In diesem Beitrag stellt Laura Schulz folgenden Aufsatz vor:
Wirth, Maria (2004): Der Marshall-Plan: Das Wiederaufbauprogramm für Europa nach 1945, Demokratiezentrum Wien, online unter: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/wirth_marshallplan.pdf.
Wenn über die Entstehung der EU gesprochen wird, ist oft vom Marshall-Plan die Rede. Maria Wirth zeigt Faktoren und Motive, die zur Entstehung des Plans beigetragen haben, Instrumente, die zur Durchsetzung des Plans geführt haben, und die Bedeutung des Marshall-Plans für heutige politische Entwicklungen auf. Mit diesem Wissen kann man sich schließlich die Frage stellen, ob der Marshall-Plan bedeutend für den Stand der Europäischen Union heute ist und ob ähnliche Vorhaben, als eine Art Abkömmling des Marshall-Plans, als sinnvoll erachtet werden könnten.
Was war der Marshall-Plan?
In seiner berühmten Rede vom 5. Juni 1947 präsentierte der amerikanische Außenminister George C. Marshall die Idee eines Aufbauprogramms für Europa, nachdem der Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden lag. Noch heute ist diese Rede bekannt, denn das nach dem Marshall-Plan entstandene European Recovery Program (ERP) gilt immer noch als Sinnbild für wirtschaftliche und humanitäre Hilfe. George C. Marshall, von dem das Zitat im Anschluss stammt, erhielt den Friedensnobelpreis, merkte aber an, dass der Marshall-Plan zu seiner Zeit noch kein fertiggestelltes Programm war.
„Kriege entstehen durch Armut und Unterdrückung. Dauerhafter Friede ist nur einer relativ freien und wohlhabenden Welt möglich.“ (George C. Marshall, 5. Juni 1947)
Als wesentliche Punkte des Programms galten:
- Liberalisierung des Handelsverkehrs und Verpflichtung zur Hilfestellung hierfür
- Koordinierung von Grundindustrien
- Errichtung einer supranationalen Organisation zur Unterstützung
Erst als diese Punkte von den Teilnahmestaaten erfüllt wurden, wurde das Hilfsprogramm dem Kongress vorgelegt. Zur Gewährleistung des letzten Punktes wurde am 16. April 1948 die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) mit Sitz in Paris gegründet, Vorgängerin der OECD.
Bis 1952 flossen rund 12-13 Milliarden Dollar, also circa 2 Prozent des Bruttosozialprodukts der USA, an die Teilnehmerstaaten des ERP. Die amerikanischen Steuerzahler*innen zahlten jeweils circa 80 Dollar für den Wiederaufbau Europas. Am meisten profitiert haben Großbritannien, Frankreich, Italien, Westdeutschland und Österreich. Hilfs- und Aufbauleistungen wurden in verschiedener Form, entweder als „direkte“ oder „indirekte“ Hilfeleistungen bereitgestellt. „Direkte“ Hilfeleistungen waren beispielsweise:
- Geschenke („grants“), vor allem nichtproduktive Güter wie Lebensmittel, Rohstoffe etc.
- Kredite
- Andere Unterstützungen, die gegen Zahlungsbedingungen (z.B. die Lieferung von Waren) geleistet wurden
Als „indirekte“ Hilfeleistungen können zum Beispiel folgende gesehen werden:
- Abbau von Handelshemmnissen
- Aufbau eines Freihandelssystems, beispielsweise das „Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr“ vom 16. Oktober 1948
Nun könnte man sich fragen, was die USA dazu veranlasst hat, diese erheblichen Hilfestellungen zu leisten. Auch diese Frage versucht Wirth in ihrem Text zu beantworten.
Was war die Motivation hinter dem Marshall-Plan?
Der deutsche Historiker Manfred Knapp beschrieb den Marshall-Plan als ein Mehrzweckinstrument aufgrund dessen, dass sowohl außen- und wirtschaftspolitische als auch strategische Zielsetzungen verfolgt wurden. Das Programm wird häufig als Pendant zur Truman-Doktrin und als Instrument gegen den Kommunismus im Zuge des Kalten Krieges gesehen. Auch wird oft darauf hingewiesen, dass das ERP auch strategisch-militärische Ziele verfolgt hat, um einen Verbündeten gegen die UdSSR zu haben.
Betrachtet man wirtschaftliche Aspekte, so kann darauf verwiesen werden, dass der Regierung der USA bewusst war, dass auf längere Sicht eine gesunde europäische Wirtschaft nötig war, da Europa der wichtigste Exportmarkt der USA war. Somit war der Marshall-Plan auch ein Instrument zur Konsolidierung und Wiedererrichtung einer liberalen, kapitalistischen und internationalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Außerdem war der Marshall-Plan aber auch ein Konzept, mit dessen Hilfe sich die Reorganisation der drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands und somit die Bildung einer zentralen, deutschen Wirtschaftsverwaltung teilweise lösen ließ.
Bedeutung des Marshall Plans
Die wichtigsten Ziele – nämlich die Erhöhung des landwirtschaftlichen und industriellen Produktionsniveaus, die Liberalisierung des Handels und die Verringerung der negativen Zahlungsbilanz – konnten nach Alexej Behnisch erreicht werden. Der Marshall-Plan sollte außerdem als Stimulanz gesehen werden, durch den viele positive Ereignisse ausgelöst wurden. Lucrezia Reichlin ist der Meinung, dass er außerdem Verteilungskämpfe verhindert hat, er dadurch also auch eine immense soziale Bedeutung hatte.
Bedeutend ist aber vor allem seine psychologische Wirkung, denn durch die Hilfestellung der USA und die hohe Aufmerksamkeit hat der Marshall-Plan vielen Bürger*innen Europas Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft gegeben. Vor allem die gigantische Werbeoffensive, die durch die amerikanische Regierung initiiert wurde – also Zeitungen, Postkarten, Sonderstempel, Radio- und Filmsendungen etc. – mobilisierte die Bevölkerung.
Auch hatte der Marshall-Plan eine friendensstiftende Wirkung, denn er förderte den innereuropäischen Zusammenhalt der Staaten und förderte Maßnahmen hinsichtlich der Umerziehung zur Demokratie, indem zum Beispiel Filme, die von der Economic Cooperation Administration, auch Fachwissen (Rationalisierungsmöglichkeiten und Fertigungsmethoden) zeigten. Der Erfolg des Marshall-Plans ist nach Wirth also nicht zu gering zu bewerten.
Es gab immer wieder Überlegungen und Versuche, den Marshall-Plan auf eine andere Art und Weise wieder aufleben zu lassen. Ins Spiel gebracht werden diese Überlegungen immer, wenn es um mehrdimensionale, komplexe und langfristige Bewältigung komplexer Problematiken geht.
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