Dienstag, 22. Dezember 2020

Probleme der Migration und Integration

In diesem Beitrag stellt Hannah Koch folgenden Aufsatz vor:

Urmila Goel (2012): Migration im Europa der Regionen – Überlegungen zu ungleichen Machtverhältnissen und ihren Konsequenzen; in: Netzwerk MiRA (Hrsg.): Kritische Migrationsforschung? Da kann ja jedeR kommen, S. 165-187 (Online-Version).

In dem 2012 publizierten Artikel stellt Urmila Goel Überlegungen an, die sich auf die Thematik der Migration in Europa beziehen. Sie geht primär auf den deutschen Umgang mit Migration ein, setzt diesen jedoch in einen internationalen Kontext und skizziert beispielhaft die Problematik, die das Thema Migration ihrer Meinung nach mit sich bringt.

Goel beginnt ihre Ausführung damit, dass Europa mehr und mehr von regionalen Grenzen geprägt ist, die sich aus Nationalstaaten erschließen, diese jedoch zunehmend überschritten werden. Sie zeichnet zudem ein Bild der dominanten Gesellschaft, in welche migriert wird, im Gegensatz zur submissiven Gesellschaft, welche sich dieser anpasst, um im späteren Kontext aufgezeigte Anforderungen zu erfüllen. Goel spricht einen stetigen Prozess an, welche die Grenzüberschreitung von MigrantInnen einzuordnen versucht.

Diese Entwicklung ist jedoch nicht ausschließlich positiv konnotiert. Besonders herausgehoben wird hierbei der Aspekt, dass Europapolitiker nach wie vor ihre Nationalstaaten als Anhaltspunkte für ihre Interessenverwirklichung betrachten und ein „offenes“ Europa nur so lange im Zentrum steht, als das die Interessen der Nationalstaaten nicht gefährdet. Dabei wird vorgeworfen, dass dies eine Verstärkung bereits existierender Privilegien zur Folge hat, was im Folgenden genauer diskutiert wird.

Zunächst wird die Art der Debatte über Migration genauer betrachtet. Auf nationaler Ebene wird Migration generell als nichts Negatives betrachtet, jedoch werden MigrantInnen dennoch oft als eben so aufgeführt. Der Prozess wird also von den Personen, die diesen durchlaufen, isoliert. Dies führt zu problematischen Entwicklungen im Diskurs über MigrantInnen.

Es wird argumentiert, dass kulturelle Normen und Werte durch das bloße „Ankommen“ von MigrantInnen leidet und Schaden nimmt. Dies wirft den Widerspruch auf, dass speziell in kolonisierten Ländern, wie den Vereinigten Staaten oder Australien, Menschen, die dort durch Kolonialisierung Heimat fanden, als „berechtigt“ gelten, diese Balance zu bewerten. Goel führt demnach also auf, dass die Beurteilung von „berechtigt“ und „nicht berechtigt“ keine fundierte Argumentation anbietet, sondern sich auf gesellschaftlich etablierte Werte bezieht.

Die Autorin macht somit deutlich, dass Migration zwar weitläufig möglich ist, hierbei jedoch verschiedene Ansprüche und Anforderungen an MigrantInnen verschiedener Herkünfte gestellt werden. Die Selbstverständlichkeit, mit der EU-BürgerInnen oder US-BürgerInnen nach und aus Deutschland heraus migrieren können, überträgt sich de facto also nicht auf Menschen aus allen anderen Teilen der Welt. Speziell in der EU besteht hier also ein Konflikt, der nicht auf die Migration selbst zurückzuführen ist, sondern auf die Herkunft der MigrantInnen. Einhergehend hiermit ist also eine Unterscheidung in der Bewertung von MigrantInnen, die auf ihre bloße Ursprünglichkeit zurückführt und Raum für Probleme öffnet.

Somit wird nicht nur eine exklusive Zugehörigkeit propagiert, sondern auch eine damit einhergehende Freizügigkeit. MigrantInnen aus nicht-europäischen Ländern wird also ein anderes „Anpassungslevel“ auferlegt, als MigrantInnen aus europäischen Staaten.

Ein zusätzliches Problem, das oftmals auffällt, ist die Diskussion über Zugehörigkeitsgefühlen zu mehreren Staaten. Besonders hier wird deutlich, dass es unterschiedliche Bewertung einer solchen gibt, je nach gesellschaftlicher Bewertung der Staaten, denen man sich zugehörig fühlt. Dies steht in engem Zusammenhang mit den oben aufgeführten Punkten bezüglich der Herkunft von MigrantInnen.

Kulturell gesehen besteht der Autorin nach somit ein Unterschied zwischen jemanden, der sich Deutschland und der Türkei zugehörig fühlt, und jemandem, der sich Deutschland und Frankreich zugehörig fühlt. Begründet wird dies mit der oben angeführten Bewertung von Migration im Allgemeinen. Damit etabliert sich Deutschland beispielhaft als Dominanzgesellschaft, die ihre Integrationspolitik an ausschließlich westlichen Kriterien festmacht.

Rückführend lässt sich die gesamte Problematik daher auf eine gewollte Differenzierung zwischen „zugehörig“ und „nicht-zugehörig“ herunterbrechen. Migration ist also ein Prozess, welcher Kontrolle unterliegen muss, wobei in der EU selbst dieser extrem abgeschwächt worden ist. Migration bedeutet, dass man sich in einen neuen Rechtsraum begibt, unabhängig von wo man migriert. Diese genau definierte Abgrenzung begründet mehrere Probleme auf EU-Ebene.

Verstärkt wird diese Aussage mit der These, dass einem gewissen Anteil von MigrantInnen suggeriert wird, dass diese „Anerkennung“ erworben werden kann, durch Produktivität für die Gesamtgesellschaft. Diese Illusion beschreibt die Forderung, dass „nicht-integrierte“ Individuen sich persönlich mehr anstrengen müssten, um als Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden.

Der Artikel greift hier somit ein Problem der eigenen Persönlichkeit auf und setzt dies in gesellschaftlichen Kontext. Personen, die sich mehreren natio-ethno-kulturellen Kontexten zugehörig fühlen, werden oftmals von einer dieser aufgefordert, sich ausdrücklich für diese oder jenen natio-ethno-kulturellen Kontext zu entscheiden.

Im Zusammenhang mit der suggerierten „Anerkennung“ hat dies zur Folge, dass Privilegien ungleich verteilt werden. Selbst wenn man sich der dominanten Gesellschaft explizit zuschreibt, werden MigrantInnen dennoch mit Privilegien konfrontiert, die ihnen nach wie vor verwehrt bleiben. Hierbei wird ein Widerspruch deutlich, in welchem sich der Wille der Dominanzgesellschaft etabliert, dass MigrantInnen sich assimilieren, während ihnen jedoch die gelungene Assimilation verwehrt bleibt. Ein Kreislauf entwickelt sich, der frustrierend und ablehnend wirken kann.

Die Autorin vertieft dies, indem sie erneut die Unterscheidung verschiedener MigrantInnen anführt und aufzeigt, welchen Herausforderungen diese sich stellen müssen. Spezifisch vergleicht sie hier einen amerikanischen Migranten mit einem türkischen. Während an den amerikanischen Migranten wenig Ansprüche an eine erfolgreiche Integration gestellt werden, muss der türkische Migrant seine erfolgreiche Integration längerfristig beweisen. Hieraus schließt die Autorin, dass ein Land wie Deutschland es MigrantInnen leichter macht, sich zu integrieren und Teil der Gesellschaft zu werden, wenn sie sich wenig bis gar nicht vom „Standard-Deutschen“ unterscheiden. Sie führt dabei Vorurteile auf, mit denen viele MigrantInnen konfrontiert werden, die sich von diesem Bild unterscheiden.

Zusätzlich führt sie geschichtliche Argumentationen auf, die diese Begründung verstärken. Sie greift auf die Kolonialgeschichte Europas zurück und verweist hiermit auf den oben bereits angesprochenen Grund, dass kolonialisierende Staaten es für sich beanspruchen, den Standard für eine Gesellschaft zu setzen. Im Zusammenspiel mit den bereits aufgeführten wird ein ungleiches Machtverhältnis aufgezeigt, das sich daraus ergibt, dass Personengruppen deprivilegiert werden, um Privilegien anderer zu stärken.

Abschließend greift die Autorin eigene Erfahrungen auf, um aufzuzeigen, dass es auch in Europa innerkontinentale Unterschiede in der Bewertung von Migration gibt. So analysiert die Autorin an einem Beispiel, dass eine Binnenverkehrt zwischen Polen und Deutschland zwar in der Theorie von Gleichheit geprägt ist, jedoch in der Realität sich Deutschland als dominante Gesellschaft etabliert und damit eine Anpassung an die deutsche Gesellschaft gefordert wird. Sie vertieft dieses Argument anhand von weiteren Beispielen, die sich auch auf Migration von außerhalb des europäischen Kontinents bewegen.

Letztlich zieht Goel das Fazit, dass Migration nicht das generelle Problem der Debatte ist, sondern dass der Fokus zu sehr auf die „Andersartigkeit“ der MigrantInnen gelegt wird. Sie argumentiert, dass Personen in unserer Gesellschaft verschiedene Positionen einnehmen, welche nicht nur mit ihrer Herkunft zusammenhängen, sondern auch mit ihrem sozialen Status. Daraus ergibt sich ein zusammenhängendes Netz aus Privilegien und Interdependenzen, denen sich Personen aussetzen. Diese Hierarchie geht also primär von der Gesellschaft aus, in denen sich die Individuen befinden.

Ihr Ansatz legt demnach nahe, dass nicht die Personen, die migrieren, zentral sind, sondern die Gesellschaft, in der sie integriert werden sollen. Das bedeutet, dass sich Länder wie Deutschland darauf konzentrieren sollten, die bestehenden Machtverhältnisse zu überwinden und den Prozess der Migration zu erleichtern. Zudem plädiert sie dafür, dass es eine Normalisierung für Menschen gibt, die sich mehreren Gesellschaften zugehörig fühlen und damit keine „Entscheidungspflicht“ mehr propagiert wird. Somit soll sich also das Gefüge verschieben und in den Nationalstaaten selbst angesetzt werden, um Privilegien und Machtverhältnisse aufzuheben und zu überwinden.

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