In diesem Beitrag stellt Tim Falk folgenden Text vor:
Kempe, Iris (2011): Die EU und Russland; in: Weidenfeld, Werner / Wessels, Wolfgang: Jahrbuch der Europäischen Integration 2010, Nomos, S. 284-289, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845228044-284/die-eu-und-russland.
Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland waren im Jahr 2008 durch den russisch-georgischen Krieg sowie die globale Finanzkrise und dem damit einhergehenden Preisverfall des Weltenergiemarktes geprägt.
Gesamteuropäische Sicherheitsordnung
Angestoßen durch den russisch-georgischen Krieg kommt es am 8. April 2010 in Prag zu dem Nachfolgeabkommen START1 zwischen den USA und Russland. Dieses soll eine neue Sicherheitsordnung zwischen den zentralen Akteuren USA und Russland, aber auch der EU klären. Im Fokus der zwei Hauptakteure stehen vor allem die Entwicklungen des Iran, Chinas und Afghanistans. Kompromisse in diesen Themen verbessern auch das europäisch-russische Verhältnis.
Am 29. November 2010 entsteht der Entwurf für eine euroatlantische Sicherheitsordnung durch die Administration des russischen Präsidenten Medwedew. Die Hauptforderung besteht in dem verbindlichen Sicherheitsvertrag, dem alle Staaten sowie internationale Organisationen im relevanten Raum zustimmen sollen.
An erster Stelle steht der Schutz aller Vertragsparteien voreinander. Russland versucht hierbei, Einfluss auf das gesamte Europa zu nehmen. Aus europäischer Sicht fehlen dem Vertrag aber konkrete Formulierungen und eine klare Differenzierung zwischen bereits bestehenden Institutionen der europäischen Sicherheit. Ungeklärte Risiken bleiben territoriale Konflikte, wie beispielsweise die Krim.
Am 1. Dezember 2009 tritt der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft. Er weckt Hoffnung für die außenpolitische Handlungsfähigkeit, beispielsweise in Energiefragen. Hierzu wird der Vorsitz des Außenministerrats zukünftig von dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik übernommen. Diese Änderung beendet den halbjährlichen Wechsel des Vorsitzes und soll so zu nachhaltigeren Ergebnissen führen.
Ziel der EU ist es, die EU-Ostpolitik neu zu definieren. Dabei spielen die europäischen und russischen Nachbarstaaten eine zentrale Rolle. Dieses 2008 veröffentlichte Konzept der "Östlichen Partnerschaft" umschließt sechs Nachbarstaaten. Russland sieht dieses Konzept allerdings als einen Versuch, sich in russische Interessen einzumischen, Russland auszuschließen und kritisiert die EU stark. Trotz intensiver Bemühungen bleiben Fortschritte in der gesamteuropäischen Ordnung aus.
Die ukrainische Präsidentschaftswahl 2010 führt zu neuen Verträgen zwischen Russland und der Ukraine, dabei stehen die Stationierung der Schwarzmeerflotte sowie neue Gasverträge im Fokus. Eine Abwendung von der EU ist hieraus aber nicht zu schließen, vielmehr versucht die Ukraine, ihre innenpolitische Lage zu beruhigen und die eigenen Handlungsoptionen zu vergrößern, indem sie auf die Forderungen von Russland eingeht.
Russland versucht weiterhin, durch die russischsprachige Bevölkerung sowie Abhängigkeiten in wirtschaftlichen Sektoren den eigenen Einfluss in den Nachbarstaaten zu vergrößern. Hierzu nutzt Russland nach dem russisch-georgischen Krieg 2008 subtile Mittel wie Fehlinformationen, Zahlungen von Renten an Veteranen der sowjetischen Armee und gibt Pässe an Anwohner der Nachbarstaaten aus.
2010 gründen Russland, Belarus und Kasachstan eine Zollunion, welche die wirtschaftlichen Beziehungen stärken soll. Das Interesse Russlands ist es hierbei, den eigenen Einfluss in den Nachbarstaaten zu sichern und sich gegen das westliche liberal-demokratische Weltbild durchzusetzen.
Auch das Verhältnis von Russland gegenüber den neuen EU-Mitgliedern wie Polen ist von Beginn an angespannt und wird durch ungeklärte Schuldzuweisungen zusätzlich erschwert. Der Flugzeugabsturz der polnischen Delegation, die auf dem Weg nach Katyn für eine Gedenkveranstaltung war, löst eine große Welle der Aussöhnung aus. Der russische Premierminister umarmt sogar seinen polnischen Kollegen an der Unglücksstelle und das Massaker von Katyn wird erstmals in der russischen Öffentlichkeit diskutiert.
Der Weg zu einer Modernisierungspartnerschaft
Aufgrund der globalen Finanzkrise, welche auch die Weltenergiemärkte einbrechen lässt, ist Russland genau wie die EU auf neue Partnerschaften angewiesen. Russland plant darüber hinaus eine umfassende Modernisierungspolitik mit Schwerpunkten in den Themengebieten Medizin-, Energie- und Informationstechnologie, Entwicklung von Raumfahrt und Telekomunikation sowie eine Steigerung der Energieeffizienz.
Außerdem wird 2009 ein Frühwarnsystem zwischen der EU und Russland etabliert, welches neue Gaskrisen in der Zukunft verhindern oder zumindest abschwächen soll, und ein Beitritt Russlands in die Welthandelsorganisation scheint möglich. Bei dem folgenden Gipfel 2010 bleiben große Fortschritte aus und Russland scheitert an der Abschaffung der Visapflicht in der EU für russische Staatsbürger erneut, wie schon 2003.
Die EU erklärt erneut die Wichtigkeit von gemeinsamen Werten, Demokratie und Menschenrechten als Grundlage für eine Modernisierung. Diese Erklärung zeigt die gravierenden Differenzen zwischen Russland und der EU in Interessen und Wertvorstellungen. Die politische Elite Russlands schafft es in dieser Zeit nicht, eine parlamentarische Demokratie zu etablieren. Angehörige der Opposition sowie Kritiker leben weiterhin in Gefahr und müssen mit willkürlichen Verhaftungen rechnen. Russland verabschiedet verschärfend zudem 2010 ein Gesetz, welches es ermöglicht, Menschen für 15 Tage zu inhaftieren und zu Geldstrafen zu verurteilen, wenn sie die Arbeit des Inlandgeheimdienstes behindern.
Resümierend muss klar gesagt werden, dass es zwischen der EU und Russland weiterhin große Differenzen gibt, jedoch auch Annäherungen, zahlreiche Kompromissversuche und eine wechselseitige Abhängigkeit, wie beispielsweise in der Gasversorgung. Ob diese Annäherungen und Abhängigkeiten die Grundlage für eine bessere Zusammenarbeit in der Zukunft bilden, bleibt allerdings abzuwarten.
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