Montag, 10. Mai 2021

Bedeutung der Montanunion für die europäische Integration

In diesem Beitrag stellt Janis Rosenfelder folgenden Aufsatz vor:

Hospers, Gert-Jan / Kubani, Filip (2003): Die Bedeutung der Montanunion für die europäische wirtschaftliche Integration; in: Wirtschaftsdienst 83 (3), S. 192-197, online unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/42112/1/361774192.pdf.

Gert-Jan Hospers und Filip Kubani stellen in diesem Artikel die Hintergründe und Resultate der Gründung der Montanunion dar und fragen darauf aufbauend nach Lektionen für die Zukunft der Europäischen Union.

Mit dem Auslaufen des EKGS-Vertrags von 1952 verlor die Schwerindustrie 2002 ihre Sonderposition und wurde regulärer Bestandteil der EU-Politik. Die Gründung der EKGS war aus politischer Sicht weitaus mehr als eine Regulierung des Kohle- und Stahlsektors, welcher zentraler Baustein der zuvor geführten Weltkriege war, sie war vor allem „Grundlage der Annäherung und Zusammenarbeit zwischen den früheren Feinden im Europa der Nachkriegszeit“ (S. 192).

Der französische Außenminister ahnte schon damals, dass diese Annäherung notwendig ist, um schrittweise eine vertiefte Gemeinschaft bilden zu können, und dass die EKGS das Fundament für eine solche sein könnte. Somit ist die Gründung der sogenannten Montanunion vor allem als ein europäisches Sicherheits- und Friedensprojekt zu verstehen.

Die Gründung eines gemeinsamen Marktes umfasste unter anderem das Aufheben der bestehenden Zölle auf Kohle und Stahl zwischen den Mitgliedsstaaten und sollte die Überproduktion des europäischen Kohle- und Stahlsektors mit Hilfe einer zentralen Koordination verhindern, wobei die einzelnen Nationalstaaten unterschiedliche Strategien verfolgten. Hierzu ist noch zu erwähnen, dass die USA in Form einer Bedingung des Marshall-Plans darauf bestanden, dass die Montanunion sich streng an die Wettbewerbspolitik nach amerikanischem Vorbild zu halten hatte. Grundsätzlich zwang die Montanunion „die früheren Feinde zur Zusammenarbeit“ (S. 193).

Hinsichtlich der europäischen (wirtschaftlichen) Integration ist die EKGS „als ein erster und bedeutender Schritt auf dem Wege zur gesamtwirtschaftlichen Integration in Europa zu verstehen“ (S. 193), welcher eine Aufhebung aller Beschränkungen hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehung zwischen den Staaten anstrebt, um unter anderem auch den zwischenstaatlichen Austausch zu erleichtern, Kosten und Ressourcen zu sparen sowie das Wirtschaftswachstum zu fördern. Ziel der wirtschaftlichen Integration ist dabei nicht nur das Beseitigen von bestehenden Handelshemmnissen, sondern auch eine vertiefte zwischenstaatliche Kooperation und Koordination.

Mit der EKGS sammelten somit die Mitgliedsstaaten zügig erste Erfahrungen mit supranationaler Koordination und Kooperation in der Wirtschaft. Diese supranationale Ausrichtung war allerdings von Beginn an auf Grund des erwarteten Einflusses einer Hohen Behörde und dem damit verbundenen Souveränitätsverlust umstritten. In der Praxis war die sogenannte Hohe Behörde allerdings zum Teil an den Rat gebunden und konnte somit oft nicht über die Mitgliedsstaaten hinweg entscheiden.

Die Mitgliedsstaaten legten nämlich zum Teil unterschiedliche industriepolitische Haltungen an den Tag: Ein Teil der Mitgliedsstaaten hatte eine eher marktkonforme Haltung und der andere neigte zu einer tendenziell interventionistischen Haltung. Diese unterschiedlichen Positionen waren dementsprechend auch im EKGS-Vertrag festgehalten. Des Weiteren war das Verhalten der einzelnen Nationalstaaten, unter anderem auch die Einhaltung der Verträge, im Krisenfall damals nur schwer vorherzusagen. Die Kohlekrise Ende der 1950er zeigte dann schnell, dass die Mitgliedsstaaten zu einem protektionistischen Verhalten neigten.

Ab Mitte der 1970er geriet der europäische Sektor in eine Art Dauerkrise, was allerdings von der EKGS lange missachtet wurde, und genehmigte beinahe bedingungslose Subventionen bis weit in die 1980er. In dieser Krisenphase bewährte sich die Montanunion nicht und die Staaten zogen sich zunehmend aus dem Sektor zurück. Außerdem unterstützte die EKGS die europäische Konkurrenzfähigkeit auf dem globalen Markt, indem sie Prozessinnovationen förderte, um unter anderem dem günstigen Stahl aus sogenannten Billiglohnländern etwas entgegenzusetzen. Des Weiteren unterstützte die Montanunion auch den Strukturwandel und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Regionen, welche in besonderem Maße von der Schließung von Minen und Stahlfabriken betroffen waren (z.B. Ruhrgebiet).

Insbesondere die Krisenzeit der 1970er und 1980er hat aufgezeigt, dass der interventionistische Ansatz oft nur Nationalinteressen bedient, weswegen laut den Autoren die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ auf eine strikte Regeleinhaltung drängen sollte. Außerdem muss die Europäische Union die grundsätzliche Frage stellen, ob weitere Subventionen im Bereich der Kohle- und Stahlindustrie überhaupt Sinn machen, da die globale Konkurrenz (z.B. China) weitaus günstiger produzieren könne.

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