Sonntag, 16. Mai 2021

Schuman-Plan und europäische Integration

 In diesem Beitrag stellt Louis Hakim Karl folgenden Aufsatz vor:

Loth, Wilfried (2010): Der Schuman-Plan und die Zukunft der Europäischen Union; in: integration 33, Heft 4/2010, S. 350-357, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0720-5120-2010-4-350/der-schuman-plan-und-die-zukunft-der-europaeischen-union-jahrgang-33-2010-heft-4.

Loth konstatiert zunächst, dass die europäische Gründunggeschichte vielen neu beigetretenen Staaten fremd sei (vgl. S. 350). Für die Entwicklung eines europäischen Selbstbewusstseins aller aktuellen EU-Bürger:innen seien realistische Vorstellungen der Anfänge enorm wichtig (vgl. ebda.).

Der Plan und seine Vorläufer

Laut Loth kann der Schuman-Plan zwei Traditionslinien zugeordnet werden:

  • Bemühungen um eine Reunion der Industrie zwischen Lothringen und Ruhrgebiet (vgl. S. 350).
  • Bemühungen um eine europäische Einigung, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen wurden (vgl. S. 351).

Die Fragen nach Art, Bedingung und Zusammensetzung des Abkommens wurden in beiden Bereichen unterschiedlich beantwortet, sodass die Menge an Vorschlägen und Ideen für eine europäische Einigung immer mehr Bereiche abdeckten (vgl. ebda.). Loth beschreibt diese Initialphase folgendermaßen:

„Die Geschichte der europäischen Idee und der europäischen Einigung sind durch die Debatte und den Konkurrenzkampf zwischen diesen unterschiedlichen Formen der Gestaltung, der Einigung und der Integration gekennzeichnet“ (vgl. ebda.).

Der Schuman-Plan vereint die beiden Traditionslinien und schlägt die Schwerindustrien Ostfrankreichs und Westdeutschlands als die beiden Hälften einer supranationalen Lenkung vor (vgl. ebda.). Hierbei spielt laut Loth der geopolitische Kontext eine wichtige Rolle, da Westdeutschland zum festen Partner des Westens im Kalten Krieg heranwächst. Außerdem bewirbt der Schuman-Plan das gemeinsame Bündnis, indem er durch Schaffen einer supranationalen Autorität die nationalstaatliche Souveränität einschränkt (vgl. ebda.).

Eine französische Initiative

Weiter schreibt Loth, dass Jean Monnet eher die Rolle eines „Geburtshelfers“ anstatt eines „Inspirators“ einnahm (vgl. S. 352). Monnet konnte Robert Schuman kurz vor der Konferenz der Außenminister der drei westlichen Besatzungsmächte von der Notwendigkeit der Projektförderung überzeugen. Schuman übernahm letzten Endes die politische Verantwortung für die Idee einer Montanunion und so wurde, laut Loth zurecht, die Projektplanung nach ihm benannt (vgl. ebda.).

Grundlegende Motivation für diese französische Initiative war der Wunsch, das deutsche Problem zu lösen (vgl. S. 352). In einer persönlichen Aufzeichnung schrieb Schuman:

„Deutsche Ressourcen und Energien – sich darauf beschränken, sie einzudämmen und zu bremsen, durch Verbote, Isolierung und feindliche Koalitionen, oder sie zur Geltung bringen, sie gemeinsam Zinsen abwerfen lassen zum Nutzen des ganzen vereinten Europa“ (vgl. ebda.).

Die gemeinsame Nutzung der deutschen Ressourcen war für den europäischen Wiederaufbau essenziell, insbesondere bei der fortlaufenden Entwicklung des Kalten Krieges (vgl. ebda.). Loth bezeichnet den Schuman-Plan auch als „zweiten Monnet-Plan“, da die fortschreitende Modernisierung der französischen Industrie trotz des Kalten Krieges fortgesetzt werden sollte (vgl. S. 353).

Monnet und Schuman sollen sich nicht bewusst gewesen sein, dass in Anbetracht der stahlindustriellen Skepsis gegenüber einer Modernisierung der zweite Monnet-Plan einen indirekten Verzicht auf die französische Führungsrolle beinhaltete (vgl. ebda.). Der französische Vorschlag, eine unabhängige Hohe Behörde ohne strikte Kontrollen zu schaffen, impliziert, so Loth, die Gleichbehandlung der Bundesrepublik Deutschland (vgl. ebda.).

Die deutsche Reaktion und die Rolle der USA

Laut Loth war Konrad Adenauer für den Erfolg des Schuman-Plans entscheidend, da er keine allzu präzisen Europa-Vorstellungen hatte und so umso flexibler agieren konnte (vgl. S. 354). Adenauer war sich den deutsch-französischen Bedürfnissen und Risiken bewusst und akzeptierte jeden Vorschlag einer europäischen Kontrolle bei Garantie einer deutschen Gleichbehandlung (vgl. ebda.). Monnet, Schuman und Adenauer wurden so zu den „Vätern Europas“ (vgl. ebda.).

Die Rolle der USA bei der Umsetzung des Schuman-Plans bestand nur aus einem einzigen Eingriff, nämlich die Garantie für die Entflechtung der deutschen Industrie (vgl. S. 355). Loth schreibt, dass es sich hierbei keinesfalls um eine Amerikanisierung der europäischen Industrie handle, sondern um einen Einklang der erfolgsorientierten Modernisierungsanstrengungen (vgl. ebda.).

Die Rolle der europäischen Partner

Nach Loth ist der Schuman-Plan zunächst ein deutsch-französischer Friedensvertrag, der allerdings nicht ohne die restlichen westeuropäischen Partner entstehen konnte (vgl. S. 355). Die Integration Westdeutschlands musste für ebendiese Partner mit ihren nationalstaatlichen Interessen vereinbar sein (vgl. ebda.). Italien machte deutlich, dass die EGKS nur ein Anfang für ein politisches Europa sein konnte (vgl. ebda.). Die Beneluxstaaten betonten die Problematik der demokratischen Kontrolle einer supranationalen Struktur (vgl. ebda.). Großbritannien sprach sich gegen eine europäische Beteiligung aus, betonte allerdings die Bedeutung der Absage als konstruktive Antwort (vgl. ebda.).

Erkenntnisse für die Zukunft

Abschließend erklärt Loth, dass der Schuman-Plan den Anfang einer neuen Bauweise von Europa darstelle und fasst seine Erkenntnisse in drei Punkten zusammen:

  • Europäische Ideale und nationaler Egoismus widersprechen sich. Ein gemeinsames Europa funktioniert am besten, wenn alle Mitgliedsstaaten den Mehrwert einer Union gegenüber den begrenzten Möglichkeiten eines einzelnen Nationalstaates vorziehen (vgl. S.357).
  • Im Zentrum steht der Frieden zwischen Deutschland und Frankreich. Nur gemeinsam können die beiden Staaten eine Führungsfunktion übernehmen, mit Augenmerk darauf, andere Mitgliedsstaaten nicht zu übervorteilen (vgl. ebda.).
  • Die europapolitische Debatte muss sich aktuellen Themen widmen, konkrete Lösungsvorschläge präsentieren und entschlossen handeln (vgl. ebda.).

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