In diesem Beitrag stellt Pauline Knöpke folgenden Aufsatz vor:
Carolan, Bruce (2008): The Birth of the European Union: US and UK Roles in the Creation of a Unified European Community; in: Tulsa Journal of Comparative & International Law, Vol. 16, No. 1, S. 51-65 (online unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1394394).
In dem 2008 erschienenen Artikel geht Bruce Carolan der Frage nach, welche Rollen die USA und Großbritannien bei der Entstehung der Europäischen Union spielten. Die Geschichte der europäischen Integration begann mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 und dem Ruf nach einem vereinten Europa. Die EU wurde offiziell zwar erst 1992 gegründet, die „Geburt“ der EU begann allerdings schon 1951, mit der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle- und Stahl (EGKS).
Mit dem Schuman-Plan wurde die Basis für die EGKS geschaffen. Es können viele unterschiedliche Ereignisse genannt werden, die zum Schuman-Plan führten. Churchills Rede in Zürich von 1946 könnte als ein starkes britisches Bekenntnis zur Schaffung eines föderalen Europas gewertet werden. Darüber hinaus verpflichtete US-Präsident Harry Truman am 12. März 1947 in einer Ansprache vor den beiden Kammern des Kongresses das amerikanische Volk dazu, finanzielle und andere Hilfe zu leisten.
Vielleicht noch bedeutsamer war, dass US-Außenminister George Marshall im Juni 1947 in einer Rede an der Harvard University das finanzielle Hilfspaket, bekannt als ERP oder Marshall Plan, ankündigte. Im Zuge dessen wurde die Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, heute OECD) gegründet.
Anschließend entstand 1948 der Europarat. Laut Carolan hätte man davon ausgehen können, dass der Plan für mehr supranationale Zusammenarbeit durch die OEEC oder den Europarat entstand. Tatsächlich wurde der Schuman-Plan alleine in den französischen Planungsbüros erarbeitet und Großbritannien wurde nicht im voraus über den Schuman-Plan informiert (vgl. S. 53f.).
Nach Carolan hätte man davon ausgehen können, dass Großbritannien einen wichtigen Teil zu dieser Entstehung und Entwicklung beitrug. Jedoch nahm Großbritannien nicht an den Verhandlungen zur ECSC teil. Der Autor geht im Folgenden der Frage nach, wie es hierzu kam und wie Großbritannien auf den vorgeschlagenen Schuman-Plan und die nachfolgenden Bemühungen um die europäische Integration reagierte.
Zu Beginn wollte Großbritannien eine wichtige Rolle beim europäischen Wiederaufbau spielen. Jedoch waren die Briten einerseits von den Kosten für die Verwaltung ihrer Besatzungszone überfordert. Daneben unterschieden sich die britischen und die französischen Bedenken und Vorstellungen bezüglich des europäischen Aufbaus sehr voneinander. Während Frankreich, angelehnt an die USA, einen supranationalen Ansatz verfolgte, favorisierte Großbritannien einen intergouvernementalen Ansatz.
Diese unterschiedlichen Vorstellungen zeigten sich schon bald in den Verhandlungen zum Europarat. Großbritannien lehnte eine supranationale Institution und somit auch ein direkt gewähltes europäisches Parlament grundsätzlich ab. Als Kompromiss wurde der Londoner Vertrag aufgesetzt, durch welchen der Europarat entstand. Dieser besaß allerdings nahezu keine Macht. Aufgrund dessen betrachteten europäische Staats- und Regierungschefs wie der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer Großbritannien als distanziert und weit entfernt von kontinentaleuropäischen Belangen (vgl. S. 54ff.).
Im Gegensatz zu Großbritannien übernahm die USA eine aktivere Rolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich die USA nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt am Wiederaufbau Europas. Ein sehr wichtiger Grund hierfür war der sich entwickelnde Kalte Krieg und der Wunsch, die sowjetische Macht in Westeuropa einzudämmen. Erstens versprach die Truman-Doktrin Unterstützung bei der Verteidigung der Demokratie, wenn diese bedroht war. Zweitens versprach der Marshall-Plan wirtschaftliche Unterstützung für den Wiederaufbau Europas.
Allerdings stellte die USA im Gegenzug einige Bedingungen. So sollten die europäischen Länder einen gemeinsamen Plan für die Verwendung der Hilfen entwickeln und eine föderale Struktur annehmen. Die OEEC wurde zur Unterstützung der Verwaltung der US-Hilfen gegründet. Aber entgegen den Wünschen der USA blieb die Organisation überwiegend zwischenstaatlicher Natur (vgl. S. 56).
Zusätzlich drängte die USA zu einer supranationalen Lösung des deutschen Problems. Im Oktober 1949 traf sich der damalige US-Außenminister Dean Acheson mit einigen amerikanischen Botschaftern Westeuropas. In einem Brief an die Botschaftler sprach er von einem Zeitplan für die „creation of supranational institutions, operating on a less than unanimity basis for dealing with specific economic, social and perhaps other problems“ (Milward 1983, zit. n. Carolan 2008, S. 57).
1950 setzte die USA Frankreich eine Frist, um einen akzeptablen Plan zu formulieren. Da die USA fest entschlossen waren, Westeuropa gegen eine sowjetische Aggression zu verteidigen, verlor Großbritannien aus militärischer Sicht an Bedeutung und wurde dementsprechend für die europäischen Integrationspläne weniger notwendig. So kündigte Robert Schuman am 9. Mai 1950, zu dem von Außenminister Dean Acheson gesetzten Termin, den Schuman-Plan an (vgl. S. 57). Berichten zufolge wurde Großbritannien von der Ankündigung nicht in Kenntnis gesetzt.
Großbritannien war wenig begeistert von dem Schuman-Plan und versuchte dessen Umsetzung zu verzögern. Allerdings stellte Frankreich Großbritannien ein Ultimatum, um das aufgesetzte Kommuniqué zu unterzeichnen. Dieses besagte, dass das Ziel der Konferenz die Einrichtung einer supranationalen Behörde sein würde, die die Kohle- und Stahlproduktion der teilnehmenden Nationen regeln sollte. Die britische Behörde lehnte dieses Ansinnen jedoch ab. Dies hatte zur Folge, dass Großbritannien in keinen nachfolgenden Verhandlungen beteiligt war (vgl. S. 60).
Carolan kommt zu dem Fazit, dass die Briten einen Schlüsselmoment in der Geschichte der europäischen Integration falsch gehandhabt haben. Der britische Unwille, sich als vollwertiger Partner zu beteiligen, setzte sich mit der Weigerung fort, an der Konferenz von Messina teilzunehmen, die schließlich - wiederum ohne britische Beteiligung - zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Vertrag von Rom 1957 führte.
Die Briten versuchten, eine Freihandelszone als konkurrierende Organisation zu gründen (EFTA), aber die wirtschaftlichen Wachstumsraten ihrer Mitglieder konnten mit denen der EWG nicht mithalten. Schließlich beantragte das Vereinigte Königreich 1961 offiziell die Mitgliedschaft in der EWG. Frankreich widersetzte sich jedoch der britischen Mitgliedschaft, die erst 1973 erworben wurde (vgl. S. 62).
„Britain made a serious mistake in reacting to the ECSC. What is also apparent is that the U.S. made a greater contribution to the successful birth of the EU“ (S. 63).
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