Sonntag, 9. Mai 2021

EU-Entwicklung

In diesem Beitrag stellt Helin Tufan folgende Studie vor:

Heidbrink, Stephan (2006): Geschichtlicher Abriss der europäischen Integration, IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V., Studien zur Militarisierung Europas, Band 9/2006 (online unter: http://edoc.vifapol.de/opus/frontdoor.php?source_opus=1009&la=de).

„Die europäische Integration seit den 1950er Jahren ist ein komplexer Prozess, der sich grob in vier Phasen unterteilen lässt“ (S. 1), so Heidbrink. Komplexer Prozess meint dabei ein Prozess ständiger Krisenbewältigung, in dem beständig zwischen den ökonomischen Interessen der Nationalstaaten auf der einen und dem Ringen um politische Positionen auf der anderen Seite vermittelt wird.

Laut Heidbrink habe es seit der Herausbildung des modernen Staatensystems verschiedene Initiativen gegeben, die erfolglos auf die Überwindung der zwischenstaatlichen anarchischen Beziehungen zielten. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Hoffnung, durch ein geeintes Europa die imperialistische Logik des zwischenstaatlichen Systems zu untergraben (vgl. S. 1).

Durch den Krieg entstand eine neue globale Konstellation mit den USA als Supermacht, was sich auf den Prozess der europäischen Integration auswirkte, denn die westeuropäischen Staaten waren auf die Hilfe der Vereinigten Staaten angewiesen. Durch die Hilfen entstand eine erhebliche Einflussnahme seitens der Vereinigten Staaten auf den Verlauf der europäischen Integration.

Heidbrink unterteilt die Entwicklung in folgende vier Phasen:

  • eine Gründungsphase zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre,
  • eine Konsolidierungsphase bis zum Beginn der 70er,
  • Krisen- bzw. Stagnationserscheinungen ab 1973,
  • seit Mitte der 1980er Jahre ein neuer Integrationsschub.

Die Gründungsphase, auf die Heidbrink in seinem Forschungsbericht eingeht, beschreibt zunächst den gescheiterten Versuch einer Welthandelsorganisation (ITO) und die 1947 darauf folgende Einrichtung des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), die den eigentlichen Wendepunkt der amerikanischen Europapolitik darstellt.

„Die doppelte Anforderung an die amerikanische Hegemonialstrategie bestand in der Herstellung eines eigenständigen nicht-protektionistischen westeuropäischen Wirtschaftsraumes auf der einen und dem Aufbau einer rüstungsindustriellen und militärischen Basis bei gleichzeitiger subalterner Einbindung in den antikommunistischen Westblock auf der anderen Seite“ (S. 2).

US-Außenminister George C. Marshall stellte ein Wiederaufbauprogramm, das European Recovery Program, vor, dessen Hilfen allerdings an die Bedingung geknüpft waren, dass die europäischen Staaten den Handel untereinander liberalisierten. Die Benelux-Staaten beschlossen bereits früh eine Zollunion mit dem Ziel einer umfassenden Wirtschaftsunion und hatten gleichzeitig ein bedeutendes Interesse an einem kollektiven militärischen Schutz. Frankreichs Stellung als Weltmacht war brüchig geworden, was laut Heidbrink dazu führte, dass Frankreich zur entscheidenden Triebkraft im Integrationsprozess wurde.

Auch in der öffentlichen Meinung gab es Präferenzen und viele Befürworter für ein föderales Europa (vgl. S. 3). Indem die europäische Integration vor allem auf die Modernisierung der westeuropäischen Ökonomien zielte, bestand der erste Schritt in der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951 durch die Regierungen (West-)Deutschlands, Frankreichs, Italiens und der Benelux-Staaten. Die Bedeutung eines militärisch starken Europas in der Systemkonkurrenz wuchs durch die Verschärfung der weltpolitischen Lage durch den Koreakrieg.

Laut Heidbrink förderte das Scheitern des politischen Projektes einer gemeinsamen westeuropäischen Verteidigung in der Konsolidierungsphase von 1957 bis 1973 die Konzentration auf die »negative Integration«, also auf Maßnahmen zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Er beschreibt die Politik in Westeuropa während diesem Zeitraum als ein »Tauschgeschäft«, in dem hart verhandelt wurde, aber alles in allem scheine die europäische Integration dynamisch zu laufen (vgl. S. 4).

Laut Heidbrink korrespondierte die Stagnation der europäischen Integration ab circa 1973 mit den weltwirtschaftlichen Krisenerscheinungen, die im Gefolge der Rezession von 1973/74 die mangelnde Übereinstimmung der nationalen wirtschaftspolitischen Orientierungen in den Vordergrund rückten (vgl. S. 5). Trotzdem wurde 1979 das Europäische Währungssystem ins Leben gerufen, im selben Jahr fanden die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament statt, der Europäische Rat wurde eingerichtet und die Gemeinschaft erweiterte sich im Lauf der Jahre um neue Mitgliedsstaaten. Die Vertiefung der Markt- und Währungsintegration durch den Binnenmarkt und die WWU bildeten den Kern des neuen Integrationsschubs in der vierten Phase seit 1985.

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