen werden im Interview nur noch mal die einzelnen Aussagen aus den vorangegangenen Kapiteln in Form eines Gesprächs wiedergegeben.

Die Kernaussage des Buches ist, dass sich die Europäische Union weg vom “Europa der Nationalstaaten“ zu einem echten “föderalen Europa“ entwickeln muss. Diese Aussage taucht zum Teil in identischen, zum Teil in wechselnden Worten wie eine Art Dauerschleife im gesamten Werk auf. Nach Cohn-Bendit und Verhofstadt wird Europa in der Welt von morgen nur dann eine Rolle spielen, wenn die Nationalstaaten der Europäischen Union sich dazu bereit erklären, mehr Macht an ein föderales Europa zu übertragen. Andernfalls werden die Länder der Europäischen Union in der globalisierten Welt von morgen neben Mächten wie USA, Russland, China, Indien, Brasilien usw. untergehen und kein Mitspracherecht mehr besitzen.

Rezension zu Evelyn Roll: Wir sind Europa!

Roll, Evelyn (2016), Wir sind Europa! Eine Streitschrift gegen den Nationalismus, Ullstein Verlag, Berlin.

Rezension

Autorin: Verena Schmiederer

Das Buch „Wir sind Europa“ von Evelyn Roll erschien 2016 im Ullstein Verlag mit dem Untertitel „Eine Streitschrift gegen den Nationalismus“. Hierin ruft die Autorin zum Aufstand gegen den verbreiteten antieuropäischen Populismus auf. Ihr leidenschaftliches Plädoyer für die Rettung Europas endet mit dem Appell, sich für die Werte eines gemeinsamen Europas zu engagieren.

Am Anfang ihres Buches steht jedoch zuerst die nüchterne Analyse über den Zustand Europas im Jahr 2016. Die Autorin beginnt ihr Buch, analog dem kommunistischen Manifest, mit dem dramatischen Satz: „Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Nationalismus“ (S. 7). Sie äußert sich besorgt darüber, dass der „völkische Nationalismus“ ein EU-Land nach dem anderen wie eine „ansteckende Krankheit“ befällt, ohne auf wirksame Abwehrkräfte zu stoßen (S. 7). Polen, Ungarn, Slowenien und Tschechien sind bereits betroffen, Frankreich ist in großer Gefahr.

Die rechtspopulistischen Parteien verbreiten ihre Verschwörungstheorien, Abschottungsfantasien und falschen Behauptungen, bieten Scheinlösungen, wobei sie aber nur ihre eigene Karriere, ihren eigenen Machtanspruch im Blick haben. Diese Rechtspopulisten beklagen den Souveränitätsverlust ihrer Länder durch die EU, definieren ihre Nation als Volksgemeinschaft, womit jeder Fremde zum „identitätsstärkenden Feind“ (S. 10) wird. Somit verleugnen sie aufklärerisches Gedankengut, agieren rassistisch und europafeindlich.

Donnerstag, 16. Januar 2020

Rezension zu Hennette/Piketty/Sacriste/Vauchez: Für ein anderes Europa

Hennette, Stéphanie / Piketty, Thomas / Sacriste, Guillaume / Vauchez, Antoine (2017), Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone, C.H.Beck.

Autorin: Lina Hielscher

Rezension

„Ist das Recht ein Kampfsport?“ Mit dieser Frage befasst sich das Buch „Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone“ von Thomas Piketty und Kollegen, das in seiner deutschen Übersetzung im Jahr 2017 erschienen ist. Die Autoren stellen Forderungen an die Europäische Union auf, wonach sich die Eurozone innerhalb der EU wandeln sollte, da die Machtstruktur innerhalb der Eurozone aus ihrer Sicht nicht länger transparent ist und zu viele Player mit eigenen Kompetenzen versuchen, Einfluss auf wichtige Entscheidungen zu nehmen.

Zur Verbesserung könnte ein Demokratievertrag beitragen, der im besten Fall von allen Euro-Ländern unterzeichnet und inhaltlich genutzt werden soll, um einzelnen bisher bestehenden Institutionen (z.B. EZB), die aus Sicht der Autoren zu viel Macht besitzen und kaum kontrolliert werden können, besser entgegentreten zu können. Dabei betonen die Autoren aber immer wieder, dass der von ihnen aufgestellte Demokratievertrag nicht dazu dienen soll, die Eurozone und dessen Institutionen zu unterwandern. Vielmehr sollen Kompetenzen besser verteilt und die Bürger der Eurozone stärker in den Prozess der Lösung von Problemen einbezogen werden.

Der letzte Punkt soll durch die unmittelbare Wahl von Abgeordneten in ein eigens zuständiges Parlament verwirklicht werden. Nur so könne die Demokratie innerhalb der Eurozone gestärkt und gleichzeitig dem zunehmenden Populismus Einhalt geboten werden. Konkret schlagen die Autoren vor, wie sich ein solches zusätzliches Parlament zusammensetzen könnte. Dabei ergeben sich zwei Varianten mit mindestens 130 und maximal 400 Abgeordneten, von denen je ein Viertel von Vertretern des Europäischen Parlaments und der Rest von Vertretern aus den nationalen Parlamenten gestellt werden würde.

Montag, 13. Januar 2020

Rezension zu Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss!

Guérot, Ulrike (2016), Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie. Dietz Verlag.

Rezension

Autor: Christoph Gauß

In ihrem Buch „Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie“ lädt Ulrike Guérot, deutsche Politikwissenschaftlerin und Publizistin, Gründerin des European Democracy Lab und Professorin an der Donau-Universität Krems für Europapolitik und Demokratieforschung, dazu ein, Europa fundamental neu zu denken. Sie stellt anhand dieses Buches ein utopisches Experiment vor, aus welchem wir europäische Bürger gemeinsam eine Realität gestalten könnten.

Grundidee und Aufbau des Buches
„Vor 500 Jahren veröffentlichte Thomas More seine Beschreibung von Utopia, die Geschichte einer mittelenglischen Stadt, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit herrschten. Utopia wurde zum Inbegriff einer fiktiven Gesellschaftsordnung und zum Antrieb vieler sozialer Erfindungen sowie der gemeinsamen Ausgestaltung einer wünschenswerten Zukunft. So eine Utopie braucht Europa heute, denn die EU ist kaputt. Europa indes bleibt eine Aufgabe. In dieser Dialektik liegt die Chance für ein anderes Europa.“ (S. 13)
Mit diesen Zeilen beginnt Guérot ihr Buch und nennt direkt wichtige Punkte, welche für das Verständnis der folgenden rund 300 Seiten nötig sind. Momentan erleben wir das Ende des nationalstaatlichen Konzepts der Vereinigten Staaten von Europa, haben aber – eventuell mit Hilfe dieses erarbeiteten utopischen Experiments - die Chance, Europa als Republik neu zu organisieren. Den Begriff „Utopie“ verknüpft Sie mit den Begriffen der Fiktion, des Antriebes und der gemeinsamen Ausgestaltung.

Damit ist von Beginn an deutlich, dass sich die Darstellungen des Buches nur auf abstrakte gedankliche Skizzen beschränken und jeden europäischen Bürger dazu einladen sollen, diesen erdachten konzeptionellen Rahmen gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Utopie selbst, die Guérot sogar zum Menschenrecht erhebt, ist nicht starr, sondern zeichnet sich durch sich stetig entwickelndes Fortdenken aus. Ohne Utopie sei gesellschaftliche Fortentwicklung nicht denkbar. Und diese angestrebte gesellschaftliche Entwicklung kann, wie jede Innovation, nur durch ein verknüpftes Miteinander von Vielen geschehen.

Die europäischen Bürger dürfen sich nicht mehr darauf verlassen, dass das durch Krisen geschwächte Europa von unseren Politikern in einem falschen institutionellen System gerettet wird. Da die Grundidee hinter diesem utopischen Experiment für das Verständnis des Buches so bedeutend ist, weist Guérot auf den ersten Seitens mehrmals darauf hin:
„Vielmehr soll der Gegenstand, um den es sich hier handelt, nämlich die Idee von Europa als Grenzenlosigkeit, in seiner Vielfalt erfasst werden. Es geht um ein kleinteiliges und arbeitsteiliges europäisches Modell, das für die Vielen anschlussfähig ist – nicht um einen geschichtlichen oder institutionellen Großentwurf der Wenigen.“ (S. 15)
Wer sind nun aber diese Vielen? Warum ist die EU kaputt? Warum Europäische Republik? Und wie sieht diese Europäische Republik aus? Um diese Fragen wird es nun gehen.

Freitag, 10. Januar 2020

Rezension zu Heribert Prantl: Trotz alledem!

Prantl, Heribert (2016), Trotz alledem! Europa muss man einfach lieben, Suhrkamp Verlag.

Rezension

Autor: Kai Pawlowski

In dem Buch „Trotz alledem! Europa muss man einfach lieben“ spricht sich der Journalist, Jurist und Autor Heribert Prantl für die Europäische Union aus, die er als eine der größten Errungenschaften in der Weltgeschichte ansieht. Obwohl im Buch vor allem die Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten und Herausforderungen der Europäischen Union betont werden, zeigt Prantl auf, dass es ohne die Europäische Union nicht geht.

Er möchte die Chancen und Möglichkeiten der Europäischen Union aufzeigen und plädiert für ein neues, demokratisches, soziales und bürgernahes Europa, das nicht von Macht und Eigennutz geprägt ist. Prantls Buch ist ein Mutmacher für die Befürworter der Europäischen Union und zeigt, dass Europa durchaus gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen kann. Das Buch hat insgesamt 93 Seiten. Es ist nicht in Kapitel unterteilt. Allerdings gibt es immer wieder Absätze, die einen Themenwechsel signalisieren. Prantl beginnt mit einem Zitat von Ferdinand Freiligrath aus dem Jahr 1848:

„Das ist der Wind der Reaktion,
Mit Meltau, Reif und alledem!
[…]
Doch sind wir frisch und wohlgemut,
Und zagen nicht trotz alledem!
In tiefer Brust des Zornes Glut,
Die hält uns warm trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es gilt uns gleich trotz alledem!
Wir schütteln uns: Ein garst’ger Wind,
Doch weiter nichts trotz alledem!“ (S. 7)

Dieses Zitat beschreibt meiner Meinung nach sehr gut, was Prantl den Lesern vermitteln möchte: Ja, Europa steckt aktuell in der Krise. In vielen Ländern Europas brandet der Nationalismus wieder auf. Großbritannien verlässt die Europäische Union und auch in anderen Ländern gibt es großes „antieuropäisches Potenzial“ (S. 11), wie Prantl es nennt. In Deutschland ist zum Beispiel die EU-feindliche Partei AfD im Aufschwung. Prantl nennt weitere Länder, wie zum Beispiel Ungarn, Italien, Polen oder die Niederlande, in denen „Anti-Europäer“ (S. 11) ebenfalls viel Zustimmung erhalten. Doch:
„Trotz alledem! Dieses Europa ist das Beste, was den Deutschen, den Franzosen […] in ihrer langen Geschichte passiert ist“ (S. 12f).
Dank der Europäischen Union herrscht Frieden und dieser Frieden steht ohne Europäische Union in Zukunft auf dem Spiel. Wir sehen diesen Frieden inzwischen als selbstverständlich an. Wenn man in den Nahen Osten schaut, sieht man aber, dass von Selbstverständlichkeit nicht die Rede sein kann. Im Zitat von Ferdinand Freiligrath heißt es: „Wir schütteln uns“. Prantl zeigt dem Leser, dass es aktuell viele Probleme in Europa gibt, aber er zeigt eben auch, dass man diese Probleme abschütteln kann und es „trotz alledem“ ohne die Europäische Union kein zukunftsfähiges Europa geben kann.

Freitag, 3. Januar 2020

Rezension zu Roman Herzog: Europa neu erfinden

Herzog, Roman (2014), Europa neu erfinden. Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie, Siedler Verlag

Rezension

Autorin: Dennis Nourê

In seinem Buch „Europa neu erfinden“ durchleuchtet der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Bundespräsident Roman Herzog die Strukturen der Europäischen Union und hinterfragt diese kritisch. Auf den insgesamt 150 Seiten thematisiert er unter anderem den Vertrauensverlust zwischen den Bürgern der Mitgliedstaaten und den Amtsträgern der EU. Er spricht die Probleme klar an und versucht, Lösungsansätze zu liefern.

Das „Demokratie-Defizit“ der EU

Herzog sieht in der EU ein „Demokratie-Defizit“. Da jeder Mitgliedstaat eine Demokratie ist, diese Demokratien sich jedoch erheblich unterscheiden, stellt sich für ihn die Frage, wie sich daraus ein gemeinschaftliches Demokratieverständnis entwickeln lässt, an das zumindest Führungsorgane der EU gebunden wären.

Dabei sieht er unter anderem die fehlende "Nation" im Fall der EU als ein Problem. Mit dem Leitsatz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, der in jeder Verfassung der Mitgliedstaaten verankert ist, überlegt Herzog, was überhaupt ein Staatsvolk ist, mit der Erkenntnis, dass es sich um einen Zusammenschluss aus entscheidungs- und handlungsbereiten Bürgern handelt. Dieses Volk bildet die Nation, die für jeden demokratischen Staat vonnöten ist. Die EU hat keine "Nation", da diese sich durch gemeinsame Kultur, Sprache und Geschichte auszeichnet.

Donnerstag, 2. Januar 2020

Rezension zu Martin Schulz: Der gefesselte Riese

Schulz, Martin (2013), Der gefesselte Riese – Europas letzte Chance, Rowohlt. 

Rezension 

Autorin: Mareike Gebauer

Martin Schulz, von 1994 bis 2017 Europaparlamentarier, verfasste dieses Buch nach einjähriger Amtszeit als Präsident des Europäischen Parlaments. Gleich in seinem Anfangssatz beschreibt er das Scheitern der Europäischen Union als realistisches Szenario. Er möchte zur Verbesserung Europas einladen und sieht sein Buch als Skizze, wie diese Verbesserung aussehen könnte.
„Auch ich bin unzufrieden und zornig über den Zustand, in dem sich die europäischen Institutionen befinden, und will deshalb nicht die EU verteidigen, wie sie momentan aussieht, sondern vielmehr beschreiben, wie sie aussehen könnte, wenn wir sie verändern und verbessern.“ (S. 7)
Das Erscheinungsbild Europas vergleicht er mit dem Scheinriesen Tur Tur aus dem Buch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ von Michael Ende. Dieser stellt die Gesetze der Physik auf den Kopf, denn er wird bei größerer Entfernung nicht optisch kleiner, sondern immer größer. Aus weiter Distanz erscheint er wie ein gewaltiger Riese. Schulz beschreibt, dass er oft an diese Geschichte denken muss, wenn er außerhalb Europas unterwegs ist.
"[...] je weiter man sich von Europa entfernt, umso größer ist die Faszination, die von der EU ausgeht: Frieden, Freiheit, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit sind Begriffe, die mit Europa verbunden werden. Das „Modell Europa“ steht für viele Beobachter auf anderen Kontinenten für eine freie Presse, unabhängige Gerichte, eine Kranken- und Rentenversorgung für jedermann und Aufstiegschancen auch für Benachteiligte.“ (S. 8)
Von nahem jedoch erkennt man, dass der Riese Tur Tur recht klein, alt, schäbig und heruntergekommen ist. Auch hier zieht Schulz einen Vergleich mit Europa und begründet diesen mit sinkenden Zustimmungswerten in allen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft. Bereits seit mehreren Jahren steht die Krise Europas im Fokus der Medien und erzeugt Verunsicherung sowie Angst. Die Wut über die verfehlte Politik in der EU wandelt sich zunehmend in Wut gegen die EU als Institution und gefährdet dadurch das „europäische Gesellschaftsmodell“. Um dies zu verhindern muss Europa weiter zusammenwachsen. Schulz nennt hierzu folgende zentrale Aspekte:
  • Es gibt eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik
  • Reform der europäischen Gemeinschaft: echte europäische Regierung, die parlamentarisch gewählt und kontrolliert wird
  • Erneuerung der europäischen Institution und neue Lösungsansätze, um Jobs und soziale Sicherheit zu gewährleisten.