Samstag, 8. Mai 2021

Europäische Integration in französischer Perspektive

In diesem Aufsatz stellt Lea Franziska Knoß folgenden Aufsatz vor:

Loth, Wilfried (1984): Die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg in französischer Perspektive; in: Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft, 10, 225-246, online unter  http://www.jstor.org/stable/40194612.

Der Aufsatz Wilfried Loths beschäftigt sich mit den Motiven und Perspektiven Frankreichs als wichtigem Protagonist im Kontext des Integrationsprozesses Europas. Loth zeigt anhand der Perspektive und Motive Frankreichs chronologisch den Beginn der europäischen Integration auf und macht so die Haltung Frankreichs für den/die Leser:in greifbar.

Der Aufsatz beginnt mit der Aufzählung wichtiger Ereignisse und Prozesse im europäischen Integrationsprozess und führt die Initiative Frankreichs vor Augen, welche zur Schaffung wichtiger Organisationen, u.a. zur Schaffung des Europarats, beigetragen haben (S. 225).

In Bezug auf die Ausgangslage Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg hebt Loth vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage Frankreichs sowie den Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika hervor (vgl. S. 225-226). Um auf dem globalen Markt wieder mitwirken zu können und um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, bedurfte es eines gemeinsamen Marktes bzw. eines gemeinsamen Zugangs zu den Rohstoffen innerhalb Europas (vgl. S. 226).

Man sah außerdem, so Loth, u.a. die potenzielle Gefahr aufkommender Kriege in Europa um die Verteilung wichtiger Güter (vgl. S. 226). Eine die eigene Sicherheit bedrohende Gefahr sah Frankreich, so kann man Loths Aufsatz entnehmen, in den Deutschen und deren potenziellem Erstarken (vgl. S. 230).

Es galt, laut Loth, Barrieren abzubauen und Institutionen zum gemeinsamen Schutz vor Belastungen sowie zur gemeinsamen (wirtschaftlichen-) Kontrolle und Verwaltung zu schaffen (vgl. S. 227). Institutionen sollten zudem bei der Planung der Wirtschaft und Produktion helfen (vgl. ebd.). Bezüglich der Vorstellungen zu den Kompetenzen der europäischen „Lenkungsbehörden“ gingen die Vorstellungen je nach politischer Strömung auseinander (vgl. S. 227).

Loth nennt eine Vielzahl von potenziellen Wirtschaftsinteressen, die Frankreich prägten und umtrieben. Unter anderem wird in seinem Aufsatz das Exportinteresse genannt (vgl. S. 227). Des Weiteren wolle Frankreich die Konkurrenzfähigkeit sowie die Wirtschaftsleistung generell steigern und mittels Rekonstruktions- und Modernisierungsplanungen realisieren, welche die Integration in einen gemeinsamen europäischen Markt vorsah (vgl. S. 229).

Stimmen, u.a. die Jean Monnets, zur Idee der Schaffung einer „Föderation des westlichen Europas“ bzw. die Empfehlung der „Commité Général d´Etudes“, eine „westliche Union“ zu schaffen, wurden laut und finden sich in Loths Aufsatz wieder (vgl. S. 228). Der damalige französische Präsident Charles de Gaulle, welcher ebenfalls den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg Frankreichs anstrebte, sah die „Notwendigkeit“ der Schaffung eines gemeinsamen Markts des westlichen Europas (vgl. S. 228). Eine europäische Föderation sollte angestrebt und ins Leben gerufen werden.

„In dieser Situation schien einer wachsenden Zahl ökonomischer Experten neoliberaler wie neosozialistischer Provenienz eine Gesundung der französischen Wirtschaft nur noch durch eine Integration in einen gemeinsamen Markt der europäischen Länder möglich zu sein.“ (S. 226)

Die Integration sollte dabei nicht nur im Wirtschaftssektor, sondern auch in anderen politischen Bereichen erfolgen, da eine bloße Wirtschaftsintegration nicht ausreichte (vgl. S. 230). Durch den Krieg und dessen Auswirkungen erwies sich Frankreichs Sicherheitspolitik als zu schwach und die resultierenden Hindernisse konnten nicht von Frankreich allein beseitigt werden (vgl. S. 230). Es galt also, „kollektive Sicherheitsstrukturen“ zu schaffen.

Im Kontext der Frage um Deutschland und dessen Wiederaufbau erwies sich ein regionaler Zusammenschluss als potenzielle Lösung, jedoch gleichzeitig auch als Gefahr, bzw. Treiber oder Bedrohung zwischen den Fronten Ost und West (vgl. S. 231). Loth erläutert zudem de Gaulles vorrangiges Interesse, die Rolle Frankreichs bzw. dessen Dominanz im europäischen Integrationsprozess zu stärken, wobei die Frage nach Großbritannien bzw. der Rolle der Briten:innen laut wurde (vgl. S. 233- 234).

Die westeuropäische Föderation sollte sich um Frankreich positionieren. Deutschland sollte separiert werden und sich in Form kleiner Einzelstaaten anschließen (vgl. S. 233). Loth erläutert, dass so einerseits Deutschland integriert und eingehegt und Frankreich andererseits seine von de Gaulle gewünschte Führungsrolle in Europa festigen würde (vgl. S. 233).

In Loths Aufsatz wird zudem die Vorstellung des geeinten Europas als „vermittelnd-ausgleichendes Europa der Dritte(n) Kraft“ im Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA laut (vgl. S. 236). Dazu erforderte es allerdings die Zusammenarbeit mit Großbritannien in Form der „britisch-französischen Allianz“, wobei Großbritanniens Kabinett (schlussendlich) nicht zu überzeugen war (vgl. S. 234, 239-241).

Es war auch der Kalte Krieg, der den Integrationsprozess nach Stagnation wieder vorantrieb (vgl. S. 236). Loth nennt u.a. die Sorgen Frankreichs bezüglich der Selbstbehauptung, welche mittels der Weltmächte USA und Sowjetunion in Frage gestellt wurde. Im geeinten Europa sah man daraus resultierend die Chance, vermittelnd zwischen den Fronten zu agieren, dem Erstarken Amerikas und dem Erstarken bzw. der im Aufsatz genannten Expansion der Sowjetunion vorzubeugen (vgl. S. 236).

Loth bezeichnet Robert Schumans Plan, der schlussendlich erste gemeinsame europäische Strukturen schaffte, als Durchbruch zur Supranationalität. Man kann entnehmen, dass sich Schumans Projekt zur Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl als bahnbrechend erwies (vgl. S. 241-242). „Damit war der Durchbruch zur Supranationalität ohne Großbritannien erreicht“ (S. 242).

Loths Aufsatz kann man entnehmen, dass sich Frankreich in Fragen der europäischen Integration, welche von heftigen Kontroversen geprägt waren, selbst unsicher bzw. uneinig bezüglich der Ziele und Intentionen der Gemeinschaft war (vgl. S. 245). Die unterschiedlichen Intentionen, u.a. die Deutschlands unter Kanzler Adenauer, die Gleichberechtigung sowohl politisch als auch militärisch zu erlangen, führte auf französischer Seite, so schreibt Loth, zur Abkehr vom Ziel der „Vormachtstellung“ (vgl. S. 244). Die Idee des geeinten Europas verlor zudem, so bemerkt Loth, an „nationalem Glanz (vgl. ebd.).

Zum Abschluss, schreibt Loth, seien es die wirtschaftlichen Umstände gewesen, die u.a. Frankreich zum Schaffen eines gemeinsamen europäischen Marktes und zur Integration zwangen und die Frankreich veranlassten, über die nicht zu erfüllenden gewünschten Bedingungen hinwegzusehen (vgl. S. 245).

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