In diesem Beitrag stellt Amelie Brühl folgenden Aufsatz vor:
Kovács, Kriszta / Scheppele, Kim Lane (2021): Rechtsstaat unter Druck. Ungarn, Polen und die Rolle der EU; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/2021, S. 32-39, online unter https://www.bpb.de/apuz/herrschaft-des-rechts-2021/340009/rechtsstaat-unter-druck-ungarn-polen-und-die-rolle-der-eu.
Der Artikel von Kriszta Kovács und Kim Lane Scheppele beschäftigt sich mit der Justiz in Ungarn und Polen. Es wird erklärt, wie es in den beiden Ländern dazu kommen konnte, dass die Unabhängigkeit der Justiz ins Schwanken geriet. Im Anschluss daran befasst sich der Text mit den Maßnahmen, die die EU in diesem Kontext ergriffen hat, und den Hintergründen für das Handeln der EU.
Die beiden Autorinnen beginnen mit einer Zusammenfassung der Ereignisse in Ungarn. Dort gewann die Fidesz-Partei 2010 die Parlamentswahlen und erhielt zwei Drittel der Parlamentssitze. Eine Zweidrittelmehrheit im Parlament war für die Partei von Viktor Orbán ausreichend, um grundlegende Änderungen an der Verfassung Ungarns vorzunehmen. Unter anderem wurde das Verfassungsgericht geschwächt, indem neue Richterinnen und Richter sowie neue Präsidenten des Verfassungsgerichts alleinig von der Regierungspartei bestimmt werden konnten (vgl. S. 33).
Als Richter durch ein Herabsetzen des Rentenalters dazu verpflichtet wurden, aufgrund ihres Alters in den Ruhestand zu wechseln, mischte sich die Europäische Kommission in den Vorgang ein. Sie brachte den Fall vor den Gerichtshof der EU, der entschied, dass das Gesetz gegen den ,,Schutz vor Altersdiskriminierung‘‘ (S. 33) verstoße. Das Urteil hatte für Ungarn nur eine Entschädigungsleistung zur Folge, die Richter durften nicht zurück in ihre ehemalige Position kommen.
Ein weiterer Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn stellte das ,,Nationale Justizteam‘‘ dar, das unter anderem die Macht darüber innehat, Richter und Richterinnen zu entlassen. Das Justizteam wird von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments gewählt, wieder reichten also die Stimmen der Fidesz-Partei aus (vgl. S. 34).
Aufgrund einer Änderung des Namens für den Obersten Gerichtshof, woraufhin sich die Richter neu um ihr Amt bewerben mussten, konnte der damalige Präsident des Gerichtshofs abgesetzt werden. Diesmal wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass dieser Vorgang nicht rechtmäßig war. Ungarn kam aber wieder mit einer Entschädigungszahlung davon (vgl. S. 34).
Im Anschluss an die Zusammenfassung der Geschehnisse in Ungarn geht der Artikel auf die Justiz in Polen ein. Auch dort wurde die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts stark angegriffen. Die Regierungspartei konnte hier durch eine Reihe von Vorgängen, die im Artikel näher beschrieben werden, dafür sorgen, dass im Verfassungsgericht eine Mehrheit der Richter der Regierungspartei PiS nahestehen (vgl. S. 36).
Durch ein Gesetz durfte der Justizminister Gerichtspräsidenten entlassen und andere Personen in diese Positionen einsetzen. Außerdem wurde auch in Polen das ,,Rentenalter für alle Richterinnen und Richter unterhalb des Obersten Gerichtshofs‘‘ (S. 36) gesenkt. Im Laufe der Zeit konnte die polnische Regierung den Nationalen Justizrat, das Verfassungsgericht und den Obersten Gerichtshof kontrollieren und in die Hände der eigenen Partei geben. Mit dem sogenannten ,,Maulkorbgesetz‘‘ können Richter für das Übergeben von Fällen an den EuGH sogar bestraft werden (vgl. S. 36).
Auf die Zusammenfassung der Vorgänge in den beiden Staaten folgt das Beleuchten der Eingriffe der EU in das Vorgehen der Regierungen. Außerdem gehen Scheppele und Kovács im letzten Teil des Artikels auf die Frage ein, weshalb sich die EU nicht stärker für die Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn und Polen eingesetzt hat.
Als Unternehmungen der Kommission führt der Artikel auf, dass diese 2014 den ,,Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips‘‘ (S. 34) verabschiedete, der von der nächsten Kommission jedoch nicht weitergeführt wurde. Es kam daher nicht zu einer Verwarnung Ungarns. Das Europäische Parlament leitete gegen Ungarn das Verfahren nach Artikel 7 EUV ein, welches eine Verwarnung an Ungarn nach sich ziehen würde. Die nötige Mehrheit für diesen Schritt konnte im Rat jedoch nicht erreicht werden. (vgl. S. 34f.)
In Polen wurde die Kommission recht schnell aktiv und nutzte den ,,Rechtsstaatlichkeitsrahmen‘‘, um ,,Warnungen und Empfehlungen" (S. 37) an Polen aussprechen zu können. Ein entscheidendes Urteil hat dann der EuGH gefällt. In diesem Urteil ging es darum, dass die Mitgliedsstaaten die Unabhängigkeit der Justiz schützen müssen. Daraufhin wurde von der Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Ein Nichteinhalten des Urteils kann hohe Geldstrafen nach sich ziehen, dies muss jedoch von der Kommission herbeigeführt werden (vgl. S. 39).
Als einen der wichtigsten Gründe dafür, dass die EU nicht besonders stark in die Geschehnisse eingreifen konnte, nennen die Autorinnen die Abhängigkeit der EU von den Mitgliedsstaaten. Einerseits wollten sich die Mitgliedsstaaten nicht gegenseitig verurteilen, aus Angst selbst verurteilt zu werden. Die Verfahren nach Artikel 7 EUV, die eine Verwarnung an den jeweiligen Mitgliedsstaat nach sich ziehen, benötigten außerdem den einstimmigen Beschluss des Rates. Eine solche einstimmige Entscheidung habe jedoch nicht erreicht werden können (vgl. S. 39).
Außerdem erklären die Autorinnen, dass die EU nur beschränkte Zuständigkeitsbereiche innehat, sodass es ihr in einigen Bereichen unmöglich ist, in die nationale Politik der Mitgliedsstaaten einzugreifen. 2020 wurde eine Verordnung verabschiedet, die es zulässt, EU-Mittel zu verringern, falls diese im Land der Empfänger ,,falsch‘‘ (S. 39) ausgegeben würden. Diese Verordnung lässt die beiden Autorinnen auf eine Besserung der Situation hoffen.
Kovács und Scheppele schließen mit der Erkenntnis, dass die ,,nationalen Regierungen immer einen Vorteil gegenüber den EU-Institutionen‘‘ (S. 39) hätten, wenn sie sich nicht an die vorgegebenen Regeln hielten. Indem die EU zu wenig für die Unabhängigkeit der Justiz in Polen und Ungarn unternommen habe, habe sie ,,versäumt […]‘‘ (S. 39), für europäische und demokratische Werte einzustehen und diese durchzusetzen.
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