Sonntag, 3. Januar 2021

Aufsatz zur (EU-)Agrarpolitik

In diesem Beitrag stellt Elias Wild folgenden Aufsatz vor:

Isermeyer, Folkhard (2014): Künftige Anforderungen an die Landwirtschaft: Schlussfolgerungen für die Agrarpolitik; Thünen Working Paper, No. 30, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Braunschweig (Online-Version).

„Die deutsche Landwirtschaft steht vor schwierigen Herausforderungen.“ Diese Worte prägen seit Jahrzehnten den Agrarsektor. Die Politik kann zwar eine Vielzahl von Fördermaßnahmen beschließen, mit denen der Agrarsektor unterstützt werden soll, allerdings blieb der große Erfolg aus. Daher sollte das Ritual der Fördermaßnahmen hinterfragt werden.

Zunächst ist ein Blick in die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen notwendig. Da sich die Weltagrarpreise seit 2005 verdoppelt haben, agieren die meisten EU-Agrarbranchen mittlerweile auf dem Weltmarktpreisniveau. Die Weltagrarwirtschaft kann dabei hohe Wachstumsraten aufweisen und auch die deutsche Agrarwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt, obwohl die Entwicklung der europäischen Landwirtschaft stagniert.

Auffallend ist der Strukturwandel hin zu größeren Betrieben. Die landwirtschaftliche Produktion ist zwar wettbewerbsfähig, viele landwirtschaftliche Betriebe sind es allerdings nicht. Viele Einzelbetriebe können im Wettbewerb mit ihren immer größeren Nachbarbetrieben nicht mithalten. Die Diskrepanz von regionaler und einzelbetrieblicher Wettbewerbsfähigkeit steht sinnbildlich für die Entwicklung von Agrarsektoren und wird von vielen Politikern nicht verstanden. Diese versuchen durch günstigere Rahmenbedingungen (z.B. Einkommensstützung) entgegenzuwirken, können dadurch aber die nicht-wettbewerbsfähigen Einzelbetriebe nicht retten.

Der Agrarstrukturwandel hat unter anderem auch dazu beigetragen, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Nutztierhaltung in der Vergangenheit stark verbessert hat. Es gibt immer größere Betriebe, die eine höhere Tierleistung bei veränderten Haltungsverfahren aufweisen. Die Entwicklung wird teilweise zwar heftig kritisiert, wobei sich die Kritik hauptsächlich auf Meinungsumfragen beruft, dem entgegen steht allerdings das Kaufverhalten, wo die Orientierung auf billige Preise nach wie vor dominiert. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Nutztierhaltung ist dennoch stärker gefährdet als die Wettbewerbsfähigkeit der Pflanzenproduktion. Gründe hierfür sind:

  • Die Tierwohl-Debatte kann dazu führen, dass die Auflagen gegenüber der deutschen Nutztierhaltung so hochgeschraubt werden, dass erhebliche Kostennachteile gegenüber ausländischen Standorten entstehen.
  • Große Teile der Nutztierhaltung sind bodenunabhängig. Sie können also an Standorten mit günstigen wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Rahmenbedingungen konzentriert werden.
  • Bei der Pflanzenproduktion können Flächen von ausscheidenden Betrieben leicht von anderen Betrieben übernommen werden („passive Sanierung“). (vgl. S. 1-4)

Daher stellt sich die Frage, wo die Politik regulierend eingreifen sollte. Da es in der Agrarpolitik um unsere Lebensmittel, unsere ländlichen Räume, unsere natürlichen Ressourcen und den Umgang mit unseren Mitgeschöpfen geht, wird in der Bevölkerung sehr viel darüber diskutiert. Die Politik hat den gesellschaftlichen Druck wahrgenommen und entsprechend reagiert. Mittels des Fachrechts (Lebensmittelrecht, Umweltrecht, Tierschutzrecht etc.) hat sie eine große Menge an Leitlinien eingeführt, die bei einer biobasierten Wirtschaft beachtet und eingehalten werden müssen. Außerdem hat sie eine Vielzahl von finanziellen Anreizen etabliert, um die von der Gesellschaft gewünschten Erwartungen zu fördern. Nachdem der gesellschaftliche Streit trotz der Vielzahl an Regelungen nicht abnimmt, stellt sich eine grundlegende Frage:

„Ist die Politik überhaupt zuständig oder sollte sie die Steuerung der Landwirtschaft nicht besser den Verbrauchern überlassen?“ (S. 5)

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass gar kein staatliches Handeln notwendig ist. Die Menschen bringen durch ihr Einkaufsverhalten ihre Präferenzen zum Ausdruck. Auf den zweiten Blick sieht es jedoch anders aus. Die Erzeugung eines Produkts hat auch immer Auswirkungen auf gesellschaftliche Schutzgüter wie Boden, Wasserqualität, soziale Gerechtigkeit, Tierwohl etc. Da eine besonders schutzgut-freundliche Produktion mit erhöhten Kosten verbunden ist und der Verbraucher dem Produkt nicht ansehen kann, ob es mehr oder weniger schutzgut-freundlich erzeugt wurde, hätten diese Produktionssysteme einen erheblichen Nachteil im Wettbewerb.

Auch ein Labeling lässt sich in der Praxis nicht umsetzen. Zudem müssen die „Trittbrettfahrer“ beachtet werden, die darauf hoffen, dass alle anderen ihren Beitrag leisten, weshalb sie selbst keine „Spende“ leisten müssen und stattdessen ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben. Aus diesem Grund würde der Staat gesellschaftliche Ziele wie Tierschutz, Arbeitsschutz oder auch Umweltschutz nicht komplett den Verbrauchern anvertrauen. Die Politik bleibt also verantwortlich, dass die Erzeuger durch gemeinschaftliche Regelwerke die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft erfüllen.

Wie kann die Politik die gesellschaftlichen Erwartungen erkennen?

Es ist Aufgabe der Parlamente, die vielfältigen Erwartungen der Menschen zu bündeln. Dafür ist es für die Politik wertvoll zu wissen, welche längerfristigen Präferenzen die Bevölkerungsmehrheit in Bezug auf gesellschaftlich wichtige Fragestellungen verfolgt. Meinungsumfragen sind aus zwei Gründen allerdings nur bedingt von Nutzen. Erstens reflektieren die Befragten mit ihren Aussagen die aktuelle mediale Lage, die sich schnell ändern kann, und zweitens werden meist nur Wünsche geäußert, ohne die damit verbundenen Kosten zu beachten. Als Beispiel dient hierbei die Nutztierhaltung. Ein Großteil der Bevölkerung äußert sich zwar in Meinungsumfragen sehr ablehnend gegenüber der industrialisierten Tierhaltung. Andererseits kauft der Großteil der Bevölkerung tierische Erzeugnisse vorrangig nach Maßgabe des Produktpreises ein.

Wo werden die gesellschaftlichen Erwartungen derzeit am stärksten verfehlt?

Nach den Verlautbarungen der Politik liegen die größten Herausforderungen vor allem im Bereich Klima- und Umweltschutz und Einkommensstützung. Außerdem lassen sich Ziele wie Tierwohl, Rückgang der Flächenversiegelung und ländliche Entwicklung herauslesen. Bei Befragungen der (deutschen) Bevölkerung werden die größten Defizite im Bereich Tierwohl und Umweltschutz gesehen.

Nach Einschätzungen von Expertengremien, welche gesellschaftliche Erwartungen im Überblick zum Ausdruck bringen sollen, wurden im Jahr 2010 folgende Herausforderungen zusammengestellt: Sicherung der Welternährung, gesunde Ernährung, Lebensmittelsicherheit und -qualität, Wettbewerbsfähigkeit, Preis- und Ertragsrisiken, Anpassung an den Klimawandel, Verringerung der Emission, biologische Vielfalt und die Entwicklung ländlicher Räume. Vier Jahre später wurde besonderer Handlungsbedarf in den Bereichen Klimaschutz, biologische Vielfalt, Phosphorverbrauch und Bodendegradation gesehen. Die große Vielfalt von gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft sorgt für eine sehr schwierige Gestaltung der Agrarpolitik. (vgl. S. 5-9)

Wie zielgerichtet ist die aktuelle EU-Agrarpolitik, wie könnte sie besser werden?

Grundlegend hat die Politik zwei Möglichkeiten, um ihre Ziele zu erreichen. Sie setzt mittels Auflagen, Ge- und Verbote einen ordnungsrechtlichen Rahmen, an den sich alle halten müssen. Als zweite Möglichkeit dienen finanzielle Anreize, um die Wirtschaftsteilnehmer zu gesellschaftlich gewünschtem Verhalten zu bewegen. Im Folgenden wird nur auf den zweiten Bereich eingegangen.

In der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gilt das Zwei-Säulen-Prinzip. Die erste Säule wird als das Herzstück der EU-Agrarpolitik verstanden und stellt den größten Finanzposten mit der geringsten Wirkung dar. Es werden flächenbezogene Direktzahlungen ausgeschüttet. Dabei sind ein Drittel der Direktzahlungen an gewisse Voraussetzungen gebunden. Da die Voraussetzungen nur sehr geringe Auswirkungen auf die gewünschten Ziele haben, stellt die erste Säule keine effiziente Politikmaßnahme dar.

Die zweite Säule der GAP genießt ein wesentlich besseres Ansehen, ist aber auch kein Allheilmittel. Hierbei werden zielgerichtete Maßnahmen zur Entwicklung ländlicher Räume gefördert. Mittels der EU-Kasse und aus der nationalen Kofinanzierung steht ein gewisser Betrag zur Verfügung, der für zielgerichtete Politikmaßnahmen, wie beispielweise Agrarumweltprogramme, einzelbetriebliche Investitionsförderung oder in allgemeine Entwicklungsmaßnahmen investiert wird. Die Wissenschaft fordert seit einiger Zeit Fördermittel von der ersten Säule in die zweite Säule der GAP zu verlagern.

Ein großes Problem in der Agrarpolitik liegt an der falschen Prioritätsverteilung. Statt der Zielerreichung rückt die Geldpolitik in den Mittelpunkt. Die derzeitige Politik handelt mittels der ersten und zweiten Säule der GAP fast ausschließlich als „Geldverteiler“. Bei neuen Herausforderungen werden einfach die Förderungskonzepte danach ausgerichtet. Es fehlt dabei eine (gemeinsame) Strategie, die auf die Problemlösung ausgerichtet ist. Da zwischen den Ministern und der Politikebene (EU, Land, Bund) jede Instanz für sich handelt und somit teilzuständig ist, kann niemand wirklich zur Rechenschaft gezogen werden.

Was müsste also geschehen, um die gesellschaftlichen Ziele besser anzusteuern?

Zunächst einmal müssten die Zuständigkeiten für verschiedene Ziele neu geregelt werden. Da es sich bei den gesellschaftlichen Zielen auch um globale Aufgaben handelt, wäre es besser, die Finanzmittel nicht auf die einzelnen Bundesländer aufzuteilen. Die EU erscheint hier zunächst als angemessen für die Zuständigkeit, allerdings herrscht auf der EU-Ebene eine geringe Handlungsfähigkeit. Außerdem wird bezweifelt, dass die erforderliche politische Verantwortung der Regierenden hergestellt werden kann. Daher sollte die politische Verantwortung auf Bundesebene angesiedelt werden. Die Bundesregierung stünde dabei auch in der Pflicht, ihre Gemeinschaftsstrategien auf höheren Politikebenen (EU, UNO) einzubringen.

Als nächstes müssten die Finanzflüsse neu überdacht werden. Als pragmatischer Vorschlag gilt die Beibehaltung des EU-Finanzsystems mit einigen Änderungen. Die erste Säule der GAP sollte schrittweise abgebaut werden. Die bisherige zweite Säule wäre als Entwicklungspolitik zu verstehen, bei der die jeweiligen Bundesländer die Verantwortung tragen. Zudem sollte eine zusätzliche „Säule“ errichtet werden, welche als Zielsetzung die verbesserte Erfüllung der gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft vorweist. Dabei soll einerseits die Wettbewerbsfähigkeit und andererseits Umwelt-, Natur-, und Tierschutz im Einklang miteinander angestrebt werden. Die Zuständigkeit für die zusätzliche Säule sollte teilweise beim Bund liegen.

Bei einer Agrarpolitik, bei der nicht das Geldverteilen im Vordergrund steht, sondern zunächst die Erarbeitung von einer Strategie im Verbund von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie die anschließende Umsetzung dieser Strategie, müsste man institutionelles Neuland betreten. Eine weitere Herausforderung besteht darin, den jeweiligen zuständigen politischen Instanzen abzuverlangen, ein klar definiertes Ziel zu benennen. Ohne eine genaue Zielsetzung fehlt jede Basis für eine rationale Politikgestaltung. (vgl. S. 11-19) Zum Abschluss stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich ein fundamentaler Kurswechsel der Agrarpolitik ist.

Zunächst müssten die politisch Verantwortlichen sich mit den Defiziten der aktuellen Politikarchitektur auseinandersetzen und den Wunsch nach einem grundlegenden Wandel entwickeln. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Auch die Interessen von wichtigen Akteuren wären von einem Kurswechsel nicht wirklich erfreut. Laut den Bauernverbänden wäre ein Abbau der Direktzahlungen nicht verkraftbar, da diese Zahlungen einen großen Anteil des Gewinns für die landwirtschaftliche Betriebe ausmachen. Angesicht allerlei Hürden kann man nicht erwarten, dass sich der politische Rahmen grundlegend verändert. Vielmehr kann man schrittweise Änderungen innerhalb des bestehenden Rahmens erwarten. (vgl. S. 21-23).

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