Dienstag, 21. Januar 2020

Rezension zu Evelyn Roll: Wir sind Europa!

Roll, Evelyn (2016), Wir sind Europa! Eine Streitschrift gegen den Nationalismus, Ullstein Verlag, Berlin.

Rezension

Autorin: Verena Schmiederer

Das Buch „Wir sind Europa“ von Evelyn Roll erschien 2016 im Ullstein Verlag mit dem Untertitel „Eine Streitschrift gegen den Nationalismus“. Hierin ruft die Autorin zum Aufstand gegen den verbreiteten antieuropäischen Populismus auf. Ihr leidenschaftliches Plädoyer für die Rettung Europas endet mit dem Appell, sich für die Werte eines gemeinsamen Europas zu engagieren.

Am Anfang ihres Buches steht jedoch zuerst die nüchterne Analyse über den Zustand Europas im Jahr 2016. Die Autorin beginnt ihr Buch, analog dem kommunistischen Manifest, mit dem dramatischen Satz: „Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Nationalismus“ (S. 7). Sie äußert sich besorgt darüber, dass der „völkische Nationalismus“ ein EU-Land nach dem anderen wie eine „ansteckende Krankheit“ befällt, ohne auf wirksame Abwehrkräfte zu stoßen (S. 7). Polen, Ungarn, Slowenien und Tschechien sind bereits betroffen, Frankreich ist in großer Gefahr.

Die rechtspopulistischen Parteien verbreiten ihre Verschwörungstheorien, Abschottungsfantasien und falschen Behauptungen, bieten Scheinlösungen, wobei sie aber nur ihre eigene Karriere, ihren eigenen Machtanspruch im Blick haben. Diese Rechtspopulisten beklagen den Souveränitätsverlust ihrer Länder durch die EU, definieren ihre Nation als Volksgemeinschaft, womit jeder Fremde zum „identitätsstärkenden Feind“ (S. 10) wird. Somit verleugnen sie aufklärerisches Gedankengut, agieren rassistisch und europafeindlich.


Der Schritt vom Populismus zum Faschismus ist klein und verstärkt die Gefahr eines EU-Zerfalls. Darüber hinaus stellen diese nationalistischen, euroskeptischen Parteien im Jahre 2014 bereits die drittstärkste Kraft im europäischen Parlament. Frau Roll findet auch harsche, kritische Worte für die Anhänger der Populisten, die sie als Überforderte, Abgehängte, Verbitterte und sogar Denkfaule bezeichnet.

Die bittere Wahrheit ist, dass Europa am Abgrund steht. Die hohe Staatsverschuldung der südlichen EU-Länder, die weiterhin ungeklärte Flüchtlingsfrage und der bevorstehende Brexit verschärfen die Situation. Doch was macht dieses Europa so schützenswert? Roll wirbt für den Erhalt Europas und beschreibt im Folgenden eindrücklich, was auf dem Spiel steht.

Europa ist die Hüterin und der Hort der Aufklärung. Die liberale Demokratie garantiert die politischen und sozialen Rechte der Bürger. Aber nicht nur der Erhalt unserer sozialen Grundrechte und Werte, sondern auch die Tatsache, dass unsere einzige Zukunftschance in der EU liegt, macht die EU so kostbar.

Um die Weltpolitik mitgestalten zu können, sieht Roll die einzige Chance darin, dass Europa geeint auftreten muss. Nur so wird Europa als eigenständiger Akteur auf Augenhöhe mit den anderen Supermächten gesehen. Es gilt viele globale Probleme zu bewältigen: Klimawandel, Epidemien, Finanzkrisen oder Islamisten, um nur einige zu nennen. Als einzelner Staat sind wir viel zu klein, um Gehör zu finden.

Daneben verschließt die Autorin jedoch nicht die Augen vor Kritik an Europa, sondern nennt Missstände offen beim Namen. Bei der Gründung gab es Fehler, in einigen Ländern bestehen Demokratiedefizite, die Öffentlichkeitsarbeit ist überwiegend schlecht und oftmals ist die EU eine um sich selbst rotierende Bürokratie.

Auch die Rolle Deutschlands wird kritisch hinterfragt. Deutschland, das einerseits eine halbhegemoniale Stellung einnimmt und im Alleingang Tatsachen in der Flüchtlingskrise, beim Atomausstieg und der Errichtung der Nord Stream Pipeline schafft, und andererseits die Solidarität für die Länder Italien und Griechenland bei der Flüchtlingskrise zu lange verweigert.

Roll erkennt, dass die EU noch nicht perfekt ist und noch Reformen nötig sind. Dennoch vertritt sie die Meinung, dass es in der momentanen Lage, in der Zeit vor wichtigen Weichenstellungen durch die anstehenden Parlamentswahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden, nicht an der Zeit ist, die EU zu verbessern. Stattdessen sollte man sich auf den Schutz vor den nationalistischen Strömungen konzentrieren, damit Europa nicht zerstört wird.

Doch was kann man dagegen tun? Mit dieser Frage beschäftigt sich Roll im letzten Teil ihres Buches. Die Sorge um Europa ist in ihren Augen kein geeignetes Instrument, um die Zukunft zu gestalten. Sie fordert die Umwandlung der Sorge in eine intelligente Aktion. Sie fordert eine europäische Bürgerbewegung! Roll stellt klar, dass wir keine Hilfe von außen erwarten könnten. Im Gegenteil, für Russland, China und Amerika ist ein geeintes Europa nur ein zusätzlicher Konkurrent im Kampf der „Global Player“.

Auch der Aberglaube, dass die Geschichte immer zum besseren voranschreitet, lähmt die Bürger. Ebenfalls reicht die Empörung gegen die Populisten allein nicht aus, um Europa zu retten. Sie fordert Taten! Hierzu muss die schweigende Mehrheit der Bevölkerung, die ein gemeinsames Europa befürwortet, wachgerüttelt werden. Diese Schweigenden müssen ihre Kräfte sammeln und zu politischem und gesellschaftlichen Engagement ermuntert werden.

Aus dem abgestumpften, gelähmten und ratlosen Schweigenden soll ein Mut-Bürger werden, der gegen den zerstörerischen Nationalismus aufbegehrt. Hier gibt die Autorin verschiedene Anregungen, wie man handeln kann. Zum Beispiel schlägt sie die Gestaltung einer Europaseite in Zeitungen vor, die in allen europäischen Staaten veröffentlich wird. Dadurch wird das Wir-Gefühl gestärkt, aber auch der Austausch von Informationen trägt zu einem besseren gegenseitigen Verständnis bei.

Darüber hinaus erfährt der Leser von einem geglückten Beispiel in der Schweiz. Dort konnte das Volk einen Beschluss der Rechtspopulisten verhindern, die versuchten, eine Zweiklassenjustiz zu etablieren. Die Autorin gibt diesem Beispiel den Titel „Rütli 2.0“ und weist damit auf die gelungene Entstehungsgeschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf dem Rütli hin. Durch den mutigen Aufstand und das Versprechen auf gegenseitigen Beistand gelang es damals, sich von den Fesseln der fremden Unterdrücker, der Vögte der Habsburger, zu befreien.

Außerdem verweist die Autorin mit der Zahl 2.0 auf unsere sozialen Medien. Diese bieten eine gute Plattform zur Vernetzung und sind somit ein ideales Werkzeug, Gleichgesinnte durch Argumente zu erreichen, ihnen Gehör zu verschaffen und zu Kampagnen zu aktivieren. In diesen sozialen Medien sieht die Autorin heutzutage die größte Chance den Staatenverbund mitzugestalten.

Der grenzüberschreitende Austausch von Grundgedanken ermöglicht eine europäische Bewegung, die den Erhalt Europas zum Ziel hat. Aber auch im Kleinen kann jeder etwas gegen den antieuropäischen Populismus erreichen. Die intelligenten Bürger müssen die leeren Phrasen der Populisten entlarven, und dies gelingt durch einen einfachen Trick und zwar mit der einfachen Fragestellung: und dann? Dadurch müssen die Phrasen zu Ende gedacht werden und die Unsinnigkeit wird aufgedeckt. Die einfachen Lösungen der Populisten haben keinen Bestand.

Die Autorin hegt den großen Traum von den Vereinigten Staaten von Europa, der ihrer Meinung nach erfüllbar ist. Deshalb beendet sie das Buch wieder in Analogie zum Kommunistischen Manifest mit dem Aufruf: „Habt Mut, euch eures Verstandes zu bedienen. Europäer aller Länder, vereinigt euch!“ (S. 45).

Fazit

Evelyn Roll hat ein mitreißendes, politisch fundiertes Plädoyer für Europa geschrieben. Sie deckt schonungslos die Machenschaften der Populisten auf und gibt Handlungsanweisungen, um sich dieser Gefahr zu widersetzen. Konnte sie die Mut-Bürger aktivieren, für Europa zu kämpfen? Heute kennen wir die weitere Entwicklung. In Frankreich konnte sich die rechtspopulistische Partei von Marine Le Pen bei der Parlamentswahl 2017 nicht durchsetzen. Der Brexit ist jedoch vollzogen und der Populist Boris Johnson ist Premierminister geworden.

Die Europawahlen 2019 liegen ebenfalls hinter uns. Gegenüber der Wahl 2014 wurde eine größere Wahlbeteiligung verzeichnet und zum Glück konnte ein gesamteuropäischer Wahlsieg der populistischen Parteien verhindert werden. Aber sind wir schon am Ende unseres Ziels? Können wir Entwarnung geben? Leider ist das Buch „Wir sind Europa!“ immer noch aktuell. Immer noch viel zu wenige Bürger setzen sich für die Interessen von Europa ein. Das Buch bleibt deshalb weiterhin brandaktuell und lesenswert. Wir müssen den proeuropäischen Zeitgeist beflügeln.

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