Mittwoch, 5. Mai 2021

Handbuch-Beitrag zu Integrationstheorien

In diesem Beitrag stellt Leon Maier folgenden Aufsatz vor:

Schimmelfennig, Frank (2020): Theorien der europäischen Integration; in: Becker, Peter / Lippert, Barbara (Hrsg.): Handbuch der Europäischen Union, Springer VS, S. 3-25 (online unter: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-17409-5_7)

Frank Schimmelfennig beschreibt in seinem Text die Entwicklung und Systematik der Integrationstheorien. „Die Entwicklung der Integrationstheorien ist einerseits mit der Theorieentwicklung in der Politikwissenschaft, andererseits mit der Entwicklung der EU eng verbunden.“ (S. 4)

Hierfür beschreibt er zunächst chronologisch die Schwierigkeiten in der Entwicklung der EU und geht danach auf die unterschiedlichen Integrationstheorien ein. Laut Autor haben sich im Laufe der Zeit drei unterschiedliche Theoriestränge herausgebildet.

1. Intergouvernementalismus

„Der IG beruht auf zwei grundlegenden Annahmen des rationalistischen Institutionalismus in den internationalen Beziehungen. Erstens sind Staaten die zentralen Akteure der internationalen Politik und sie verhalten sich (zumindest begrenzt) rational. Zweitens schafft internationale Interdependenz Nachfrage nach internationaler Kooperation, die internationale Institutionen zu befriedigen helfen.“ (S. 8)

Der Intergouvernementalismus erkläre die europäische Integration als Reaktion der Staaten auf die Zunahme der internationalen Interdependenz. Der Prozess der Integration sei dabei von den Regierungen initiiert und kontrolliert. Fortschritte ließen sich auf zwischenstaatliche Präferenz- und Machtkonstellationen zurückführen.

2. Neofunktionalismus

„Ebenso wie der IG beruht die neofunktionalistische Integrationstheorie auf institutionalistischen Grundlagen. Anders als der IG beruft sie sich jedoch nicht auf den rationalistischen Institutionalismus, sondern auf zwei andere wesentliche Varianten der institutionalistischen Theorie: den historischen und den soziologischen oder konstruktivistischen Institutionalismus“ (S. 13)

Hier entstehe eine funktionale und institutionelle Eigendynamik, welche auf Lücken und Defizite in der europäischen Integration zurückgehen, die von transnationalen und supranationalen Akteuren getrieben werde.

3. Postfunktionalismus

„Anders als IG und NF hat der PF seine theoretischen Wurzeln eher in der Analyse (demokratischer) politischer Systeme als in den IB. Er nimmt Anleihen sowohl bei der Föderalismusforschung – oder allgemeiner: der Forschung über Mehrebenen-Regieren – als auch bei der Parteien- und Wahlforschung. Das Konzept des Mehrebenen-Regierens (multi-level governance) geht von der Beobachtung aus, dass politische Autorität – die anerkannte Kompetenz, bindende Entscheidungen für ein Kollektiv zu treffen – auf zahlreiche räumliche und funktionale Einheiten oder Zuständigkeitsbereiche verteilt ist.“ (S. 17)

Der Postfunktionalismus beschreibe gesellschaftliche und politische Widerstände, welche einer fortschreitenden Integration geschuldet sind. Dadurch entstünden wirtschaftliche und kulturelle Integrationsverlierer und Parteien, welche der EU entgegenstehen und somit den weiteren Fortschritt bremsen oder verhindern.

Im letzten Abschnitt des Textes versucht Schimmelfennig eine Theorie-Synthese in Bezug auf die drei vorgestellten Theorien. Laut Autor steht die integrationsförderliche bzw. -hemmende Dynamik in direktem Bezug zum Verhältnis von Effizienzgewinnen und Selbstbestimmungskosten. Liegen die Effizienzgewinne über den Selbstbestimmungskosten, sei eine integrationsförderliche Entwicklung zu erwarten.

Anders gesagt: „Je höher die Souveränitäts- und Selbstbestimmungskosten eines Integrationsschrittes sind, desto höher müssen die Effizienzgewinne der Integration oder die materiellen Wohlfahrts- und Sicherheitskosten der Nicht-Integration sein, damit die positive Integrationsdynamik die Oberhand behält.“ (S. 23f.)

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