In diesem Beitrag stellt Tanja Achtelik folgenden Aufsatz vor:
Schimmelfennig, Frank (2019): Von der Entgrenzung zur Eingrenzung: Krise und Wandel der europäischen Integration; in: integration 42, Heft 4/2019, S. 247-261 (online unter: https://doi.org/10.5771/0720-5120-2019-4-247)
Zu Beginn thematisiert wird das zurückliegende Jahrzehnt voller Krisen – „die wachsenden Zahlungsbilanzschwierigkeiten Griechenlands“ (S. 247), die sogenannte "Flüchtlingskrise" 2015 und der erstmalige Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU durch Großbritannien – der Brexit. Ebenfalls erstmalig wurden im Jahre 2017 aufgrund von Rechtsstaatlichkeitskrisen Verfahren gegen ost- und mitteleuropäische EU-Staaten wegen „Verletzung fundamentaler Werte der EU“ (S. 247), eingeleitet. Aus der Krise profitierten vor allem populistische Parteien, und es zeigt sich, dass die konstitutionellen Rahmenbedingungen und das politische System der Europäischen Union weniger stabil sind, als angenommen wurde.
Die Krise zwingt die Forschung, ihre Schwerpunkte weiter auf „Krisen- und Desintegrationsprozesse“ zu legen, aber auch traditionelle Integrationstheorien, wie der Intergouvernementalismus und Neofunktionalismus, können Erklärungen für die „Polykrise“ der EU darstellen. Schimmelfennig argumentiert, dass die Integrationsforschung „unter einem doppelten konzeptionellen Bias leidet“ (S. 248):
„Zum einen ist sie auf die interne Entgrenzung der EU, also die Öffnung und supranationale Kontrolle der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten, fokussiert und vernachlässigt dabei die zweite konstitutive Dimension der Integration: die externe Grenzziehung. Zum anderen hat sie die Tendenz, europäische Integration mit einer liberalen Programmatik gleichzusetzen.“ (S. 248)
Seines Erachtens müsse der Integrationsbegriff von programmatischen Festlegungen befreit werden und es müsse darum gehen, „die Öffnung und Schließung der äußeren Grenzen der EU als eine zentrale Dimension der Integration zu begreifen und das Wechselverhältnis von innerer und äußerer Entgrenzung und Eingrenzung in die Analyse der Integrationsentwicklung einzubeziehen.“ (S. 248)
Die aktuellen Krisen der EU seien laut seiner These ausgelöst durch die gleichzeitige Öffnung von Innen- und Außengrenzen. Das seit den 1980er Jahre „vorherrschende liberale Entgrenzungskonzept der Integration“ (S. 260) funktioniere nicht für die Phase seit der „Polykrise“. Die Ablösung dieses Integrationstyps sei nicht gleichzusetzen mit Desintegration, sondern die Bewältigung von internen Krisen mit externer Eingrenzung. Vor allem der Wahlerfolg rechtspopulistischer Parteien brachte den Druck, sich von einer liberalen externen Grenzpolitik zu entfernen (S. 260).
Zur Beurteilung, inwiefern externe Schließung von Grenzen funktionieren würden und wie die Kontrollen an den Grenzen umsetzbar sein könnten, sei diese Politik noch zu neu, könne aber die interne politische Zustimmung verändern (S. 261).
Externe Probleme wie Sanktionen gegen Russland, die Verhandlungen mit der Türkei hinsichtlich eines Flüchtlingsabkommens und mit Großbritannien hinsichtlich des Brexit, hat die EU mit einer großen Geschlossenheit gelöst. Rechtspopulistische Parteien wechselten sogar nach dem Brexit ihren Kurs und waren nicht mehr für einen EU-Austritt ihrer jeweiligen Länder.
Wird die Kurskorrektur der externen Eingrenzung fortgesetzt, welche durch „illiberale Kräfte innerhalb und außerhalb der EU“ (S. 261) erzwungen wurde, so könnte sich dies „als Stärkung der europäischen Integration erweisen“ (S. 261).
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