Freitag, 10. Januar 2020

Rezension zu Heribert Prantl: Trotz alledem!

Prantl, Heribert (2016), Trotz alledem! Europa muss man einfach lieben, Suhrkamp Verlag.

Rezension

Autor: Kai Pawlowski

In dem Buch „Trotz alledem! Europa muss man einfach lieben“ spricht sich der Journalist, Jurist und Autor Heribert Prantl für die Europäische Union aus, die er als eine der größten Errungenschaften in der Weltgeschichte ansieht. Obwohl im Buch vor allem die Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten und Herausforderungen der Europäischen Union betont werden, zeigt Prantl auf, dass es ohne die Europäische Union nicht geht.

Er möchte die Chancen und Möglichkeiten der Europäischen Union aufzeigen und plädiert für ein neues, demokratisches, soziales und bürgernahes Europa, das nicht von Macht und Eigennutz geprägt ist. Prantls Buch ist ein Mutmacher für die Befürworter der Europäischen Union und zeigt, dass Europa durchaus gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen kann. Das Buch hat insgesamt 93 Seiten. Es ist nicht in Kapitel unterteilt. Allerdings gibt es immer wieder Absätze, die einen Themenwechsel signalisieren. Prantl beginnt mit einem Zitat von Ferdinand Freiligrath aus dem Jahr 1848:

„Das ist der Wind der Reaktion,
Mit Meltau, Reif und alledem!
[…]
Doch sind wir frisch und wohlgemut,
Und zagen nicht trotz alledem!
In tiefer Brust des Zornes Glut,
Die hält uns warm trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es gilt uns gleich trotz alledem!
Wir schütteln uns: Ein garst’ger Wind,
Doch weiter nichts trotz alledem!“ (S. 7)

Dieses Zitat beschreibt meiner Meinung nach sehr gut, was Prantl den Lesern vermitteln möchte: Ja, Europa steckt aktuell in der Krise. In vielen Ländern Europas brandet der Nationalismus wieder auf. Großbritannien verlässt die Europäische Union und auch in anderen Ländern gibt es großes „antieuropäisches Potenzial“ (S. 11), wie Prantl es nennt. In Deutschland ist zum Beispiel die EU-feindliche Partei AfD im Aufschwung. Prantl nennt weitere Länder, wie zum Beispiel Ungarn, Italien, Polen oder die Niederlande, in denen „Anti-Europäer“ (S. 11) ebenfalls viel Zustimmung erhalten. Doch:
„Trotz alledem! Dieses Europa ist das Beste, was den Deutschen, den Franzosen […] in ihrer langen Geschichte passiert ist“ (S. 12f).
Dank der Europäischen Union herrscht Frieden und dieser Frieden steht ohne Europäische Union in Zukunft auf dem Spiel. Wir sehen diesen Frieden inzwischen als selbstverständlich an. Wenn man in den Nahen Osten schaut, sieht man aber, dass von Selbstverständlichkeit nicht die Rede sein kann. Im Zitat von Ferdinand Freiligrath heißt es: „Wir schütteln uns“. Prantl zeigt dem Leser, dass es aktuell viele Probleme in Europa gibt, aber er zeigt eben auch, dass man diese Probleme abschütteln kann und es „trotz alledem“ ohne die Europäische Union kein zukunftsfähiges Europa geben kann.


Die Grundaussage, die Prantl in seinem Buch vermitteln möchte, sollte nun geklärt sein. Im Folgenden habe ich mir ein paar konkrete Bereiche herausgesucht, auf die Prantl im weiteren Verlauf eingeht. Die Europapolitik leidet laut Prantl an drei Dingen:
„Sie leidet erstens an zu wenig Demokratie. Sie leidet zweitens daran, dass sie unsozial ist.“ (S. 15).
Laut Prantl sollen die EU-Bürger spüren, dass die EU für sie da ist und ihre Interessen erhört werden. Des Weiteren sollen sie erkennen, dass Europa nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein soziales Anliegen ist.
„Und drittens fehlt ihr […] eine Marseillaise“ (S. 15).
Die Marseillaise ist die französische Nationalhymne. Ich denke, hier kritisiert Prantl, dass es in Europa kaum ein europäisches Wir-Gefühl gibt. Er wünscht sich, dass in Europa wieder eine „europäische Euphorie“ (S. 16), wie in der Nachkriegszeit, entfacht wird und die Tristesse verschwindet.

In der Folge schreibt Prantl, dass die Politiker der Europäischen Union oft sehr stolz auf die Freiheit, die sich den EU-Bürgern bietet, sind. Es gibt keine Grenzen und man kann sich frei durch Europa bewegen. Besorgniserregend ist jedoch die Tatsache, dass die EU-Bürger in der Regel von Norden nach Süden reisen und von Süden nach Norden migrieren.
„Solange das so einseitig, so gegenläufig ist, so lange ist Europa keine runde Sache“ (S. 22).
Prantl kritisiert vor allem den Umgang mit Griechenland. Laut ihm war es zu früh, Griechenland in den Euro einsteigen zu lassen. Die Wirtschaftsdaten Griechenlands waren gefälscht, doch darauf wurde nicht geachtet, weshalb es zur griechischen Staatsschuldenkrise kam. Daraufhin wurden in Griechenland die soziale Infrastruktur, das Gesundheitssystem, öffentliches Eigentum, die Demokratie usw. eingestampft und Griechenland sitzt nun auf einem gewaltigen Schuldenberg. Prantl fordert deshalb einen Schuldenerlass, besonders von deutscher Seite. Deutschland hat schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls einen Schuldenerlass erlebt. Auch andere Südstaaten hat die Finanzkrise sehr getroffen. Die Lage der Südstaaten in Europa muss sich verbessern und da ist die Europäische Union gefordert, nach Lösungen zu suchen.

Des Weiteren kritisiert Prantl, dass man die EU aktuell nicht wirklich als Wirtschaftsgemeinschaft bezeichnen kann. Die Nationalstaaten sind keine Partner, sondern auf Konkurrenz ausgerichtet, was sehr destruktiv ist.

Zudem befürchtet Prantl, dass viele EU-Bürger sich aktuell bedroht fühlen. Für viele stellen die zahlreichen Flüchtlinge eine Bedrohung dar. Die terroristischen Anschläge haben die Wunschvorstellung verdrängt, dass man die Gewalt außerhalb von Europa halten kann.

Die größte Gefahr kommt laut Prantl von innen. Es sind wieder neue Nationalismen entstanden. Der „Anti-Europäismus“ (S. 30) und der Hass gegen Ausländer und Einwanderer haben deutlich zugenommen. In Großbritannien hatten diese Anti-Europäer bereits Erfolg. Diese Anti-Europäer wollen das jetzige Europa zerstören und das „alte“ Europa wieder aufleben lassen. Doch genau davor warnt Prantl: In Europa gebe es schließlich so wenige Schranken, Grenzen und Hemmnisse wie noch nie.
„Europa ist ein anderes Wort für Zukunft“ (S. 33).
Infolgedessen zählt Prantl einige Dinge auf, die in der EU gerade nicht gut laufen: Die Mittelschicht löst sich auf, die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer und in den Staaten Südeuropas hat die Jugendarbeitslosigkeit enorm zugenommen. Europa ist zu einem Synonym für Krise geworden. Zu nennen sind hier zum Beispiel auch die Finanz-, Flüchtlings- oder Brexit-Krise. Die aktuellen Probleme beschreiben laut Prantl aber nicht das Projekt Europa, sondern seine Irrwege und Abgründe.
„Europa ist etwas anderes als die Summe seiner Fehler“ (S. 34).
Die Menschen haben es sich angewöhnt, nur einen Blick für das zu haben, was gerade nicht gut läuft. Prantl findet es gerechtfertigt, dass man die EU kritisiert, aber laut ihm darf man auch nicht vergessen, das Positive zu sehen: die offenen Grenzen, die gemeinsame Währung, das gemeinsame europäische Gericht, gemeinsame Gesetze usw.
„Wir haben verlernt, das Wunder zu sehen“ (S. 36).
Viele EU-Bürger haben laut Prantl aktuell wirtschaftliche Sorgen und soziale Ängste. Sie haben Angst vor dem Terror, vor der Globalisierung und davor, dass sich ihr Leben zu schnell verändert. Diese Menschen glauben aber nicht, dass die EU diese Probleme lösen kann, da sie die EU nur als Nutzgemeinschaft für die Wirtschaft und die Finanzindustrie und nicht als Schutzgemeinschaft für die Bürger sehen.
„Europa muss Heimat werden für die Menschen“ (S. 38).
Und das geht laut Prantl nur, wenn die EU sozialer und demokratischer wird. Deshalb muss vor allem das Europäische Parlament gestärkt werden. Der Rat und die Kommission sind immer noch stärker als das Parlament. Das Parlament hat in letzter Zeit zwar an Bedeutung gewonnen, ist für Prantl aber immer noch nicht wichtig genug. Zudem verliert es an Zustimmung der Europäer, und die Wahlbeteiligung nimmt ab. Die schwache Wahlbeteiligung zeigt:
„Dieses Europa ist noch nicht das Europa der Bürger. Es ist ein Europa der Eliten“ (S. 55).
Prantl fordert, dass Europa sozial, bürgernah und menschlich wird. Das Europäische Parlament soll dabei demokratischer Repräsentant der Europäer werden. Das Vertrauen der Bürger soll zurückgewonnen werden. Die Bürger wollen spüren, dass Europa auch für sie da ist und nicht nur für die Banken, den Handel usw. Auch der Europäische Gerichtshof spielt dabei eine wichtige Rolle. Er soll die Grundrechte der Bürger stärken. Bei den Persönlichkeitsrechten in Bezug auf Datenschutz sei das schon gelungen, bei den sozialen Grundrechten noch nicht.

Außerdem fühlen sich laut Prantl viele Menschen in Europa aktuell heimatlos. Es muss Ziel sein, dass diese Menschen sich beheimatet, geschützt und sicher fühlen. Erst wenn das gelingt, haben diese Menschen auch die Kraft, Geflüchtete und Heimatlose aufzunehmen und selbst Schutz zu gewähren. Diese Kraft muss aus den Grundrechten und der sozialen Politik kommen, die den Menschen eine Heimat gibt.

Zum Thema Brexit meint Prantl, dass der Protest gegen soziale Missstände geschickt auf Europa gelenkt wurde durch falsche Statistiken und Lügen. Der Wahlkampf sei manipulativ gewesen. Eine gute deutsche Antwort auf den Brexit wäre laut Prantl eine deutsche Volksabstimmung. Abgestimmt werden sollte aber nicht über einfaches „Ja“ oder „Nein“ zur Europäischen Union, sondern über ein konkretes Modell mit bestimmten politischen Zielsetzungen. Dafür wäre aber eine lange und überlegte Debatte in Deutschland notwendig.

Schließlich hält Prantl fest, dass die Europäische Union vor allem Antworten auf die neuen Nationalismen in Europa finden muss. Diese dürfen nicht weiter an Stärke gewinnen. Zudem muss Bürgervertrauen wiederhergestellt werden, sodass Europa ein Europa der Bürgerinnen und Bürger wird. Europa ist ein Zukunftsprojekt der Vielfalt und Toleranz:
„Das europäische Haus ist keine Reihenhaussiedlung. Es ist ein großes Haus mit vielen Räumen, vielen Türmen, vielen Kulturen und vielen Arten von Menschen. Dieses Haus bewahrt die europäische Vielfalt und den Reichtum, der sich aus dieser Vielfalt ergibt. Dieses Haus ist die Heimat Europa“ (S. 89f).
Das Buch endet mit dem Satz: „Europa muss man einfach lieben!“ (S. 93).

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