Samstag, 9. März 2019

Euroskeptizismus – ein von den Medien aufgebauschtes Phänomen oder eine wirkliche Gefahr für die EU?

Frankreich, Dänemark und England. Was haben diese Staaten gemeinsam? Sie alle waren nach den letzten Europawahlen in den Medien und die Liste ließe sich fortsetzen. Etablierte Volksparteien in der EU büßen gegenwärtig Wählerstimmen ein (vgl. Zabel 2017, S. 21). Unzufriedenheit und Unmut gegen das europäische Integrationsprojekt scheinen zu wachsen und mit ihnen die Stimmen für Parteien wie Front National (Frankreich), UKIP (Großbritannien) oder Dänische Volkspartei (Dänemark), die allesamt Stimmung gegen Brüssel machen. Wie ist diese Skepsis gegenüber der EU zu werten? Ist die EU dadurch wirklich in Gefahr? Oder ist all das ein durch die Medien aufgebauschtes Phänomen?

Es stellt sich die Frage, was die Europäische Union für ihre Bürger ist. Sie könnte ein Zusammenschluss sein, der Wohlstand und Einheit schafft. Viele Kritiker* der EU sind sich einig, dass das Integrationsprojekt negative Auswirkungen auf die darin lebenden Bürger und die Nationalstaaten hat. Wirtschaftskrisen in einzelnen Ländern oder die Flüchtlingskrise lassen skeptische Töne an der Arbeitsweise der EU laut werden. Vorhaben wie der Brexit drohen diese Kritik in konkrete Taten umzusetzen, weil ein Land die EU zum ersten Mal tatsächlich zu verlassen droht (vgl. Piepenbrink 2019, S.3).

Dabei reicht der Grad an Ablehnung der EU von punktueller Kritik an bestimmten Vorhaben oder Strukturen hin zu weitreichender Skepsis oder gar kategorischer Ablehnung (vgl. Hrbek o.J.). Die dabei gefürchteten Herausforderungen können sowohl ökonomischer Natur sein, wie Angst vor Arbeitsplatzverlust oder hohen kollektiven Kosten für schwächere Länder, die mehr vom EU-Haushalt profitieren als sie selbst einzahlen. Ebenso gibt es Bedenken, die sozio-kultureller Natur sind, weil Bürger den Verlust nationaler Identität fürchten oder offene Grenzen mit dem Anstieg organisierter Kriminalität gleichsetzen (vgl. Zabel 2017, S. 34 ff.).

Wo verläuft die Trennlinie zwischen (konstruktiver) Kritik und fundamentalistischer Euroskepsis? So vielschichtig die Ursachen und Erklärungsansätze für Skepsis gegenüber der Europäischen Union sind, so unterschiedlich sind die Ausprägungen des vielfach diskutierten Phänomens Euroskeptizismus an sich.

Dieser Blogeintrag wird sich zunächst mit Ursprung und Dimensionen des Begriffs Euroskeptizismus (im Folgenden auch: E.) auseinandersetzen und die jüngste Eurobarometer-Umfrage zusammenfassen, die die aktuelle Stimmung der Bürger auf EU-Ebene beschreibt. In der Folge sollen die Wechselwirkungen zwischen Mikroebene (Individuum) und Mesoebene (Parteien) skizziert sowie die Medienberichtserstattung über die EU in den Blick genommen werden. Im Anschluss daran werden Erklärungsfaktoren für E. herangeführt und ein Fazit bezüglich der tatsächlichen Gefahr von E. für die Europäische Union gezogen.

Ursprünge und Begriffsklärung

Der Begriff Euroskeptizismus wurde zunächst in Großbritannien (euroscepticism) im Zuge der Entwicklung des Binnenmarktes sowie der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags verwendet, der die Zusammenarbeit der EU-Staaten in Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Inneres regeln sollte (vgl. Leconte 2010, S. 12 f.). Im Verlauf dieser Entwicklung fand der Terminus vermehrt, auch über die Grenzen Großbritanniens hinaus, von Politikern und Journalisten Anwendung. Bemerkenswert hierbei ist, dass E. zunächst polemisch für die Beschreibung von EU-Kritikern, heute jedoch ebenfalls im wissenschaftlichen Sprachgebrauch verwendet wird (vgl. ebd.).

Missverständlich wird der Begriff deshalb, weil mit „Euroskeptizismus“ (das gilt auch für diesen Blogeintrag), welcher inzwischen synonym mit „Europaskeptizismus“ verwendet wird, nicht die Orientierung gegenüber der Währung, sondern der EU als Ganzes gemeint ist. Zudem lässt sich darüber streiten, was unter Skeptizismus zu verstehen ist. Es gibt zahlreiche Versuche, den Begriff einzugrenzen. Eine mögliche Definition, die viele Dimensionen des Phänomens einschließt, ist die folgende:
„[…] Euroskeptizismus könnte definiert werden […] als in Verhalten und Kommunikation zur Schau getragene Einstellungen und Meinungen […], welche Zweifel ausdrücken an der Erwünschtheit und/oder den Vorteilen und/oder der langfristigen Funktionsfähigkeit der Europäischen Integration […] in Bezug auf einige wichtige Aspekte dieses Gefüges aus Institutionen, Prozessen und Politikfeldern und/oder in Bezug auf ihre für die Zukunft erwartete Gestaltung.“ (Ehlers 2018, S. 3)
Diese Definition verdeutlicht die Mehrdimensionalität von Euroskeptizismus. Es gibt zahlreiche Versuche, den Begriff zu klären, weshalb nachfolgend drei sehr gängige Unterscheidungen aufgezeigt werden.

Eine sehr häufige Art, euroskeptische Ausprägungen zu differenzieren, ist die Dichotomie zwischen „hartem“ und „weichem“ E.. Diese geht auf Szczerbiak/Taggart (vgl. 2003, S. 238 f.) zurück und unterscheidet zwischen einer „militant-feindselige[n] Ablehnung“ (ebd.), die sich bis zur Befürwortung des EU-Austritts erstreckt, und einer eher gemäßigt-kritischen Skepsis gegenüber bestimmten Vorhaben oder Institutionen der EU. Letztere richtet sich nicht pauschal gegen die EU als Ganzes.

Wie hart bzw. weich Euroskeptizismus nun im Einzelfall ausgeprägt ist, hängt zweifelsohne von der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters ab. Deshalb können weitere Kategorisierungsmaßstäbe festgelegt werden, die genauer nach Dimensionen, Motiven und Einstellungen fragen. Geht es den Skeptikern um Selbstprofilierung aufgrund strategischer Wahlkampfbestrebungen oder kühle Kosten-Nutzen-Kalküle? Oder ist die Kritik eher ideologischer Natur?

Petr Kopecky und Cas Mudde (vgl. 2002, S. 300 ff.) geht die Definition in hart und weich nicht weit genug, weshalb sie eine weniger inklusive, aus ihrer Sicht präzisere Unterteilung vorschlagen. Sie differenzieren zwischen diffusen und spezifischen Einstellungen gegenüber der EU. Erstere unterscheidet zwischen Befürwortung und Ablehnung bezüglich der Souveränitätsübertragung von nationalen auf supranationale Institutionen. Es wird somit zunächst die Frage nach Europhilie bzw. Europhobie gestellt. Letztere hingegen bezieht sich auf die Ausgestaltung dieser Prozesse durch die EU und beantwortet die Frage nach EU-Optimismus bzw. EU-Pessimismus. Daraus ergeben sich vier Idealtypen:

Euroenthusiasten, die sowohl europhil als auch optimistisch gegenüber der EU eingestellt sind, oder die strikten Gegner der EU, die keine dieser beiden Einstellungen teilen. „Dazwischen“ gibt es die Euroskeptiker, die zwar generell europhil, jedoch eher pessimistisch gegenüber bestimmten Vorhaben eingestellt sind, bzw. Europragmatiker, die europhob, jedoch optimistisch bezüglich bestimmter Vorhaben, die für sie Gewinne bringen könnten, gesinnt sind (vgl. ebd.). Um dies zu verdeutlichen, kann folgende Matrix zur Veranschaulichung herangezogen werden:



Europhilie
Europhobie
EU-Optimismus
Euroenthusiasten
Europragmatiker
EU-Pessimismus
Euroskeptiker
Eurogegner
Eigene vereinfachte Darstellung nach Petr Kopecky und Cas Mudde (vgl. 2002, S. 300 ff.).

An dieser Matrix lässt sich kritisieren, dass Euroskeptikern hier pauschal EU-Pessimismus unterstellt wird. Wie die Dichotomie zwischen weichem und hartem Euroskeptizismus zeigt, ist das Fundament, auf dem E. basiert, in seiner Ausprägung jedoch so verschieden, dass eine Pauschalisierung auf eine gemeinsame pessimistische Grundeinstellung hier nicht angemessen erscheint.

Ehlers (vgl. 2018, S. 7 f.) bezieht sich zudem auf Christopher Flood und Simon Usherwood, die eine andere Art der Differenzierung vorschlagen und in Maximalisten, Reformisten, Gradualisten, Minimalisten, Revisionisten und Rejectionisten unterteilen. Die Unterteilung erfolgt gemäß dem Grad der Intensität von pro- bis antieuropäischen Einstellungen. Da ihrer Ansicht nach vor allem der weiche E. einer weiteren Kategorisierung bedarf, stellen sie hierbei den Revisionisten und den Reformisten in den Vordergrund.

Während europafreundliche Reformisten ggf. weitere Schritte unternehmen möchten, um eine Neuausrichtung des Integrationskurses zu bewirken, haben Revisionisten das Ziel, Vertragsreformen o.ä. rückgängig zu machen. Maximalisten befürworten weitere EU-Integrationsschritte in dieser Unterteilung am meisten. Vom Gradualisten bis zum Minimalisten nimmt diese Befürwortung ab und der Wunsch, den Status quo zu erhalten bzw. Integrationsschritte rückgängig zu machen, zu. Gradualisten und Minimalisten wären also eher den harten Euroskeptikern zuzuordnen.

Die unterschiedlichen Versuche zur Differenzierung des Begriffs zeigen seine Mehrdimensionalität. Es ist utopisch, all diese unterschiedlichen Definitionskriterien auf jeden potentiellen Fall von Euroskeptizismus treffgenau anwenden zu können. Ob nun aber eine dichotome Unterteilung (hart vs. weich) nach Szczerbiak/Taggart, eine Vierfeldermatrix wie bei Petr Kopecky und Cas Mudde oder aber eine Kategorisierung gemäß des Intensitätsgrads der Ablehnung der EU (Christopher Flood und Simon Usherwood) vorgenommen wird, euroskeptische Haltungen müssen in ihrer Breite betrachtet werden, statt sie über einen Kamm zu scheren.

Die Dimensionen sind vielfältig, weshalb die Hintergründe im Einzelfall genauer betrachtet und Äußerungen auf ihren Ursprung hin untersucht werden müssen. Fest steht, dass es diese euroskeptischen Einstellungen gibt - wie hart oder weich sie jeweils sind, sei dahingestellt – und dass sie Einzug in die politische Debatte gefunden haben. Im Folgenden soll deshalb anhand der Eurobarometer-Umfragen ein aktuelles Stimmungsbild der EU-Bürger skizziert werden.

Die EU-Bürger im Blick: Ergebnisse der jüngsten Eurobarometer-Umfrage

Seit 1973 finden halbjährlich Eurobarometer-Umfragen statt, die das Meinungsbild der europäischen Bevölkerung widerspiegeln und von der Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben und koordiniert werden. Die Umfragen sind repräsentativ, wobei das Fragerepertoire, außer bei aktuellen Themen wie Gesundheit, Kultur oder Währung, unverändert bleibt. Hierbei wird jedoch kritisiert, dass die regionale und lokale Dimension der EU-Politik nicht hinreichend erfasst wird (vgl. Novy o.J.).

Im Folgenden sollen einzelne, für das Phänomen Euroskeptizismus relevante Aspekte der letzten Eurobarometer-Umfrage vom November 2018 herangezogen werden. Anhand der Umfrageergebnisse kann versucht werden, eine erste Einschätzung über das Maß der Skepsis, das der EU derzeit entgegengebracht wird, zu bekommen.

Bei den Umfragen wurden alle Mitgliedstaaten der EU sowie die Bewerberländer Albanien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei sowie der nicht von der Regierung kontrollierte Teil Zyperns (türkisch-zyprische Gemeinschaft) miteinbezogen (N.N. 2018, S.3 f.). Die Umfragewerte können zweifelsohne von aktuellen politischen Ereignissen beeinflusst werden, von denen im Folgenden selbstverständlich nicht alle genannt werden können. Es sollen jedoch die wichtigsten Ereignisse, die zum Zeitpunkt der Umfrage unter den Bürgern für Angst und Skepsis gegenüber der Europäischen Union gesorgt haben könnten, kurz genannt werden.

So kam es in den Monaten vor der aktuellen Eurobarometerbefragung zu wichtigen Wahlen, wie den nationalen Wahlen in Ungarn, die Viktor Orbán mit seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz für sich entscheiden konnte, oder den Wahlen in Italien, bei denen das von Guiseppe Conte vorgeschlagene Kabinett mit Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega vereidigt wurde. Im November 2018 wurde außerdem das Austrittsabkommen Großbritanniens gebilligt. „Frankreich (12. Mai, Paris), Belgien (29. Mai, Lüttich) und die Niederlande (31. August, Amsterdam) wurden Ziele terroristischer Anschläge“ (ebd., S.4). Auch während der Eurobarometerbefragung waren die „gilets jaunes“ (Gelbwesten) in Frankreich aktiv. Ursprünglich ging es bei den Protesten um geplante Kraftstofferhöhungen, die Proteste weiteten sich aus auf Themen wie Lebenshaltungskosten, Steuern oder der Erhöhung des Mindestlohns (vgl. ebd.).

Bei der Frage nach dem generellen Vertrauen in die EU lassen sich gemäß dem Eurobarometer vom Herbst 2018 länderspezifische Unterschiede feststellen: In den skandinavischen Ländern sowie Deutschland, aber auch Litauen, Portugal oder Malta lagen die Antworten der Bürger, die der EU „eher vertrauen“, zwischen 65 und 51 Prozent. Eher skeptisch scheint hingegen die Bevölkerung Italiens, Griechenlands, Tschechiens, Ungarns oder des Vereinigten Königreichs, deren Werte zwischen 36 und 26 Prozent lagen (vgl. ebd., S. 5 f.).

Das Bild über die Europäische Union an sich kann sich mit dem Jahr 2009 messen, als 48 Prozent ein positives Bild von der EU hatten, was vergleichsweise (zu den vorhergehenden Werten) hoch ist. Beim jüngsten Eurobarometer waren es 43 Prozent, wobei wieder Länder wie Italien, Griechenland, Frankreich oder das Vereinigte Königreich unter die skeptischsten Ländern mit den negativsten Werten gegenüber der EU zählen, da bis zu 35 Prozent der Bürger dieser Länder ein negatives Bild von der EU haben (vgl. ebd., S. 8 f.).

Ermutigend ist dagegen, dass immerhin 49 Prozent der Europäer glauben, dass ihre Stimme in der EU „etwas zählt“. Fragt man die Bürger der EU nach ihrer Meinung zur wirtschaftlichen Lage, fallen die Meinungen gemischt aus: „In 16 Ländern […] betrachtet eine Mehrheit der Befragten die nationale Wirtschaftslage als gut, allen voran auf Malta (95%), in Luxemburg (91%) und in den Niederlanden (91%)“ (ebd, S.22). Diese Ansicht teilen zudem acht von zehn Bürgern in Dänemark, Deutschland und Schweden sowie Österreich. Schlechter fällt das Urteil in Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und dem Vereinigten Königreich aus, wo nur jeder dritte bis vierte Bürger dieser Meinung ist (vgl. ebd, S.24).

Kritisch betrachtet kann zu diesen Umfrageergebnissen gesagt werden, dass die Antwortmöglichkeiten in der Befragung mit „stimme eher zu“, „weiß nicht“ oder „stimme eher nicht zu“ wenig Raum für freie Äußerungen der Bürger zulassen. Dafür gibt es bei den Eurobarometerumfragen einen Teil der Umfrage, der die dringlichsten Sorgen der Bürger abfragt. Die folgenden Stichworte (Priorität absteigend) wurden dabei am häufigsten genannt: Einwanderung, Terrorismus, Finanzen einzelner Mitgliedsstaaten, Arbeitslosigkeit, Klimawandel, der weltweite (diplomatische) Einfluss der EU, Kriminalität und Inflation. Am wenigsten dringlich schätzen die EU-Bürger insgesamt derzeit die Themen Umwelt, Rente, Steuern und Energieversorgung ein (vgl. ebd., S.14).

Ebenso interessant wie die dringlichsten Sorgen der EU-Bürger dürften die Gewinne durch die EU sein. Welche Errungenschaften möchten die EU-Bürger nicht entbehren? „Eine große Mehrheit der EU-Bürger befürwortet die Freizügigkeit der EU-Bürger, die überall in der EU leben, arbeiten, studieren und Geschäfte machen können […]“ (ebd., S. 31). Die Mehrzahl der befragten Bürger (bis zu drei Viertel) würden weitere integrative Vorhaben, die die Mitgliedsstaaten besser vernetzen, befürworten: Energie-, Handels- und Einwanderungspolitik werden vermehrt als unterstützenswert angesehen. Nur der Erweiterung um weitere EU-Staaten stehen viele der Befragten skeptisch gegenüber, 45 Prozent sprachen sich dagegen aus (vgl. ebd., S. 31). Dabei wurden exemplarisch von einem Fünftel bis zu einem Viertel der Befragten Austauschprogramme wie ERASMUS, ein diplomatischer Einfluss der EU auf andere Staaten, Sozialleistungen und die Wirtschaftskraft als positive Errungenschaften genannt (vgl. ebd., S. 36).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Vertrauen in die EU stabil bleibt und mehr der Befragten ein positives (43 Prozent) als ein negatives Bild (20 Prozent) der EU haben (vgl. ebd., S. 8). Auch die Ansicht, dass die eigene Stimme etwas zählt und bewirken kann, ist zum ersten Mal von mehr Bürgern bejaht als verneint worden. Eher skeptisch sind die Bürger bezüglich der Auswirkungen der wirtschaftlichen Krisen auf den Arbeitsmarkt. Optimistisch und dankbar sind sie in Bezug auf den freien Güter- und Personenverkehr sowie den Frieden zwischen den EU-Staaten.

In Bezug auf das Phänomen Euroskeptizismus bedeutet dies einerseits, dass keine Mehrheit der EU-Bürger skeptisch gegenüber der EU als Ganzes gesinnt ist. Im Gegensatz dazu ist die Akzeptanz der EU verhältnismäßig groß, wie auch dieses Video über das Eurobarometer im Frühjahr 2018 zeigt.

Trotz der Zustimmung von nahezu der Hälfte der EU-Bevölkerung scheint es selbstverständlich, dass die Bürger sich um aktuelle Krisen und Entwicklungen sorgen. Themen wie Einwanderungspolitik oder die Lage auf dem Arbeitsmarkt werden priorisiert und ggf. einzelne Vorhaben der EU kritisiert, wie es der weiche E. macht. Harter Euroskeptizismus, wie er von populistischen Parteien oftmals proklamiert und von den Medien präsentiert wird, gibt es mit Sicherheit ebenfalls. Momentan scheint es aber nicht, als könne er eine Mehrheit der EU-Bürger für sich gewinnen, da ein erheblicher Teil der EU-Bevölkerung Errungenschaften wie Frieden zwischen den Mitgliedschaften oder den freien Güter- und Personenverkehr als wichtig und positiv erachtet (vgl. ebd., S.14.).

Die Parteiebene im Blick

Untersucht man die Mikroebene, so sind dies zunächst die Individuen eines Landes, die Bürger der EU, die in den Blick genommen werden müssen. Dies geschieht durch Umfragen, wie vorhergehend beschrieben. Es soll nun untersucht werden, ob sich E. auch auf der Mesoebene des politischen Systems finden lässt, und wenn ja, wie sich diese Ebenen wechselseitig beeinflussen.

Die Meinung der Bürger spiegelt sich in der Regel in Wahlen wider, indem sie bestimmte Parteien, die diverse Programme und Ansichten repräsentieren, wählen. Diese gehören der Mesoebene an (vgl. Taggart & Szczerbiak 2004, S. 80). Wieso vertreten Parteien euroskeptische Haltungen und wie beeinflusst dies den politischen Diskurs? Die Frage ist nicht, ob es die Interdependenz zwischen diesen beiden Ebenen, den Parteien und Bürgern, überhaupt gibt. Laut Taggart & Szczerbiak (ebd.) sei die Leitfrage stattdessen die folgende: „The key question is whether public opinion determines the shape of party competition, or whether party competition determines public opinion.“ Diese Interdependenz wird nachfolgend näher betrachtet, um die Dynamik von E. besser zu verstehen. 

Zunächst einmal gilt: Parteien haben grundsätzlich verschiedene Ziele, die sie mit Positionierungen verfolgen, wobei ihnen damit nicht ausschließlich strategisches Handeln unterstellt werden soll. Dennoch möchten sie Stimmen maximieren und Wähler gewinnen (vote seeking), um politisch handlungsfähig zu sein. Damit einhergehend streben sie nach politischen Ämtern, in denen sie tätig werden können (office seeking) und nach dem Umsetzen der Politikvorstellungen (policy seeking). Zum anderen ist der innerparteiliche Zusammenhang wichtig: cohesion seeking (vgl. Ehlers 2018, S. 43).

Auch im Hinblick auf den Aspekt der europäischen Integration positionieren sich Parteien entsprechend dieser Kriterien. Dabei mag es für Parteien, die in der Regierung Verantwortung übernehmen wollen, nicht förderlich sein, sich dauerhaft dem Euroskeptizismus zu verschreiben. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt hieße dies, dass man damit (zumindest beim harten Euroskeptizismus) lediglich in der Oppositionspolitik erfolgreich wäre (vgl. ebd.). Inwiefern beeinflussen die Parteien mit ihren Bestrebungen die Bürger und umgekehrt?

Wechselwirkungen zwischen Bürgern und Parteien


Die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ebenen können mithilfe von top-down und bottom-up Prozessen beschrieben werden (vgl. Ehlers 2018, S. 48). Die top-down Prozesse beschreiben die Wirkung der Parteiposition auf die Bürger. Es ist davon auszugehen, dass die Wirkung einer bestimmten Parteiposition größer ist, wenn ein Bürger wenig über eine bestimmte Thematik Bescheid weiß.

Wenn eine Partei also beispielsweise eine skeptische Haltung gegenüber der EU einnimmt, ist gemäß dieser These davon auszugehen, dass die Bevölkerung diese schneller aufgreift, weil europäische Politik von vielen als überkomplex und nicht transparent wahrgenommen wird. Je breiter zudem der Konsens innerhalb einer Partei ist und nach außen hin präsentiert wird, desto größer ist auch die Wirkung auf potentielle Wähler, vor allem dann, wenn sich diese Position stark von anderen Positionen im Parteiensystem abhebt.

Ebenso spielen die generelle Glaubwürdigkeit, bestehende Konfliktlinien im Land und das Wahlsystem eine Rolle. Beim Verhältniswahlsystem geht man außerdem davon aus, dass Parteien weniger der Position der großen Parteien entsprechen möchten als in einem Mehrheitswahlsystem (vgl. Ehlers 2018, S. 49). 

Bei den bottom-up-Prozessen ist es zunächst einmal wichtig, dass EU-Themen für die Bürger bedeutsam sind. Ist dies der Fall, so werden Parteien diese Stimmung in der Bevölkerung aufgreifen und unter anderem zum vote seeking nutzen. Generell greifen Parteien natürlich die Stimmung der Bürger im Land auf, um damit politische Prozesse zu gestalten (vgl. ebd.).

Dies zeigt sich vor allem bei Wahlen. Wie am Anfang dieses Blogeintrags erwähnt, gewannen Parteien mit euroskeptischer Ausrichtung bei den Europawahlen 2014 deutlich an Stimmen. In Dänemark konnte die Dänische Volkspartei 23 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, in Großbritannien die UKIP 30 Prozent, aber auch in Österreich oder den Niederlanden gelangen der konservativen ÖVP bzw. der islamfeindlichen PVV Wahlerfolge im zweistelligen Bereich. In Griechenland erstarkte eine linke eurokritische Partei, die Syriza. Auch in Deutschland ist die AfD bei zahlreichen Landtagswahlen in den Landtag eingezogen, in Italien und Polen haben diese populistischen Parteien ebenfalls Erfolge zu verbuchen (vgl. Jardel & Huet 2014).

Selbst wenn sehr unterschiedliche Parteien zunächst eine gemeinsame Basis (Skepsis gegenüber der EU) haben, so unterscheiden sich die Kritikpunkte zwischen dem linken und rechten Spektrum. Ersterem geht es eher um Kritik an „Wirtschaftslobbyisten“, die Gerechtigkeit verhindern, und letzterem geht es um die Rückkehr zum Nationalstaat und dem vermeintlichen Schwund nationaler Souveränität (vgl. Di Fabio 2017, S. 54). Skepsis gegenüber der EU muss dabei kein Merkmal „extremer Parteien“ sein. Ein Zusammenhang zwischen EU-Skeptizismus und Populismus wird jedoch diskutiert. Ulrike Guérot begründet dies mit der These, dass „[wo] es noch kein politisches Substitut in Europa gibt, […] die Nation unverzichtbar [bleibt].“ (Guérot 2017, S. 23)

Diese „Erfolgsliste“ von Parteien, die der EU skeptisch gegenüberstehen, könnte natürlich weitergeführt werden. Erklärungsansätze für euroskeptische Positionen werden am Ende dieses Blogeintrags beleuchtet. Davor soll jedoch im nachfolgenden Abschnitt die Präsentation von E. in den Medien und deren Einflussnahme auf die Mikro- bzw. Mesoebene des politischen Systems hinterfragt werden.

Euroskeptizismus in den Medien

Mit ihrer Bezeichnung als die „vierte Gewalt“ im System der Gewaltenteilung erfüllen die Medien verschiedene Funktionen und stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürgern und politischen Systemen dar. Medien dienen zur Herstellung von Öffentlichkeit, zur Information und Kontrolle, um Platz für Kritik seitens der Bürger oder Interessengruppen sowie (Oppositions-) Parteien zu schaffen. Natürlich dienen sie auch der politischen Sozialisation, der Meinungs- und Willensbildung. Sie sind zugleich Anbieter von Informationen sowie Akteure im politischen Prozess (vgl. Ehlers 2018, S. 33).

Um zu verstehen, wieso über ein gewisses Thema (nicht) berichtet wird und wie ausgiebig und ausgewogen diese Berichtserstattung ist, gilt es, die Dynamik der Medienberichterstattung und die Auswahlkriterien für ein jeweiliges Thema zu verstehen. Dies Kriterien sollen im Folgenden kurz benannt werden (vgl. ebd., S. 34): 

Medien wählen Themen unter anderem nach dem Status und Bekanntheitsgrad der Akteure aus, denn je bekannter eine Person oder Institution ist, desto größer ist das Interesse der Öffentlichkeit. Der Nachrichtenwert wird außerdem an der Valenz, also wie kontrovers ein Thema ist, gemessen sowie an der Relevanz für den potentiellen Leser/Zuschauer. Je mehr sich dieser mit dem Sachverhalt identifizieren kann, desto größer ist die Chance, dass der Adressat auch emotional betroffen ist. Zudem ist es wichtig, ob Nachrichten mit Erwartungen übereinstimmen (Konsonanz) bzw. ob diese eine gewisse Dynamik entfalten und somit das mediale Interesse wecken.

Diese Auswahlkriterien können auf die Berichterstattung über die EU übertragen werden. Zunächst der Punkt des Status von Akteuren: Die EU besitzt zwar einen Kommissionspräsidenten oder EU-Kommissare, jedoch wird deren Bekanntheit geringer eingestuft als die von Regierungschefs oder Ministern auf nationaler Ebene, und Bürgern fällt es schwerer, sich zu identifizieren.

In Bezug auf die Relevanz ergibt sich das Problem, dass Bürger die EU als komplex und sperrig wahrnehmen und sich damit oftmals nur schwer in Verbindung bringen können. Deshalb werden politische Prozesse auf europäischer Ebene oftmals als wenig dynamisch wahrgenommen, da diese teilweise sehr langwierig sind. Die gewünschte Aktualität geht für manche Bürger somit verloren, auch wenn es diese Langfristigkeit für komplexe Entscheidungen zweifelsohne braucht.

Durch die aufgelisteten Auswahlkriterien für Nachrichten soll nicht der Eindruck entstehen, dass Medien lediglich nach kommerziellen Gesichtspunkten berichten. Allein der Unterschied der Berichtserstattung zwischen Boulevardpresse und Qualitätsmedien verdeutlicht dies. Medien agieren ebenso nach seriösen, politisch-meinungsbildenden Kriterien, um die Bürger zu informieren. Es sollte also nicht die Schuldfrage gestellt und das Erstarken von E. auf die Medien abgewälzt werden. Allerdings spiegeln die genannten Punkte Sorgen der Bürger wider, die sich teilweise von den Strukturen auf EU-Ebene überfordert fühlen.

Die Logik der Distanz bzw. fehlender Identifikation ist dabei von großer Bedeutung und wirkt eher verstärkend auf das Thema Euroskeptizismus. Boulevardzeitungen, die ggf. sehr einseitig kritisch berichten, haben gemäß den oben genannten Kriterien folgenden Vorteil. Die Berichterstattung seriöser Medien ist in der Regel weniger reißerisch, womit die Boulevardzeitung einen Vorteil bezüglich der (gewünschten) Dynamik hat und daher auf emotionale Identifikation abzielt. Ist gerade der harte E. also von den Medien aufgebauscht oder gar konstruiert? Diese Frage soll im Fazit beantwortet werden und vorher noch einige Erkenntnisse über die Berichterstattung der EU herangezogen werden.

Wie skeptisch über die EU berichtet wird, untersuchte bereits 2006 ein von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenes Projekt, "Adequate Information Management in Europe" (AIM). Dabei wurden zehn Länder der EU untersucht, wobei „[aus] jedem Land […] drei Zeitungen - eine nationale, eine regionale und eine "bekannte Tageszeitung" - sowie je eine Nachrichtensendung aus dem öffentlichen und dem Privatfernsehen ausgewählt [wurde.]“ (N.N. 2006).

Grundlage war, dass nur explizit von der EU handelnde Berichte miteinbezogen wurden. Die EU wurde dabei in der Hinsicht kritisiert, dass Informationen nicht auf spezielle Regionen ausgerichtet sind und dadurch keine lokale Relevanz und Nähe zeigen würden. Zudem fielen Thesen wie, "Medienkonsumenten […] wenige oder keine Vorkenntnisse über die EU [haben]" (Deutschland) oder, dass "EU-Themen […] zu abstrakt und irrelevant für Durchschnittsbürger [sind]" (Estland). (ebd.) Viele Redaktionen waren sich einig, dass sie verpflichtet seien, über aktuelle politische Ereignisse der EU zu berichten. Jedoch würde dies mit dem konventionellen journalistischen Konzept nach Adressatenbezug konkurrieren (vgl. ebd.).

Es ergibt sich somit ein Spannungsfeld zwischen kosmopolitischen, oftmals komplexen Themen, die in Brüssel diskutiert werden, und dem Wunsch nach einer Berichterstattung, die regionale und nationale Sorgen aufgreift und berücksichtigt. Könnte dieses Problem nicht durch vereinfachte, adressatengerechte Kommunikation behoben werden?

Mit der Kommunikation zwischen Politkern und Journalisten in Brüssel beschäftigte sich Plavec (2019, S. 32 ff.). „Über die Europäische Union wird seit Jahren vorrangig im Krisenmodus gesprochen. […] „Europa“ werde eben nicht richtig vermittelt, heißt es gerade in europhilen Kreisen.“ (ebd., S.32) Dabei wollte er der EU nicht ein Kommunikationsdefizit bescheinigen, ohne dies genauer zu untersuchen.

Laut ihm entsteht Kommunikationskultur dort, wo Politiker und Journalisten regelmäßig agieren, was in Brüssel tagtäglich auf EU-Ebene der Fall ist. Im Jahr 2016 befragte er deshalb 50 dauerhaft in Brüssel tätige Journalisten und Politiker zu deren Kommunikationskultur, wobei beide Seiten dieselben Fragen gestellt bekamen. Auffallend war zunächst, dass deren Arbeit mit dem jeweiligen Gegenüber weitestgehend als harmonisch angesehen wurde, denn es gäbe wenig Regelverstöße in Form falsch gelieferter Informationen o.ä..

Beide Seiten, Politiker und Journalisten, waren sich dabei einig, dass der durchschnittliche EU-Bürger deren Politik nicht verstehe, wenn diese nicht mit einem nationalen Dreh versehen sei. 70 Prozent der Befragten waren dieser Ansicht (vgl. ebd, S. 36). Sie sehen dies darin begründet, dass aus einem kosmopolitischen Rahmen eine auf die Nation oder Region zugespitzte Kommunikation erwartet würde.

Heterogener werden die Meinungen in Bezug auf ihre Kommunikationsrollen (vgl. ebd., S. 37): Politiker und Journalisten sehen sich beide in einer gemeinwohlorientierten Kommunikationsrolle, unterstellen aber jeweils der Gegenseite taktische oder gar egoistische politische Beweggründe in der Art, wie über Europapolitik kommuniziert wird, und sehen diese zeitgleich als Störfaktor in der Berichterstattung.

Statt jetzt in ein blame game zu verfallen, kann oben gestellte Frage nach einer schlicht einfacheren Kommunikation nach diesen Erkenntnissen eher mit einem Nein beantwortet werden. Es liegt vermutlich in der Natur der Sache, dass es schwierig ist, kosmopolitische Ereignisse mit dem gleichen Identifikationswert zu versehen wie Nachrichten auf regionaler Ebene.

Auf die Antworten aus seiner eigenen Befragung liefert Plavec Lösungsvorschläge zur Verbesserung. Es solle nicht zu verallgemeinernd berichtet werden und von gewohnten Formulierungen wie „Die Kommission hat entschieden“ konkreter zu „Die Vertreter aus...haben entschieden“ übergegangen werden (vgl. ebd., S.38). 

Zudem könnten mehr Kampagnen, die auf ein gesamteuropäisches Wir-Gefühl zielen, ggf. dem Gefühl der Distanz entgegenwirken (vgl. ebd.). Ob dies tatsächlich auch gewünscht ist und wie groß der Effekt dieser teilweise marginalen Veränderungen in der Berichterstattung tatsächlich wäre, kann in diesem Beitrag nicht beurteilt werden. Dennoch scheint es an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass die Wirkungskraft von Sprache und Kommunikation nicht zu unterschätzen ist.

Erklärungsansätze für Euroskeptizismus

Von der Sprache, die E. transportieren kann, abgesehen, gibt es zunächst einmal zwei Arten von Faktoren, die Euroskeptizismus auf der Mikro- oder der Mesoebene der Gesellschaft hervorrufen. Auf der einen Seite sind dies Kausalfaktoren, die ursächlich für kritische oder skeptische Haltungen gegenüber der EU sind, und auf der anderen Katalysatorfaktoren, die die Erklärungsmodelle weiter bestärken (vgl. Zabel 2017, S. 34 f.).

Zunächst zu den Kausalfaktoren: Auf der Mikroebene haben Bürger oftmals sozio-ökonomische Bedenken, die durch individuellen Kosten-Nutzen-Erwägung, ökonomischen Utilitarismus und ähnliche Überlegungen entstehen. Kollektive Zahlungen innerhalb der EU werden beispielsweise mit dem individuellen Nutzen verglichen und Länder, die viel vom EU-Haushalt profitieren, aber wenig beisteuern, schlicht als Last und ineffizient für das System betrachtet. Kritisch gesehen werden kann dieser Faktor insofern, als dass er den EU-Bürger sehr eindimensional, als nutzenorientierten homo oeconomicus darstellt (vgl. Zabel 2017, S. 35 ff.).

Es sollte klar sein, dass es mehrere Faktoren gibt, die Euroskeptizismus hervorrufen und diese ineinandergreifen. Den reinen homo oeconomicus wird man nur schwer finden, denn viele Bürger haben nicht nur den ökonomischen Nutzen im Sinn, wenn sie an die EU denken. Stattdessen kann stark ausgeprägter Identitäts- und Kulturbezug zu Euroskeptizismus führen.

Vor diesem Hintergrund kommt oft die Frage nach einer europäischen Identität und ob es diese überhaupt gibt. Ein Minimalkonsens an Wir-Gefühl („Wir Europäer“) wäre mit Sicherheit ein gutes Mittel gegen Skepsis, jedoch erscheint es schwierig, 28 (bald 27) Mitgliedstaaten auf dieser emotionalen Ebenen zu einen. Dabei fällt auf, dass je ausgeprägter das Nationalgefühl ist, desto schwerer wird es mit dem „Wir-Gefühl“ in Bezug auf die EU. Oftmals tritt an die Stelle des von Europhilen gewünschten Wir-Gefühls eher die Angst vor Kultur- und Souveränitätsverlust (vgl. ebd., S. 39 ff.).

Laut Zabel (vgl. 2017, S. 43 ff.) spiele ein niedriger Bildungsgrad und damit einhergehend wenig kognitive Mobilität bzw. Flexibilität unter den Bürgern Parteien mit euroskeptischer Ausrichtung in die Hände. Bestimmte Grundeinstellungen würden sich gemäß dieser Annahme leichter bei den Bürgern verfestigen und die EU nur noch als abstrakt und bedrohlich angesehen werden (wo sie es unter Umständen nicht ist). Die Wirtschafts- und "Flüchtlingskrise" lasse die EU in ständigem Krisenmodus erscheinen. Dagegen könne laut Zabel (vgl. ebd.) nur eine verbesserte Informationskultur (leichtere, weniger komplexe Sprache) und mehr Partizipationskanäle auf EU-Ebene wirken.

Unter dem Proxy-Modell versteht Zabel (vgl. 2017, S. 46 ff.) außerdem, dass aus Bequemlichkeit Trends nationaler Wahlen und Meinungen auf die EU-Ebene übertragen werden. Je mehr kognitive Mobilität vorhanden sei, desto weniger käme es zu diesem Übertragungseffekt nationaler auf europäische Wahlen.

Ergänzend zu Zabel scheint der Ansatz von Eppler und Maurer (vgl. 2016, S. 53 ff.) einleuchtend, der mit dem fehlenden Identitätsbewusstsein einhergeht, wonach Entscheidungen auf EU-Ebene für Bürger gefühlsmäßig nicht legitimiert seien, da es an kultureller Solidarität fehle (EU-Rettungsschirm). Solche Einstellungen führen dazu, dass Gewinne oft auf die Nationalstaaten zurückgeführt werden, Verluste oder Krisen jedoch auf die EU abgeschoben werden. Fälschlicherweise käme es dann bei manchen Bürgern zu der Annahme, die EU sei ein Korrektiv für soziale Missstände (vgl. ebd., S. 54) und wenn sie diese nicht ausräumt, dann ist sie eben eine Bedrohung für den nationalen Wohlfahrtsstaat.

Auf der Mesoebene machen sich Parteien die Interdependenz zwischen der Stimmung von Wählern und den Medien zunutze, sofern sie strategisch handeln (vote/office seeking) bzw. ideologisch auf einer Linie mit ohnehin skeptisch ausgerichteten Bürgern sind. Medien und Parteien fungieren damit als Katalysatorfaktoren, indem Krisen in der EU politisiert und Ängste wie Kulturverlust aufgegriffen werden (vgl. ebd., S. 53 ff.).

Natürlich darf nicht jeder Partei und jeder Zeitung oder Redaktion strategisches Denken unterstellt werden. Parteien, die ideologisch nicht mit euroskeptischen Einstellungen einhergehen, oder Zeitschriften, die kosmopolitisch ausgerichtet sind, werden dies auch dementsprechend widerspiegeln. Fakt ist jedoch, dass Bürger mit geringer kognitiver Mobilität verstärkt auf Medien zurückgreifen, die ihre eigene Sichtweise reproduzieren und sich ihre Einstellungen gegenüber der EU somit verhärten könnten (vgl. ebd.).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Kausal- und Katalysatorfaktoren für E. auf mehreren politischen Ebenen (Mikroebene sowie Mesoebene) greifen und Euroskeptizismus vor diesem Hintergrund wieder einmal als multidimensionale Erscheinung auftritt. Wie gefährlich kann E., unter Einflussnahme der Medien, nach diesen Erkenntnissen eingestuft werden?

Fazit

Abschließend soll damit die Leitfrage nach der tatsächlichen Gefahr von Euroskeptizismus beantwortet werden. In diesem Blogeintrag wurde schon in der anfänglichen Definition deutlich, wie schwierig es ist, Euroskeptizismus als Begriff zu fassen. Dies fängt schon allein beim Wort Skeptizismus an. Skepsis an der EU ist nicht gleichzusetzen mit absoluter Ablehnung, diese wird aber oftmals unter dem Begriff E. subsumiert. Dies kann den Eindruck erwecken, dass Euroskeptizismus eine die Politik auf europäischer Ebene bestimmende Erscheinung ist.

Eppler und Maurer (vgl. 2016, S. 52) kritisieren, dass der Begriff "Widerstände" besser geeignet sei und Widerstände oder Kritik im politischen Diskurs per se nichts Schlechtes darstellen. Kritik an sich gehöre zur Demokratie, nur wenn sie, wie in der harten Definition von E., in grundlegende unüberlegte Ablehnung übergehe, werde sie gefährlich (vgl. ebd.). Mängel gibt es jedoch nicht nur an dem Begriff E. an sich, denn sich daran aufzuhalten, war und ist nicht Ziel dieses Blogeintrags. Beleuchtet wurden vor allem die Wechselwirkungen zwischen Bürgern und Parteien sowie der Zusammenhang mit der Kommunikationskultur der Medien.

Abschließend erscheint es dabei wichtig, dass die Medien zum einen nicht über einen Kamm geschert werden dürfen und es qualitative Unterschiede in der Berichterstattung gibt. Quantitativ gesehen ist es schwierig, eine Aussage über das Erscheinen von E. in den Medien zu treffen, weil E. so facettenreich ist und nicht jeder kritische Artikel über die EU dämonisiert werden sollte. Maßgebend für eine demokratische Gesellschaft sollte es auf der einen Seite sein, dass es in jedem Land eine vielfältige Auswahl an nicht-populistischer, seriöser Berichterstattung gibt, und auf der anderen Seite einen interessierten Bürger, der bereit ist, sich seine Meinung auf Grundlage verschiedener Medien zu bilden.

Wachsamkeit und kognitive Mobilität seitens der Bürger könnten hier ein geeignetes Mittel gegen harten, fundamentalistischen Euroskeptizismus darstellen. Dies wäre vermutlich zielführender, als den Medien die Schuld für ein Phänomen in die Schuhe zu schieben, welches sie nicht selbst konstruiert, sondern (wenn überhaupt dann) verstärkt haben. Medien haben mit Sicherheit die Macht, Euroskeptizismus aufzubauschen und die Sicht einiger Bürger in Zeiten von Filterblasen unnötigerweise zu verhärten.

So sollten die Ursachen der Skepsis trotzdem ernst genommen werden. Kritische Debatten über die EU sind in jedem Fall wichtig und können gewinnbringend für den gesellschaftlichen Diskurs sein, solange sie nicht fundamentalistischer Art sind. Denn es gibt ebenso zahlreiche Stimmen für Europa, die die Medien bestimmen. So wendet sich der französische Staatschef Emmanuel Macron Anfang März 2019 an alle EU-Bürger, als er für einheitliche europäische Sozialstandards oder eine gemeinsame Grenzpolizei und Asylbehörde wirbt. Dass daraus wieder ein politischer Diskurs entsteht, der mitunter euroskeptische Äußerungen beherbergt, lässt sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht verhindern.

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*) Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die maskuline Form für Nomen gewählt wird, beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter

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