Freitag, 13. Dezember 2019

Rezension zu Joschka Fischer: Scheitert Europa?

Fischer, Joschka (2014), Scheitert Europa?, Kiepenheuer & Witsch.

Rezension

Autorin: Annika Droste

In dem Buch „Scheitert Europa?“, das von dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer geschrieben wurde, geht es um die im Titel genannte Frage, ob Europa scheitert. Auf insgesamt 160 Seiten versucht Joschka Fischer seinen Standpunkt, seine Zweifel und Gedanken festzuhalten und dem Problem, das Europa seiner Meinung nach hat, auf den Grund zu gehen. Gleichzeitig bringt er „überraschende strategische Ideen, um den europäischen Einigungsprozess wiederzubeleben und die EU zu reformieren“.

Inhaltlich ist das Buch in sechs Kapitel gegliedert und wie ein Essay geschrieben. Fischer hangelt sich von „dem großen Knall“ über „die EU und die europäische Geschichte“ sowie „die strategische Krise Europas“ bis hin zu „den Lehren aus der Krise“. Dabei kommt er immer wieder auf die zentrale Frage des Buches zurück: „Scheitert Europa?“.


Er beginnt im ersten Kapitel damit, dass er sagt, dass eines der einschneidensten Ereignisse für die Europäische Union die Finanzkrise vom 15. September 2008 sei, die zum ersten Mal Ungewissheit über die Zukunft des Projektes aufkommen ließ und sie bis 2014 noch immer fest im Griff hielte.
„Europa und seine Einheit erscheint heute, im Jahr 2014, nicht mehr als ein großes, historisch einmaliges Versprechen, sondern als die Mutter aller Ursachen für eine nicht zu Ende gehende Misere“ (S. 14).
Joschka Fischer zeigt von Anfang an völlig unverblümt, wie er zu dem Projekt Europäische Union steht, und bringt fast ausschließlich Argumente, die das Scheitern voraussagen. Für ihn ist der „große Knall“, den er in der Kapitelüberschrift erwähnt, der 14. September 2008, der Tag, an dem die zahlungsunfähige Investmentbank Lehman Brothers in Amerika pleiteging. Fischer erklärt, dass dies eben nicht nur ein fernes Problem sei, das nur in den USA relevant ist, sondern er spricht von einer „[…] existenzbedrohende[n] Krise der Währungsunion und damit des gesamten Projekts Europa." (S. 16).

Er vergleicht diese Krise mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und spricht von den verheerenden Folgen, die zum Beispiel darin bestanden, dass Griechenland in den Staatsbankrott getrieben wurde. Der frühere Außenminister Fischer nennt die Finanzkrise aber eher „einen Auslöser für eine viel tief liegende politische Souveränitätskrise“ (S. 31). Außerdem spricht er davon, dass das Schicksal der gesamten EU vom Erfolg oder Misserfolg des Euros bestimmt werden würde, was Bundeskanzlerin Angela Merkel am 27. Februar 2012 im Deutschen Bundestag ebenfalls so aussprach.

Gegenüber der Kanzlerin hat Joschka Fischer eher eine negative Haltung, auf Seite 36 schreibt er, dass Angela Merkel lediglich weitere Wahlen gewinnen wollte und deshalb „wie der Teufel das Weihwasser“ jegliches europäische Risiko scheute. Für ihn hätte es nämlich eine einfache Lösung gegeben: „entweder Renationalisierung oder eine neue Stufe der Vergemeinschaftung“, was Merkel aber eben nicht in Angriff genommen hat.

Ein weiteres Problem für den ehemaligen Politiker ist, dass „das ganze Vorhaben namens EU ein europäisches Deutschland ermöglichen sollte, aber seit dem Herbst 2008 dieses Ziel eher durch die heraufziehende Realität eines deutschen Europas abgelöst wird“ (S. 40). Des Weiteren sind zwei Faktoren, die er nennt, die seiner Meinung nach von Anfang an eine Krisenreaktion erschwert haben, Griechenland und Deutschland.

Griechenland war zwar ein Einzelfall, galt aber im europäischen Norden als Synonym für das Versagen der europäischen Krisenländer und war somit ein perfekter Sündenbock. Joschka Fischer schreibt:
„Zudem wurde der Kern der Finanzkrise, die Überschuldung des privaten Bankensektors, nicht wirklich angepackt, und so wird man am Ende auf einem riesigen Berg von Altschulden sitzen bleiben“ (S. 46).
Er führt nach und nach immer mehr Argumente auf, die zum Scheitern Europas beitragen oder bereits beigetragen haben, aber er ist trotzdem der Meinung, dass, „wenn es zu einer wirklichen Existenzbedrohung Europas kommen wird, die Mehrheiten in den wichtigsten Mitgliedsländern dieses Projekt nicht aufgeben wollen und aufgeben werden“ (S. 63).

Anschließend kommt der Autor zum Kapitel „Die EU und die europäische Geschichte“, in dem er die Geschichte von Europa erzählt, da er der Meinung ist, man kann Europa nicht ohne seine Vergangenheit verstehen. Er spricht unter anderem vom „Konflikt um Einheit oder Vielfalt, der so uralt wie zentral in der europäischen Geschichte ist“ (S. 71), und erläutert auf den folgenden Seiten Kriege, Auseinandersetzungen und Streitigkeiten im Zusammenhang mit Europa in den vergangenen Jahren seit ca. 1957.
„Nichts ist so widersinnig und findet sich doch zugleich so häufig in der Geschichte wie die Feindschaft zwischen Nachbarn“ (S. 95), stellt Joschka Fischer fest und erwähnt ebenfalls, dass „die EU sich im Laufe der Jahrzehnte von den ursprünglichen sechs ‚karolingischen‘ Mitgliedsstaaten […] der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf heute 28 Mitgliedsstaaten ausgedehnt […] hat. Aber auch heute gilt immer noch, was 1957 gewissermaßen selbstevident war, nämlich dass die deutsch-französische Partnerschaft das Fundament und zugleich der Motor dieser neuen europäischen Gemeinschaft war“ (S. 97).
Fischer beendet das Kapitel mit der Aussage dass eine deutsch-französische Führung für Europa aktuell ist, „was selbstverständlich all die anderen Partner ein- und nicht ausschließt – und kein deutsches, französisches oder gemeinsames Hegemonialprojekt unter veränderten Bedingungen darstellt“ (S. 106), und fügt hinzu, dass „unter diesen Bedienungen eine gemeinsame Rettungsinitative für Europa vom deutsch-französischen Paar zu erwarten sei, setze aber auch voraus, dass Deutschland als momentan stärkerer Partner bereit wäre, große Schritte auf Frankreich zuzugehen, um so das europäische Projekt zu retten“ (S. 108).

Er fragt zusätzlich noch, ob die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel überhaupt genug Mut und innenpolitische Kraft für diesen notwendigen Weitblick besitzt. Anschließend kommt der Autor zum nächsten Kapitel „Die strategische Krise Europas“, in dem er viele der Probleme der EU auflistet. Er beginnt mit der Finanz- und Souveränitätskrise, erzählt von dem anhaltenden Bevölkerungswachstum der Menschheit, der zu einem großen qualitativen und quantitativem ökonomischen Wachstumsdruck führe und „zu einer Überforderung der natürlichen Ressourcen und regionaler und globaler Ökosysteme“ (S. 109).

Joschka Fischer spricht davon, dass noch schlimmer als die Souveränitätskrise die Strategiekrise sei, mit der die „EU-Europäer“ zu kämpfen haben, und zusätzlich erwähnt er, dass sich die EU zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg "gemeinsam mit ihren transatlantischen Partnern in einer direkten politischen Konfrontation mit Russland“ befinde (S. 111). Die folgenden Seiten handeln von Russland und Wladimir Putin, den er alleine für die Ukraine-Krise verantwortlich macht.
„Die EU wird begreifen müssen, dass sie in ihrer östlichen und südlichen Nachbarschaft nicht in einem interessenfreien Raum handelt, sondern dass sie dort mit widerstreitenden Interessen anderer Mächte, ja mit Rivalen konfrontiert wird, die sie im eigenen Sicherheitsinteresse nicht ignorieren darf oder einfach akzeptieren kann“ (S. 122).
Er folgert daraus: „solange Europa geteilt und zerstritten bleibt, wird die extreme sicherheitspolitische Schräglage zwischen den USA und Europa im transatlantischen Bündnis nicht ab-, sondern zunehmen“ (S. 135). Als einzige Lösung für die beiden anfangs genannten Krisen nennt Fischer „die Überwindung der europäischen Kleinstaaterei und die politische Einigung Europas.“ (S. 136) und schließt damit das Kapitel ab.

Im vorletzten Kapitel „Die Lehre aus den Krisen: die Vereinigten Staaten von Europa und die Herausbildung einer europäischen Demokratie“ spricht er dann unter anderem über ein Land, das als Vorbild mit ihrem föderalen Modell für die EU fungieren sollte – die Schweiz. Er spricht ebenso über das Prinzip der Subsidarität und stellt fest, dass „die Europäische Union vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte steht, nämlich vor der Beantwortung der Frage, wie ihre Finalität eigentlich aussehen soll und wie der Prozess gestaltet werden muss, um dorthin zu gelangen“ (S. 154).

Fischer beendet sein Buch mit der Feststellung, dass „das europäische Integrationsprojekt daher noch nie so gefährdet war wie heute, im Sommer 2014“ (S. 160), aber lässt mit dem allerletzten Satz ein wenig Hoffnung durchschimmern:
„Genau deshalb wird es erneut ganz entscheidend von Deutschland und seinem unverzichtbaren Partner Frankreich abhängen, welche Richtung Europa einschlagen wird, ob es am Ende scheitern wird oder doch die Vereinigten Staaten von Europa entstehen“ (S. 160).

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