Donnerstag, 4. April 2019

Euopäische Union im Unterricht - Herausforderungen im Schulalltag

„Die Schule hat die Aufgabe, die Annäherung der europäischen Völker und Staaten und die Neuordnung ihrer Beziehungen bewusst zu machen. Sie soll dazu beitragen, dass in der heranwachsenden Generation ein Bewusstsein europäischer Zusammengehörigkeit entsteht und Verständnis dafür entwickelt wird, dass in vielen Bereichen unseres Lebens europäische Bezüge wirksam sind und europäische Entscheidungen verlangt werden. Die Schule hat zudem die Aufgabe, Respekt vor und Interesse an der Vielfalt der Sprachen und Kulturen zu wecken und auszubauen.“ (KMK 2008)
Diese Leitlinien hat die Kultusministerkonferenz erstmals am 8. Juni 1978 aufgestellt und am 5. Mai 2008 fortgeschrieben. Die Frage ist nun, wie werden die Empfehlungen umgesetzt und vor allem wie effektiv?
Eine Jugendstudie der TUI Stiftung fand beispielsweise heraus, dass sich lediglich 4% der Menschen zwischen 16 und 26 Jahren nur als Europäer(in) fühlen und weitere 12% würden sich zuerst als Europäer(in) und dann als Bürger(in) ihres Landes beschrieben. Ein großer Teil von 37% sieht sich nur als Bürger(in) seines Landes (vgl. Junges Europa 2017, S.9).

Diese geringe subjektive Relevanz, die auf eine fehlende europäische Identität verweist, zeigt sich ebenfalls bei der Beteiligung an Europawahlen im Juni 2014, bei der im Durchschnitt nur 43,09 der wahlberechtigten Europäer ihre Stimme abgaben (vgl. Interaktive Grafiken 2014).

Zusätzlich fand das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung im Sommer 2012 heraus, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Schwäbischen Alb „eher wenig“ über die Euro-Krise wissen (vgl. Schmitz 2012). Dieses Ergebnis reiht sich in eine Vielzahl von Studien ein, die bezüglich der politischen Kenntnisse der Bevölkerung über die Europäische Union (EU) ein negatives Bild zeichnen (vgl. Oberle 2012).

Die problematische Beziehung zwischen den Bürgern (zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden häufig nur die männliche Form verwendet, gemeint ist immer die weibliche und männliche Form) der BRD und der Organisation EU und das geringe Wissen steht damit im Gegensatz zur zunehmenden Bedeutung der Europäischen Union für unseren Alltag. Die Indifferenz insbesondere junger Menschen gegenüber der EU kann nicht befriedigen, wenn man davon ausgeht, dass die Zukunft der Europäischen Union auch die Zukunft der heutigen Schülerinnen und Schüler prägen wird.

Woran liegt das geringe Interesse von Schülerinnen und Schülern an europäischen Angelegenheiten und welchen Anteil hat die Schule an diesem Defizit? Leider hält die empirische Lehr-Lernforschung nur wenige Ergebnisse über die Alltagsrealität des schulischen Politikunterrichts und insbesondere des Europa-Unterrichts bereit.

Offensichtlich gilt aber, dass die Lehrpläne nicht identisch mit den im Unterricht realisierten Themen sind für europäische Themen in einem besonderen Maß. Denn trotz einer umfänglichen Verankerung europapolitischer Themen in den Lehrplänen, trotz einer kaum noch überschaubaren Zahl entsprechender Unterrichtsmaterialien, trotz Europaschulen und trotz Modellprojekten weisen sowohl der Umfang als auch die Qualität des Europa-Unterrichts noch viel Entwicklungspotential auf (vgl. Schöne/ Immerfall 2014, S. 55). Einige Ursachen für diesen Widerspruch werden im Folgenden beschrieben, um daraus Maßnahmen für einen verbesserten Europa-Unterricht abzuleiten. 

Europa und die EU in den Bildungsplänen und in Unterrichtsmaterialien

Zu Beginn werden die Ursachen für Defizite im Europa-Unterricht bei den Lehrplänen, Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien gesucht. Ist dem deutschen Bildungsförderalismus und damit den Lehrplänen der verschiedenen Bundesländer möglicherweise eine regionale und nationalstaatliche Perspektive geschuldet, die europäische Bezüge unterbelichtet?

Es zeigt sich, dass europabezogene Gegenstände in den Lehrplänen der verschiedenen Schularten breit verankert sind – sogar über sozialkundlichen Unterricht hinaus. Für die Sekundarstufe 1 in Baden-Württemberg, das im Folgenden immer wieder als Bundesland exemplarisch aufgeführt wird, thematisiert der Bildungsplan 2016 europäische Bezüge in verschiedenen Bereichen.

Die Europäische Union wird im Gemeinschaftskundeunterricht in der Klasse 10 eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler sollen unter der Überschrift „Die Europäische Union“ die Einflussmöglichkeiten kennenlernen und erfahren, wie die Macht zwischen den Organen der EU verteilt ist. Sie lernen die einzelnen Institutionen innerhalb der EU und die Auswirkungen der Entscheidungen der EU auf das Leben der Bürger(in) kennen. Alle Schülerinnen und Schüler können die Partizipationsmöglichkeiten der EU-Bürger(in) benennen.

Im erweiterten beziehungsweise gymnasialen Niveau werden zusätzlich die Modelle der plebiszitären und repräsentativen Demokratie erläutert. Zusätzlich lernen diese Schülerinnen und Schüler die Organe der EU mit den Verfassungsorganen Deutschlands im Hinblick auf ihre Legitimation zu vergleichen (vgl. Bildungsplan2016a, S. 40f.).

Ebenfalls wird in Klasse 7/8/9 das Thema „Zuwanderung nach Deutschland“ thematisiert. Hierbei erfahren die Schülerinnen und Schüler des erweiterten Niveaus einen Bezug zur Europäischen Union, denn sie erörtern dabei die Zuwanderungspolitik Deutschlands und der EU im Hinblick auf Arbeitsmarktmigration, Flüchtlingspolitik und Familiennachzug (ebd., S. 21).

Das Thema Europäische Union taucht allerdings nicht nur im Bildungsplan Gemeinschaftskunde auf, sondern auch im Bildungsplan Geschichte und Geographie. Der Bildungsplan Geographie der Sekundarstufe I sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler in Klasse 5/6 die politische Gliederung Deutschlands und Europas beschreiben können. Dabei müssen alle drei Niveaustufen ausgewählte Staaten Europas mit Hauptstädten benennen können (vgl. Bildungsplan 2016b, S. 14).

Zusätzlich werden Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichem Handeln und dem Naturraum gelehrt. Beispielsweise müssen die Schülerinnen und Schüler anhand eines ausgewählten Wirtschaftsstandortes oder einer ausgewählten Region Europas die Wirkung des Dienstleistungsbereichs auf den Raum altersgemäß erörtern und Möglichkeiten einer nachhaltigen Nutzung darstellen (ebd., S. 21). In Klasse 7/8/9 wird dieses Thema vertieft, und die Schülerinnen und Schüler können Wechselwirkungen zwischen Raum und wirtschaftlichem Handeln darstellen (ebd., S. 28).

Im Bildungsbereich Geschichte der Sekundarstufe I analysieren die Schülerinnen und Schüler unter der Überschrift „Die Europäische Integration – eine neue Form der Kooperation“ in Klasse 10 die Anfänge der Europäischen Integration vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs. Außerdem wird die Entwicklung der Europäischen Integration thematisiert, und Chancen beziehungsweise Risiken der EU sollen beurteilt werden können (vgl. Bildungsplan 2016c, S. 40f.).

Sicher lässt sich manche Kritik an den Bildungsplänen formulieren. Beispielsweise finden sich unspezifische Formulierungen sowie eine fehlende Systematik der verwendeten Begriffe und es herrscht ein Mangel an Niveaukonkretisierungen. Außerdem fällt auf, dass das Thema Europäische Union hauptsächlich erst in Klasse 10 aufkommt. Dies führt dazu, dass Schülerinnen und Schüler, die bereits nach Klasse 9 einen Abschluss absolvieren, sehr wenig Berührungspunkte mit der Thematik Europäische Union in der Schule gesammelt haben.

Bei aller Kritik bleibt aber die Tatsache, dass die Lehrpläne genügend Anknüpfungsmöglichkeiten für europäische Themen bieten. Dies gilt bereits für die Grundschule, denn die Kultusministerkonferenz schreibt für die Arbeit in der Grundschule vor, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Welt besser verstehen und mitgestalten können (vgl. KMK 2015, S. 14).

Konkret wird dies im Bildungsplan der Grundschule in Bezug auf die Europäische Union unter der Überschrift „Demokratie und Gesellschaft“ in Klasse 3/4 thematisiert. Dabei können Schülerinnen und Schüler Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Formen des Zusammenlebens beschreiben, vergleichen und in Beziehung zu ihrem eigenen Leben setzten. Außerdem sollen sie Achtung und Toleranz gegenüber unterschiedlicher Lebensweisen und Kulturen entwickeln und sich aktiv an Mitbestimmungsprozessen beteiligen und diese initiieren. Dadurch wirken sie an der Gestaltung von Gemeinschaft mit (vgl. Bildungsplan der Grundschule 2016, S. 31). Diese Themen laden dazu ein, Europa im Unterricht zu behandeln, denn natürlich gehört das Thema Europa auch in die Grundschule.

Der Bildungsplan der Förderschule sieht das Thema Europäische Union unter dem Bildungsbereich „Leben in der Gesellschaft“ vor. Die Schülerinnen und Schüler der Hauptstufe kennen die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland auf der Ebene der Gemeinde, des Landes Baden-Württemberg, des Bundes und Europas. Dabei lernen sie den Ablauf von Wahlen kennen, beschreiben die Grundzüge der Gewaltenteilung, benennen verschiedene politische Parteien sowie deren Grundaussagen und können verschiedene Ämter und Amtsinhaber in der Politik betiteln (vgl. Bildungsplan2008, S. 240).

Allerdings wird im Bildungsplan nicht weiter darauf eigegangen, ob dies lediglich auf nationaler Ebene stattfinden soll oder ebenso auf europäischer Ebene. Explizit wird lediglich genannt, dass die Schülerinnen und Schüler Wege der europäischen Einigung aufzeigen können (ebd., S.240). Im Kompetenzfeld „Leben in der globalisierten Welt“ sollen die Schülerinnen und Schüler die Lebensverhältnisse in Deutschland, Europa und der Welt vergleichen. Zusätzlich lernen sie sich geographisch und politisch in Deutschland, Europa und der Welt zu orientieren (ebd., S.244f.). Unter dem Kompetenzfeld „Leben mit der Geschichte“ sollen die Schülerinnen und Schüler Grundzüge des europäischen Gedankens kennen lernen (ebd., S. 248). Allerdings wird nicht beschrieben, wie dies konkret gelehrt werden soll.

Der Bildungsplan der Schule für Geistigbehinderte sieht das Thema Europäische Union in der Dimension „Leben in der Gesellschaft“ unter dem Themenfeld „Politische Strukturen“. Als mögliche Inhalte werden im Bildungsplan verschiedene politische Ämter, Wahlen, politische Orte sowie politische Vertretungsorgane und Parteien genannt (vgl. Bildungsplan 2009, S. 187). Dabei wird jedoch nicht konkret auf die Europäische Union hingewiesen, und die Lehrkräfte entscheiden nach ihrem Ermessen, welche Bedeutung sie diesem Inhalt zusprechen.

Den Vorgaben in den Lehrplänen entsprechend spielt das Europa-Thema auch in den Schulbüchern, die nach wie vor ein wichtiges Unterrichtsmedium darstellen, eine zentrale Rolle. Insofern lässt sich ein der obigen Analyse ähnliches Fazit ziehen: Indem die EU in den Lehrbüchern ausführlich thematisiert wird, laden sie zu einer breiten Behandlung des Themas im Unterricht ein, wenn auch in manchen Werken Verbesserungsbedarf ausgemacht worden ist (vgl. Schöne/ Immerfall 2014, S. 57). Allerdings weist bereits Joachim Detjen in seinem Aufsatz „Europäische Unübersichtlichkeiten“ auf folgendes hin:
„Der Gegenstand Europa ist im Politikunterricht schwer zu vermitteln. Ein Grund dafür liegt in der verwirrenden Terminologie… Ein zweiter, vielleicht noch wichtigerer Grund für die Unbeliebtheit Europas im Unterricht liegt in der organisatorisch-institutionellen Unübersichtlichkeit der Europäischen Union, des zentralen europäischen Zusammenschlusses“ (Detjen 2004, S. 126).
Außerdem ist anzumerken, dass viele Verlage dem Tempo des sich rasch wandelnden Gegenstandes Europäische Union nicht gerecht werden und daher Schulbücher nicht immer den aktuellen Stand des europäischen Integrationsprozesses wiedergeben. Hier könnten online vorgehaltene Zusatzmaterialien Abhilfe schaffen.

Neben den Schulbüchern steht für die Bearbeitung europabezogener Gegenstände im Unterrichtsalltag eine unüberschaubare Menge an (vorgeblich) schülergerecht aufbereiteten und häufig auch kostenlosen Unterrichtsmaterialien zu Verfügung. Über die tatsächliche Nutzung solcher Materialien im Unterrichtsalltag weiß man allerdings vergleichsweise wenig. Von Gesprächen mit Lehrkräften weiß man, dass Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten haben vor lauter Einzelheiten, die sich oft genug rasch verändern, die große Linie zu erkennen. Darüber hinaus richten sich die Unterlagen überwiegend an die gymnasiale Oberstufe, während niedrigschwellige Angebote fehlen (vgl. Schöne/Immerfell 2014, S. 58).

Fehlende Thematisierung in den Bildungsplänen bzw. ein Mangel an zur Verfügung stehenden Materialien können also nicht erklären, warum das Wissen über die EU beziehungsweise das Interesse der Bürger gering ist. Allerdings haben sich bereits zwei Ursachen angedeutet, die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Unterrichtsgegenstand Europa erklären: Erstens die Dynamik des europäischen Prozesses. Sie stellt zum einen Schulbuchverlage vor große Herausforderungen und zum anderen die Recherche- und Weiterbildungsbereitschaft der Lehrkräfte. Zweitens die Komplexität des europäischen Mehrebenensystems, welche die Beurteilung der Qualität von Lehrmaterialien erheblich erschwert. Oft stellt sich die Frage, was gelungene didaktische Reduktion, was übermäßige Vereinfachung ist, die Fehldeutungen bzw. mangelndes Interesse noch zusätzlich zu befördern droht? 

Ursachen für Defizite im Europaunterricht

Ein verbreiteter Erklärungsansatz für die Schwierigkeiten, Europa im Unterricht zu vermitteln, lässt sich unter dem Stichwort „Europäische Unübersichtlichkeiten“ (Detjen 2004, S.126) subsumieren. Hinzu kommt die fehlende europäische Identität, die sich aus den Strukturen der Europäischen Union ergeben. Ebenso bedeutsam sind aber Ursachen, die nicht in der Europäischen Union selbst zu suchen sind. Dazu zählt die Tatsache, dass Politikunterricht häufig fachfremd unterrichtet wird und sich - im baden-württembergischen Fall – in einem Fächerverbund wiederfindet, sowie die fehlende Bereitschaft, Fortbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Insbesondere die beiden letztgenannten Aspekte bieten Verbesserungspotential für eine innovative Europabildung. 

Komplexität und Dynamik der EU
„Ohne Frage gehört die Behandlung der Europäischen Union zu den Lehrkräften wie Schülerinnen und Schüler gleichermaßen herausfordernden Unterrichtsthemen“ (Schöne/ Immerfall 2014, S.59).
Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit den unklaren Begrifflichkeiten, beispielsweise taucht allein der Terminus des Rates für drei verschiedene europäische Institutionen auf (Europarat, Europäischer Rater, Rat der Europäischen Union). Zusätzlich ist der politische und rechtliche Status der Europäischen Union unklar. In der Literatur wird sie teilweise sehr unterschiedlich etikettiert, beispielsweise „Zweckverband“, „Staatsverbund“ oder „neuartige politische Superstruktur“.

Die institutionellen Strukturen der EU stellen ein politisches System sui generis dar, denn es entspricht weder einem herkömmlichen Staat noch einem Staatenbund oder einer internationalen Organisation. Daher fällt ein Vergleich mit anderen politischen Systemen schwer.

Die Unsicherheit über den politischen und rechtlichen Status der Europäischen Union kommt nicht von ungefähr. Sie ist ganz erheblich verursacht durch die komplexe rechtliche Struktur, die der Vertrag über die Europäische Union schuf. In diesem Zusammenhang wird häufig von der „Genialität“ der europäischen Verträge gesprochen. Diese Genialität kann man in der kunstvollen Balance zwischen den Formen klassischer zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und den Formen bundesstaatsähnlicher Gemeinschaft sehen. Die Institutionen der EU bleiben damit immer in beide Richtungen deutbar.

Hinzu kommt der beständige Wandel der EU, sowohl bezüglich ihrer Erweiterung als auch ihrer Vertiefung und institutionellen Fortentwicklung. Der Grund hierfür ist, dass kein Bauplan einer europäischen Gesamtkonstruktion existiert und die Europäische Union durch einen jahrzehntelangen institutionellen Wandel gekennzeichnet ist. Dies unterscheidet sie grundlegend von den Mitgliedsstaaten, in denen die Institutionen eine hohe Stabilität aufweisen. Der Wandel hat zu vielfältigen Spannungen, Brüchen und auch Pathologien in der Kompetenzenordnung der Union geführt.

Außerdem spielt der Umfang der Vertragstexte eine entscheidende Rolle, der das Ausmaß normaler Verfassungen um ein Vielfaches sprengt. Zusätzlich führt die flexible Integration dazu, dass eine kleine Anzahl von Mitgliedsstaaten intensiver zusammenarbeiten dürfen, um die Integration voranzutreiben. Schließlich führen die Folgen der Harmonisierungsverweigerung durch einzelne Mitgliedsstaaten zu einer weiteren Kompliziertheit der Europäischen Union (Detjen 2004, S. 130f.).

Überdeutlich zeigen sich Undurchschaubarkeit und Unübersichtlichkeit der Europäischen Union in der Konstruktion ihrer Organe und in der Vielfalt ihrer Entscheidungsverfahren. Die Entscheidungsverfahren variieren nicht nur zwischen dem vergemeinschafteten und dem intergouvernementalen Bereich, sondern auch noch innerhalb einzelner vergemeinschafteter Politikbereiche (ebd., S. 132f.).

Zusätzlich darf man sich die Europäische Union am besten als ein dynamisches und verflochtenes Mehrebenensystem, in territorialer und funktionaler Hinsicht, vorstellen. In territorialer Hinsicht besteht das System aus den Ebenen Europäische Union, Nationalstaat, Regionen und Kommunen. Mehrebenensystem bedeutet nun, dass zwei oder mehrere Handlungsebenen zusammen einen je spezifischen Beitrag zu einer politischen Entscheidung leisten.

In funktionaler Hinsicht besteht das System aus gemeinsamen Handlungen formal voneinander unabhängiger, gleichwohl funktional interdependenter öffentlicher und privater Akteure. Die Komplexität europäischer Politikprozesse lässt sich nur angemessen begreifen, wenn man die EU als Mehrebenensystem in diesem doppelten Sinn begreift (ebd., S. 133ff.). Die Vermittlung der EU als verflochtenes Mehrebenensystem setzt politikwissenschaftliches Wissen voraus, über das insbesondere fachfremd unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer oftmals nicht verfügen – fachfremder Politikunterricht gehört aber zur Realität des Unterrichtsalltags. 

Fehlende europäische Identität

Zwar hat Europa Eingang in Lehrpläne, Schulbücher und Unterrichtsmaterial gefunden, aber eine europäische Identität im Sinne eines emotionalen europäischen Zugehörigkeitsgefühls, an die sich im Unterricht anknüpfen ließe, hat sich bislang nicht herausgebildet. Die Jugendstudie der TUI Stiftung, die anfangs bereits erwähnt wurde, zeigt, dass die nationale Identität weiterhin maßgebend ist. Lediglich 4% der Jugendlichen fühlen sich nur als Europäer(in). Weitere 12% sehen sich erst als „Europäer(in)“ und dann als „Deutsche“. Allerdings ist die nationale Zugehörigkeit für die überwiegende Mehrheit vorrangig (vgl. Junges Europa 2017, S. 9). Doch woran liegt das?

In der Zusammensetzung kommt bei vielen oft die Schwierigkeit auf, die „europäische Identität“ eventuell von einer „nationalen Identität“ abgrenzen zu müssen bzw. zu klären, ob es Unterschiede zu einer „westlichen Identität“ gibt (vgl. Richter 2004, S. 175). Zusätzlich hängt die fehlende europäische Identität mit der geographischen und mentalen Distanz zur Europäischen Union zusammen. „Wichtige didaktische Prinzipien wie Schüler- bzw. Teilnehmerorientierung, Interessens- oder Handlungsorientierung sind angesichts der Distanz zum „fernen Brüssel“ schwer umzusetzen“ (Müller 2006, S. 14).

Hinzu kommt die mangelnde Medienpräsenz und -tauglichkeit, die eine europäische Öffentlichkeit nahezu kaum ermöglicht. Entscheidungen auf der Europa-Ebene werden dem Bürger nicht automatisch zugänglich, und es wird selten eine Eindeutigkeit aufgrund der komplexen Prozesse hergestellt. Allerdings hängt die Vernachlässigung der EU in den Medien nicht zuletzt mit dem mangelnden Interesse der Öffentlichkeit zusammen. Beide Aspekte bedingen und verstärken sich gegenseitig.

Ein weiterer bedeutsamer Faktor ist die mangelnde Bürgernähe der EU. Die Lösungsversuche zur Verringerung der Distanz zwischen der EU und den Bürgern begleiten die Gemeinschaft von Anfang an. Dieses Problem hält bis heute an und die Politiker versuchen durch Transparenz eine größere Bürgernähe herzustellen. Allerdings ändert dies nichts an der „Europäischen Unübersichtlichkeit“, die letztendlich die Hauptursache für die Distanz und das Desinteresse sind (ebd., S. 111). 

Fachfremder Unterricht und Fächerverbund

Die Möglichkeiten der Schule zur Vermittlung europabezogenen Wissens sollten nicht überschätzt werden. Einerseits ist die schulische politische Bildung nur ein, wenngleich wichtiger, Baustein, um sich mit europäischen Angelegenheiten zu beschäftigen. Andererseits liegt in der Alltagsrealität des Politikunterrichts manches im Argen.

Während die gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken sich weitgehend auf die Profilierung der Einzelfächer konzentrieren, entwickelt sich in der Praxis der Schulen ein gegensätzlicher Trend. Heute gibt es in 12 von 16 deutschen Bundesländern Integrationsfächer, wenn auch unter verschiedenen Bezeichnungen wie beispielsweise „Welt-Zeit Gesellschaft“ (Baden-Württemberg), „Gesellschaft und Politik“ (Bremen) oder „Weltkunde (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) (vgl. Sander 2017, S. 8f.).

Hinzu kommt, dass der Unterricht oft durch fachfremde Lehrerinnen und Lehrer durchgeführt wird. Eine Umfrage in Baden-Württemberg ergab, dass Gemeinschaftskunde in einem Maße fachfremd unterrichtet wird, wie es wohl in keinem anderen Fach der Fall ist (vgl. Immerfall et al. 2008). Zusätzlich zeigt die Untersuchung, dass nicht einmal die für das Fach ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer ihr Fach in der Schule unterrichten.

Die Zusammenführung der Fächer führt häufig nicht zu einem Mehrwehrt, wie es der transdisziplinäre Unterricht idealtypisch vorsieht, sondern verliert sich letztlich in der Beliebigkeit verschiedenster Herangehensweisen an ein Thema. Oftmals behält der vermeintliche fächerübergreifende Unterricht dann auch die Aufsplittung in einzelne traditionelle Fächer aufrecht und es wird keine sinnvoll erscheinende Verschränkung der Fächer vollzogen (vgl. Germ 2015, S. 138). Über Defizite in der schulischen Bildung braucht man sich dann nicht zu wundern.

Das ist für den Politikunterricht insgesamt ein Problem, gilt aber im besonderen Maße für den Unterricht zu EU-Themen, weil diese durch die oben dargestellte Komplexität die Lehrenden vor besondere Herausforderungen stellen. Ob die dann zunächst fehlenden fachlichen und didaktischen Kenntnisse der Lehrenden durch Fort- und Weiterbildung kompensiert werden, muss bezweifelt werden. Solche Qualifikationsdefizite kann dann auch die Fülle vorhandener Unterrichtsmaterialien nicht ausgleichen. 

Fehlende Fortbildungsangebote

Es gibt eine Reihe von Gründen, die ein großes Angebot an Fortbildungen zu europäischen Themen erwarten lassen. Zum einen die Nachfrage von Lehrerinnen und Lehrern, die Politikunterricht fachfremd zu gestalten haben, die Nachfrage von Lehrkräften, die sich angesichts der europäischen Dynamik über aktuelle europapolitische Entwicklungen informieren wollen, und eine Nachfrage derjenigen, die sich zu Ansätzen einer europazentrierten Politikdidaktik weiterbilden möchten.

Eine Recherche zeigt, dass beispielsweise „planpolitik“ Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer für Planspiele und andere interaktive Methoden anbietet (vgl. planpolitik). Außerdem bietet Erasmus+ Fortbildungsstipendien für Deutsch- und Fremdsprachenlehrkräfte. Allerdings beklagen sie auf ihrer Website, dass viele Kolleginnen und Kollegen nicht darüber informiert sind (vgl. erasmus-plus-eu).

Aus- und Fortbildungsangebote werden auch von „mainEUropa“ angeboten. Diese vermitteln Sozialkundelehrern der Region die Potenzialthemen der EU und stellen Ideen für die Unterrichtsgestaltung sowie Materialien für die Umsetzung zur Verfügung. In Vorträgen zum Leitthema „Die Europäische Union jenseits der Krisen: Neues Vertrauen in die Potenziale der EU schaffen“ wird schülergerecht und damit besonders unterrichtsrelevant auf verschiedene Themen eingegangen (vgl. Lehrerfortbildung: mainEUropa). Allerdings werden die verschiedenen Fortbildungsangebote von Lehrkräften offenbar sehr wenig genutzt bzw. sind kaum bekannt (vgl. Schöne, Immerfall 2014, S. 62). 

Perspektiven für einen verbesserten EU-Unterricht

Nun stellt sich die Frage, wie der Europa-Unterricht verbessert werden kann. Wie können die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema Europäische Union vertrauter werden beziehungsweise wie kann das Interesse gesteigert werden? Im Folgenden werden verschiedene mögliche Maßnahmen vorgestellt, die zu einem verbesserten Europa-Verständnis führen können.

Es fällt auf, dass in den untersuchten Lehrplänen die Unübersichtlichkeit der EU nicht als didaktisch relevantes Problem genannt wird. Die verschiedenen Bildungspläne beschränken sich auf allgemeine Hinweise zu den Organen und Entscheidungsverfahren der EU. Auch die Schulbücher legen ihren Fokus lediglich auf das System der EU. Dadurch wird den Schülerinnen und Schülern der Eindruck eines übersichtlich geordneten und logisch stimmigen Institutionensystems vermittelt. Detjen kommt zu dem Fazit: „Durchweg fehlt allerdings die Charakterisierung der EU als eines verflochtenen Mehrebenensystems“ (Detjen 2004, S. 140).

Es gilt also, dass die Schülerinnen und Schüler bereits in der Schule das komplexe Mehrebenensystem der Europäischen Union kennen lernen. Beispielsweise kann die Bearbeitung eines politischen Problems mit Hilfe des Politikzyklus analysiert werden. Konzentriert man sich dabei auf die Decision-making- und die Implementationsphasen, lässt sich die Funktionsweise des europäischen Mehrebenensystems gut herausstellen. Außerdem kann man einen Entscheidungsprozess mit Hilfe eines Planspiels simulieren. Dabei kann man das Spiel so anlegen, dass den Teilnehmern die Verflechtungen der regionalen, der nationalen und der supranationalen Ebenen bewusst werden (vgl. Detjen 2004, S. 142).

Doch wie kann man die europäische Identität fördern bzw. in Zukunft weiter vorantreiben? Dabei stellt sich die Frage: Brauchen wir überhaupt eine „europäische Identität“? Dagmar Richter vertritt die These: „Eine „Europäische Identität“ ist politisch unnötig und widerspricht als Ziel den Prinzipien Politischer Bildung“ (Richter 2004, S. 176). Denn die Idee von der „europäischen Identität“ ist eine traditionelle Idee, die an den Konstruktionen nationaler Identität angelehnt sind, und diese Kollektivierungsversuche sind meist vielfach mit Ausgrenzung und Diskriminierung verbunden. Außerdem ist es nicht zulässig, für eine bestimmte „Identität“ bilden zu wollen – auch nicht für eine scheinbar so harmlose wie die europäische.

Schülerinnen und Schüler an Europa heranzuführen, ist akzeptabel, aber die Entwicklung konkretistischer Vorstellungen über die sog. „europäische Identität“ und das Ziel, Schülerinnen und Schüler dafür begeistern zu wollen, ist eine Bevormundung, die ihnen keinen Entscheidungsfreiraum zugesteht und die dem Beutelsbacher Konsens widerspricht. Richter hinterfragt die soziale Konstruktion von „Identität“ und „Nicht-Identität“ und plädiert für „Doing European“ als Alternative.

Doing European wird als Prozess- und Handlungskategorie verstanden, die in Interaktionen und Auseinandersetzungen mit Europa, das heißt also mit (politischer, kultureller, religiöser etc.) Gleichheit und Differenz innerhalb Europas und bezogen auf Europa und die Welt, entsteht. Ziel politischer Bildung ist dann ein Reflektieren der Konstruktionsprozesse von Doing European, über die beispielsweise mit folgenden Fragen in Interaktionen politischer Bildung nachgedacht werden kann:

Wirkt sich die EU auf mein Leben und Handeln aus wie auf das Leben und Handeln anderer Bürger Europas? Welchen Unterschied macht es, in einem Staat der EU oder außerhalb zu leben? In der Auseinandersetzung mit verschiedenen Machtdimensionen, Kollektiverfahrungen, gegenseitigen Fremdbildern und kulturellen Dimensionen ist interkulturelle Kommunikation möglich, die Doing European bei anderen und bei sich selbst reflektieren und rekonstruieren lässt. Doing European kann so langfristig zu einer demokratischen Kollektividentität führen, bei der alle Gemeinschaftsmitglieder am Erzeugungsprozess beteiligt sind und die auf ihre sozialen und politischen Grundbedürfnisse gerichtet ist (epd., S. 176f.).

Damit Europa eine breite Verankerung in der gesamten Bevölkerung erlangt, ist es wichtig, dass Europa-Unterricht bereits frühzeitig fächerübergreifend unterrichtet wird. Dabei darf man nicht nur die Gymnasien im Auge haben, sondern vor allem die Werkrealschulen und Realschulen. Bisher vernachlässigt der Bildungsplan europabezogene Aspekte vor Klasse 10 und daher erfahren Schülerinnen und Schüler, die bereits nach Klasse 9 einen Abschluss anstreben, kaum Europa-Unterricht in der Schule.

Wichtiger aber als andauernd reformierte Lehrpläne und immer neue Unterrichtsmaterialen ist es, bei der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern anzusetzen. Wenn der Politik-Unterricht fächerübergreifend unterrichtet wird, so sollte auch die Ausbildung der Pädagogen bereits auf diesen Fächerverbund hinarbeiten, damit fachfremder Unterricht in Zukunft vermieden werden kann. Die Praxis eilt der Theorie gewissermaßen voraus. Wenn Synergien und nicht nur ein Nebeneinander von Fächern, die spezifisch ausgebildete Fachlehrerinnen und Fachlehrer unterrichten, erzielt werden soll, ist letztlich eine spezifische Ausbildung zur Lehrerin bzw. zum Lehrer für diesen Fächerverbund notwendig.

Solche Überlegungen tangieren erwartungsgemäß das Professionsdenken der Fachwissenschaften und auch der Fachdidaktiken. Es wird davor gewarnt, dass die Zusammenführung mehrerer Disziplinen, die selbstverständlich ihre Besonderheiten haben, zu deren „Verwässerung“ oder gar zur Verdrängung eines Faches durch ein anderes führen könnte. Weniger betont werden dabei allerdings die ebenfalls vorhandenen Überschneidungsbereiche und Integrationsmöglichkeiten, die sowohl auf theoretischer als auch auf methodischer Sicht bestehen (vgl. Hellmuth 2017, S. 6).

Zusätzlich wären Fortbildungsangebote für fachfremde Lehrer eine Möglichkeit, deren politikdidaktisches und fachwissenschaftliches Wissen auszubauen. Um diese attraktiver zu gestalten, sollten Lehrkräfte ein gewisses Kontingent an Fortbildungstagen im Jahr haben. Außerdem sollten die Fortbildungen finanziell unterstützt werden, und die Pädagogen müssen frühzeitig über die Angebote der Fortbildungen informiert werden.

Frech, Kalb und Templ fordern ein mehr an „Europakompetenz“. Sie verstehen darunter, „dass die Schülerinnen und Schüler sprachliche, kulturelle, historische, ökonomische und politische Kompetenzen ausbilden, die es ihnen ermöglichen, im wachsenden europäischen Einigungsprozess erfolgreich zu partizipieren. Diese „Bildung für Europa“ versteht sich als Vorbereitung auf das Leben in einem zunehmend komplexer werdenden Europa.

„Europakompetenz“ ist daher mehr als das Lernen der europäischen Geschichte und Geographie. Sie umschließt auch europäische Sprachen und das Wissen um die je spezifischen kulturellen Ausformungen“ (Frech/ Kalb/ Templ 2014, S. 25). Genau diese „Europakompetenz“ soll in „Europaschulen“ umgesetzt und gelehrt werden. Das Konzept der Europaschulen wird im Folgenden kurz dargestellt und anschließend diskutiert, ob dieses Konzept die Zukunft unseres Schulwesens ist. 

Europaschule – unsere Zukunft?

Europaschulen werden fakultativ im Rahmen öffentlicher Schulen angeboten und in europäischer Kooperation verwirklicht. Sie bieten Schülerinnen und Schülern aus Sprachminderheiten und der Mehrheit eine gemeinsame Schullaufbahn an, die alle regulären Bildungsziele erfüllt, jedoch zusätzlich durch die Vermittlung von drei Sprachen und interkulturellem Lernen über Jahre gekennzeichnet ist.

Von Anfang an findet das Lernen in zwei Sprachen statt, der Landessprache Deutsch kommt als primäre Unterrichtssprache ein Vorrang zu. Zusätzlich schaffen die Schulen durch das gemeinsame Lernen von Schülern unterschiedlicher Herkunft einen exemplarischen Raum für interkulturelles Lernen. Sie lernen unter Anleitung ihrer Lehrer, Verschiedenheit zu verstehen und kreativ zu bearbeiten.

Dabei erfahren sie sie im Wechsel der Sprachen von Anfang an die Gleichrangigkeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft und können die Bereicherung, die sich darin zeigt, wahrnehmen. Das Lernen in zwei Sprachen bedarf zeitlich wie interaktional der Kontinuität im Rahmen vertrauter Lerngruppen, die gemeinsam lernen. Dies wird durch eine gemeinsame Grundschullaufbahn über 6 Jahre verwirklicht.

Europaschulen sind selbst Orte interkultureller Kooperation, insofern sie Lehrer, Lehrmaterialien und pädagogische Konzepte aus dem Herkunftsland der Partnersprache aufnehmen. Lehrer inspirieren sich im Austausch gegenseitig und finden so gemeinsame Lösungen, die in der je eigenen Lehrerbildung und Schulwelt so nicht bekannt sind. Da bereits in der Grundschule Englisch vermittelt wird, können in jeder Schulart, wenn diese die Partnersprache der „Europaklasse“ fortführt, mehrsprachige Abschlüsse erlangt werden.

Besonders zeichnen sich die Schulen durch eine fachübergreifende Schulpädagogik aus. Der fachübergreifende Unterricht wird Woche für Woche geplant und von den beiden Lehrern, die für die deutsche Sprache einerseits und die Partnersprache andererseits verantwortlich sind, konzipiert und im Sinne von team teaching ausgeführt. Ein erweiterter Handlungsraum wird durch eine enge Kooperation mit Eltern, Schulverein und der Stadt ermöglicht.

Die Europaschulen bieten im Verbund mit anderen Schulen eine Bildungslandschaft an, in der sich die Sprachen spiegeln, die in der Stadt gesprochen und deren Vermittlung von den Eltern gewünscht werden. Durch den Wechsel der Sprachenpaare, wie er im Konzept der „Staatlichen Europa-Schule Berlin“ verwirklicht wird, können unterschiedliche Partnersprachen als jeweils zweite Unterrichtssprache von den Familien für ihre Kinder gewählt werden.

Dieser Verbund von „Europaschulen“ mit unterschiedlichen Sprachen bietet den Eltern eine Wahlmöglichkeit, welche Zweitsprache ihr Kind von Anfang an lernen soll. Die Schülerinnen und Schüler der „Europaschule“ öffnen sich Europa über ihre Partnersprache und Partnerschule. Im Gegenzug werden ihre Abschlüsse in dem Partnerland, dessen Sprache und Kultur sie vom ersten Schultag an vermitteln, anerkannt. Ihre Schullaufbahnen gewinnen daher eine europäische Relevanz.

Dadurch qualifizieren sich „Europaschulen“ nicht nur durch einen europäischen Mehrwert im Lehrangebot, zusätzlich bieten sie ihren Schülern einen Abschluss in drei Sprachen, wie ihn die EU seit vielen Jahren erwartet und die Möglichkeit, einen Beruf oder ein Studium im Partnerland aufzunehmen. Wichtig ist allerdings, dass „Europaschulen“ im Sinne des vorgelegten Konzepts nur verwirklicht werden können, wenn man Lehrer aus dem Partnerland gewinnen kann.

Europaschulen leben Europa täglich. Die Kinder, Eltern und Pädagogen kommen aus den Ländern Europas. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit des interkulturellen Lernens, da sehr unterschiedliche interkulturelle Erfahrungen gemacht werden. Die Erfahrungen werden bewusst reflektiert, um sie als Vorteil zu begreifen und um sie sich nützlich zu machen. Die Vielfalt wird als Bereicherung verstanden und in verschiedenen Bereichen sprachlich-kulturell, teilweise auch schulübergreifend in gemeinsamen Veranstaltungen umgesetzt.

Daher wird die geforderte „Europakompetenz“ nach Frech, Kalb und Templ erfolgreich mit dem Modell der „Europaschulen“ umgesetzt. Doch sind diese Schulen auch die Zukunft unseres Bildungssystems? So hoch der Anspruch von „Europaschulen“ ausfällt, er ist im Rahmen des öffentlichen Schulwesens möglich. Sowohl strukturell wie pädagogisch sind öffentliche Schulen in der Lage, ihre bisherigen Schullaufbahnen entsprechend zu erweitern.

Allerdings leben „Europaschulen“ vom hohen Engagement ihrer Lehrer und Eltern. Entscheidend für ihren Erfolg sind Lehrer aus dem Herkunftsland der Partnersprache. Sie müssen von dort kommen, denn nur sie können ihre Erstsprache als Lebensform in „Europaschulen“ einbringen, sind damit der entscheidende Faktor. Die damit verbundenen Kosten werden sich auf einen finanziellen Ausgleich reduzieren lassen, wenn „Europaschulen“ in größerer Zahl eingerichtet werden.

In ein Partnerland wird jeweils die gleiche Zahl von Lehrern entsandt wie Lehrer von dort aufgenommen werden. Nur über diesen Weg europäischer Kooperation kann daher interkulturelle Kompetenz, „Europakompetenz“ und Mehrsprachigkeit nicht nur wenigen Schülern, sondern der nachwachsenden Generation in öffentlichen Schulen in und für Europa vermittelt werden (vgl. Graf 2011, S. 246-256). 

Fazit

Europäische Bildung beginnt in der Schule, dadurch kommt den Lehrerinnen und Lehrern eine herausragende Rolle zu. Neben der Vermittlung von Kenntnissen ist dabei die Ausbildung einer „Europakompetenz“ ein zentrales Anliegen. Denn die für ältere Generationen tragenden Motive der europäischen Einigung sind für Jüngere inzwischen – glücklicherweise – zur Selbstverständlichkeit geworden.

Die „Früchte“ der europäischen Integration – wie zum Beispiel die Reisefreiheit, der Wegfall der Grenzen, der freie Kontakt zu Menschen europäischer Nachbarstaaten, freier Handel, Waren- und Geldverkehr – werden von heutigen Jugendlichen nicht mehr als Errungenschaften, sondern als etwas Normales erfahren.

Obwohl seit langem in den Bildungs- und Lehrplänen verankert, hat die Europäische Union in der Schulpraxis noch längst nicht die Bedeutung erlangt, die ihr eigentlich zukommen müsste. Europa im Unterricht zu vermitteln, ist nicht leicht. Doch nur wer die Herausforderungen annimmt, kann einige besondere Aspekte abdecken, die sonst kaum vermittelt werden.

Es geht dabei nicht darum, den unkritischen Europaenthusiasten herauszubilden oder einen einfachen Beitrag zur Herausbildung einer wie auch immer gearteten europäischen Identität zu leisten. Vielmehr geht es um eine differenzierte Auseinandersetzung mit europäischen Themen- und Fragestellungen. „Europa in der Schule“ muss die gewachsene und ständig wachsende politische Bedeutung der EU verständlich machen, deren Probleme benennen und analysieren und so letztlich die politische Urteilsbildung der Schülerinnen und Schüler ermöglichen.

Programme der Europäischen Union im Bereich des Schulwesens wie z.B. „Comenius“, die Aktivitäten interkultureller und mehrsprachiger Zusammenarbeit zwischen Schulen mehrerer Staaten materiell fördern, sind hierbei hilfreich. Aber sie genügen nicht dem in dieser großen gesellschaftlichen Transformation notwendigen Bildungsbedarf der Kinder. Dazu sind strukturelle, konzeptionelle und praktische Änderungen in unserem Schulwesen sowie an den einzelnen Schulen selbst von Nöten. Ein Beispiel hierfür wurde durch die Europaschulen gezeigt, die das interkulturelle Lernen fördern und durch den bilingualen Unterricht einen wichtigen Beitrag für die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit darstellen. 

Literatur

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