In diesem Beitrag stellt Luca Blaszczyk den Abschnitt zur Norderweiterung (1973) aus folgendem Buch vor:
Clemens, Gabriele / Reinfeldt, Alexander / Wille, Gerhard (2008): Geschichte der europäischen Integration. Ein Lehrbuch, Schöningh, utb, S. 183-190.
Die erste Erweiterung
Am 1. Januar 1973 kam es zur ersten Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften (EG) durch den Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks. Im Vorfeld kam es zu intensiven Verhandlungen zwischen den Staaten. Auch Norwegen hatte über einen Beitritt mitverhandelt, jedoch sprach sich die norwegische Bevölkerung nach den Beitrittsverhandlungen in einem Referendum gegen einen Beitritt aus (vgl. S. 183).
Auf dem Weg zu Beitrittsverhandlungen
Auf der Gipfelkonferenz in Den Haag im Dezember 1969 wurden die Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen festgelegt. Nach diesen Beschlüssen wurden Verhandlungen mit den beitrittswilligen Ländern aufgenommen. Die Voraussetzungen waren, dass die Beitrittsaspiranten das geltende Gemeinschaftsrecht im gesamten akzeptieren müssen (zeitlich begrenzte Ausnahmeregelungen waren jedoch möglich), die durch den Beitritt eines Landes aufgeworfenen Fragen und Probleme vor dem Beitrittsvollzug geregelt werden sollten und dass eine Fortentwicklung der Gemeinschaft während der Verhandlungen ungehindert möglich sein müsse. Um nicht den gleichen Fehler wie beim ersten britischen Beitrittsgesuch zu machen, legten die Mitgliedstaaten auf Verlangen der französischen Regierung nun vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit den vier Kandidaten eine gemeinsame Position untereinander fest (vgl. S. 184).
Die Verhandlungen über den Beitritt
In den Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien ging es größtenteils um die Handelsbeziehungen mit dem Commonwealth und der britischen Integration in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Die Agrarpolitik Großbritanniens unterschied sich stark von der im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) praktizierten. Großbritannien hatte nur einen sehr kleinen landwirtschaftlichen Sektor und bezog die meisten Lebensmittel aus den Commonwealth-Staaten.
Das Problem: Würde Großbritannien ohne weiteres der EG und damit der GAP beitreten, würden nicht nur die Preise für die britischen Verbraucher steigen, sondern Großbritannien müsste, aufgrund der hohen Lebensmittelimporte aus Drittstaaten, einen wesentlichen Teil als Abschöpfung an die Gemeinschaftskasse abführen. Die Übergangsfristen und Sonderregelungen zum Schutz neuseeländischer Milchprodukte und karibischer Zuckerprodukte wurden erfolgreich verhandelt und führten schließlich zum Beitritt Großbritanniens (vgl. S. 185-186).
Am 18. Januar 1972 wurden auch die Verhandlungen mit den anderen beitrittswilligen Staaten abgeschlossen. Die Verhandlungen mit Dänemark waren weitgehend unkompliziert, in denen mit Irland ging es um Agrar- und Fischereipolitik. Die Fischereipolitik war einer der strittigsten Punkte in allen Verhandlungen, vor allem aber in denen mit Norwegen. Kurz vor den Verhandlungen einigten sich die Mitgliedsstaaten auf eine Gemeinsame Fischereipolitik, danach hätten alle Länder innerhalb der Gemeinschaft Fangrechte in allen Gewässern der Mitgliedsstaaten.
Dies galt als Affront gegenüber den vier beitrittswilligen Staaten, denn ca. zwei Drittel der Fischbestände lägen dann in deren Gewässern. Die Verhandlungspartner wurden sich jedoch einig und man kam den neuen Mitgliedsstaaten durch zeitliche Übergangsregelungen entgegen (vgl. S. 187). „Am 19. Januar 1972 empfahl die Kommission auf der Grundlage der Verhandlungsergebnisse dem Ministerrat die Aufnahme Dänemarks, Großbritanniens, Irlands und Norwegens“ (S. 187).
Ein gemeinsamer Beitrittsvertrag wurde am 22. Januar 1972 von allen Verhandlungspartnern unterzeichnet (vgl. S. 187). Trotz des erfolgreichen Abschlusses trat Norwegen der EG nicht bei, da 53,5% der norwegischen Bürger in einem Referendum gegen einen Beitritt stimmten. Daraufhin trat die norwegische Regierung zurück. Immerhin konnte unter der darauffolgenden Regierung ein Freihandelsabkommen zwischen Norwegen und der EG ausgehandelt werden (vgl. S. 188).
Die Beitritte und ihre Folgen
1974 wurden grundsätzliche Neuverhandlungen mit dem Rat von Seiten der neuen britischen Regierung gefordert. Die Mitglieder stimmten Verhandlungen zu, unter der Bedingung, dass es gerade keine grundsätzlichen Neuverhandlung sein dürfen. Es ging um Agrarpolitik, einen besseren Zugang zum Markt für Commonwealth-Länder, regionale Wirtschaftsförderungen und die Anteile am Gemeinschaftshaushalt der Briten. Man einigte sich schließlich auf begrenzte Zugeständnisse an die Briten in Form von verlängerten Übergangsregelungen und eines ‚Korrekturmechanismus‘ für den Gemeinschaftshaushalt. In einem Referendum 1975 stimmten die britischen Wähler mit 67,2% für einen Verbleib in den EG.
Die Gemeinschaftsinstitutionen mussten aufgrund der gestiegenen Mitgliederzahl angepasst werden. Im Rat gab es nun anstelle von sechs neun Mitglieder. Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien hatten jeweils zehn Stimmen, Belgien und die Niederlande jeweils fünf, je drei für Dänemark und Irland, während Luxemburg zwei Stimmen erhielt. Für Ratsbeschlüsse auf Vorschlag der Kommission waren mindestens 41 der insgesamt 58 Stimmen nötig, für alle anderen Beschlüsse waren mindestens 41 Stimmen von mindestens sechs Mitgliedstaaten nötig.
Außerdem gab es nun 13 anstatt neun Kommissare in der Kommission. Je zwei aus Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien und aus den restlichen Mitgliedstaaten jeweils einer. In der Versammlung, also dem Parlament, stieg die Abgeordnetenzahl von 142 auf 198. Je 36 aus Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien, je 14 aus den Niederlanden und Belgien, je zehn aus Dänemark und Irland und sechs Abgeordnete aus Luxemburg. Es waren nunmehr neun anstatt sieben Richter am Gerichtshof und statt zwei nun vier Generalanwälte.
Insbesondere in Großbritannien machte sich aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation in Europa zu dieser Zeit Ernüchterung innerhalb der Bevölkerung und politischen Elite breit, denn es gelang nicht, die ökonomischen Probleme zu verringern, und auch nicht, eine politische Führungsrolle in der EG einzunehmen. Irland konnte wirtschaftlich aufholen und verringerte seine Abhängigkeit von Großbritannien. Dänemarks Bevölkerung betrachtete die politischen Implikationen der europäischen Integration in Hinblick auf die wirtschaftlichen Aspekte mit Skepsis (vgl. S. 188-190).
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