Samstag, 29. August 2020

Rezension zu Wolfgang Schmale: Was wird aus der Europäischen Union?

Schmale, Wolfgang (2018), Was wird aus der Europäischen Union? Geschichte und Zukunft, Reclam.

Rezension

Autor: Nicolas Meschenmoser

Das Buch stammt aus der Feder von Wolfgang Schmale. Er ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien. Schmale nähert sich in seinem Werk sukzessive der Ausgangsfrage im Titel des Buches an. Beginnend mit den Kapiteln „Wie Europa wurde, was es ist“ und „Die Europäische Union“ fasst Schmale zusammen, was die Europäische Union (EU) bisher erreicht hat und an welcher Stelle sie sich momentan befindet.

In den folgenden drei Kapiteln “Der EU-Vertrag oder Wie ernst nimmt sich die EU?”, “Nationalstaat und Nationalismus in der EU” und „Identitätsdenken und Vielfalt“ versucht der Autor, die Krise der EU greifbar zu machen. Er schließt sein Buch mit dem Kapitel „Die Zukunft der EU“. Darin beschreibt er, was zukünftig sein kann, sein soll oder mit einer gewissen Sicherheit sein wird.

Das Buch beginnt mit dem Satz „Die EU steckt in der Krise“. Damit hält der Autor seinen momentanen Eindruck des Ist-Zustandes von Europa fest. Schmale ist jedoch überzeugter Europabefürworter und hält trotz des negativ behafteten einleitenden Satzes einige interessante Lösungsansätze zur Bewältigung der Krisen bereit.


In seinem Werk benennt er die Entstehung aktueller Problem- und Spannungsfelder. Um diesen Spannungsfeldern zielgerichtet begegnen zu können, fordert er die EU zuallererst auf, ihre Ziele zu überprüfen, neu zu formulieren und vor allem, das ist ein Hauptkredo des Autors, entschlossener umzusetzen.

Er vertritt vor allem die These, dass sich die EU verstärkt als globaler Akteur wahrnehmen muss. Aber dafür müsse sie noch enger zusammenrücken. Um das zu erreichen, müsse die EU seiner Auffassung nach ihre Zaghaftigkeit und ihren Provinzialismus überwinden. Seine Wunschvorstellung ist ein Europa, welches die europäischen Bürger*innen als ihr eigenes demokratisches Projekt ansehen. Dafür brauche es entschiedene innere Reformen. Vor allem in den Bereichen Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarkt, soziale Rechte, Sicherheit, Infrastrukturprojekte, Umwelt- und Klimaschutz, Datenschutz sowie bei außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten.

Unter anderem misst der Autor Europa die Aufgabe bei, sich global gegen Terror, für Menschenrechte und für demokratische Werte stark zu machen und diese global selbstbewusst zu vertreten. Um dies zu erreichen, schlägt er vor, die europäische Demokratie dahingehend weiterzuentwickeln, dass politische Rechte der Bürger*innen erweitert werden. Er zielt dabei vor allem auf das Wahlrecht und erweiterte Mitbestimmungsformen, zum Beispiel in Form von europäischen Volksentscheiden oder eines Wahlrechts für EU-Bürger*innen im Wohnsitzland ab. Seine Hoffnung ist, dass sich die Bürger*innen von nationalen Identitäten lösen und eine gewisse europäische Identität entwickeln.

Eine zivilgesellschaftliche Basis in Kombination mit mehr gewagter Demokratie sieht er als wichtige Komponente für ein gelingendes Europa an. Allerdings benennt er auch das Erstarken rechtspopulistischer nationaler Strömungen und in Folge davon den Provinzialismus als Faktoren, welche der europäischen Grundidee entgegenwirken. Die einzige Lösung, dem entgegenzuwirken, sei die konsequente Anwendung vertraglich beschlossener Sanktionsmittel.

Manche Teile des Buches gestalten sich für den*die Leser*in als relativ langwierig. So geht der Autor in dem Kapitel “Der EU-Vertrag oder Wie ernst nimmt sich die EU?” sehr detailliert auf unterschiedliche Artikel der EU-Verträge ein. Wobei er sie zum Teil im Wortlaut darlegt. Anschließend erörtert er die Gesetzestexte näher, indem er versucht, die jeweiligen Absichten dahinter sowie deren Folgen zu erklären. Schmale verliert sich zum Teil in Details, wodurch der Eindruck entsteht, als wären diese Passagen ausschließlich für juristisch bewanderte Personen völlig verständlich.

Ebenso ist kritisch anzumerken, dass der Autor sein Werk nicht chronologisch aufgebaut hat, so dass immer wieder der Eindruck entsteht, als ob er den roten Faden verliert. Dabei verliert sich Schmale einerseits in Ausdifferenzierungen und andererseits springt er immer wieder zwischen unterschiedlichen historischen Ereignissen hin und her. So kann es sein, dass beispielsweise an einer Stelle vom Mauerfall die Rede ist, während nur wenige Sätze später zeitlich noch weiter in die Vergangenheit zurückgesprungen wird, sodass sich der*die Leser*in in Passagen befindet, bei denen Bezug auf den Ersten Weltkrieg genommen wird. Dies erschwert zum Teil das Verständnis bei der Lektüre bzw. das Nachvollziehen der Argumentationskette ungemein. Unter anderem deshalb festigt sich mein anfänglicher Eindruck zunehmend, dass dieses Buch einen größeren Nutzen für EU-Fortgeschrittene aufweist, als für Leser*innen, welche erst beginnen, sich mit der EU auseinanderzusetzen.

Diesen Kapiteln gegenüber stehen die letzen drei Kapitel. Diese zu lesen, ist deutlich spannender, da der Autor hier seine Lösungsvorschläge präsentiert. Er hält diese allerdings, und das räumt er in seinem Resümee selber ein, im Gegensatz zu den vorhergehenden Kapiteln sehr knapp. Wahrscheinlich deshalb betitelt er diesen Abschnitt als „Jahrmarkt der Ideen“. Im Folgenden stelle ich stichpunktartig ein paar seiner Überlegungen vor:
  • Stärkung des deutsch-französischen Motors
  • Vertiefung der Währungsunion sowie der Wirtschaftsunion
  • Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten (andere dürfen nicht abgehängt werden)
  • Setzen selektiver Schwerpunkte (Verteidigung, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Wohlstand, Digitalisierung der Wirtschaft, digitale Infrastruktur)
  • Regeln gelten für alle
  • Tatsächliche Umsetzung der EU-Vertragsziele, speziell im Sicherheits- und Verteidigungsbereich
  • Institutionelle Reformen (europäische Regierung)
Persönlich bin ich unschlüssig, ob ich dieses Buch jedem weiterempfehlen kann. Wie oben kurz erwähnt, halte ich die Lektüre für Europafortgeschrittene für sinnvoller als für Europaeinsteiger. Allerdings sind die letzten Kapitel, in denen Lösungsideen präsentiert werden, deutlich verständlicher und nachvollziehbarer.

Was ich an dem Autor besonders schätze, aber auch gleichzeitig in Teilen kritisiere, ist die zum Teil sehr detaillierte Ausdifferenzierung verschiedener Ideen. So bekommt der*die Leser*in immer wieder den Eindruck, als ob der Autor seine eigentliche Aussage selbst untergräbt. Aufgrund dessen ist mir manchmal die Absicht oder Aussage des Autors nicht so eindeutig klar geworden, wie ich es mir gewünscht hätte.

Gleichzeitig muss aber festgehalten werden, dass vielleicht genau das die Intention des Autors war. Er präsentiert eine geschichtliche und aktuelle Faktenbasis, um den Leser mit seinen anschließenden Lösungsansätzen danach alleinelassen zu können. Mir scheint. als ob der Autor auf diese Weise bewusst versucht, den*die Leser*in zum Nachdenken zu bewegen, sodass diese*r seine*ihre eigenen Standpunkte reflektieren und festigen kann.

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