Dienstag, 1. Februar 2022

Strukturelle Probleme der Währungsunion

In diesem Beitrag stellt Katharina Lagger folgenden Aufsatz vor:

Heine, M. & Herr, H. (2021): Europäische Währungsunion: schlecht gerüstet für große Krisen; in: Wirtschaftsdienst, 101, S. 369-375, online unter: https://doi.org/10.1007/s10273-021-2921-6.

„Bereits vor der Corona-Krise zeigte die Europäische Währungsunion (EWU) eine unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung mit niedrigem Wachstum und zu geringer Inflation.“

Mit diesem Satz beginnt der Text von Michael Heine und Hansjörg Herr. Um die Corona-Krise und auch andere Krisen bewältigen zu können, ist eine Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik notwendig. Abgesehen von der Geldpolitik fehlt es der EWU auch an Institutionen, die die notwendige Wirtschaftspolitik unterstützen. Damit besteht die Gefahr einer langfristigen Stagnation der EWU. Wie kommt es dazu?

Bereits in der zweiten Hälfte 2019 kam es in der Währungsunion zu einem konjunkturellen Abschwung, der durch die Corona-Pandemie erheblich beschleunigt wurde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit der Großen Depression 1930 in Europa nicht mehr so stark gesunken wie im Jahr 2020. Bei wirtschaftlichen Abschwüngen sinken bekanntermaßen die staatlichen Einnahmen und die Ausgaben steigen an. Aus diesem Grund ließ sich die Schuldenbremse, ohne katastrophale Konsequenzen zu riskieren, nicht verteidigen, weshalb sie außer Kraft gesetzt wurde. Damit hat die Fiskalpolitik erstmals seit der Finanzmarktkrise 2007/2008 wieder eng mit der expansiv ausgerichteten Geldpolitik zusammengearbeitet.

Die aktuelle Debatte konzentriert sich auf die Ausgestaltung der Fiskalpolitik. Dieser Bereich ist für die künftige Entwicklung der EWU sehr wichtig. Allerdings kommen hierbei Themen wie die Gefahren der hohen Verschuldung von staatlichen, aber auch privaten Sektoren oder auch der krisenbedingte Druck auf die Lohnentwicklung viel zu kurz. Gerade letzteres Thema kann zu einer massiven deflationären Entwicklung beitragen.

Hier kann vor allem die Frage nach den Deflationsgefahren bei geringem Wachstum in Betracht gezogen werden. Heine und Herr gehen dieser Frage in einem ihrer Textabschnitte nach. Die wirtschaftliche Entwicklung in der EWU verläuft seit der Finanzmarktkrise mehr als unbefriedigend. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des realen BIP betrug seit dem Jahr 2008 bis 2019 nur gut 1%. Hierbei lassen sich enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern feststellen.

Während die EWU von 2007-2019 insgesamt um 9,5% wuchs, lagen die Werte bspw. für Deutschland bei 14,6% und für Griechenland bei -23,2%. Werden nun Zahlen der Europäischen Zentralbank angeschaut, so lässt sich feststellen, dass das BIP in der EWU im Jahr 2020 um rund 7,3% geschrumpft ist. Auch andere Länder wie Portugal, Italien und Frankreich kämpfen mit einem Rückgang des BIP.

Mit diesen Hintergrundinformationen ist es wenig überraschend, dass auch die Arbeitslosigkeit in der EWU hoch ist und 2020 auf einen Wert von 8,3% anstieg. Die schleppende Konjunktur spiegelt sich aber auch in den Veränderungen des Preisniveaus wider. Die EZB hatte 2003 ihr damaliges Inflationsziel, das zwischen 0 und 2% lag, aufgrund der niedrigen Inflationsraten in Deutschland ziemlich schnell auf knapp unter 2% korrigiert. Dies hatte zum Ziel, dass deflationäre Gefahren vermieden werden sollten.

Das von der EZB festgelegte Inflationsziel wurde ab 2013 Jahr für Jahr deutlich verfehlt. 2020 betrug die Inflationsrate im Euroraum 0,2% und ist damit auf einem Tiefpunkt angekommen. Der Hauptgrund für diese niedrige Inflationsrate liegt bei den geringen Lohnerhöhungen. Im Zeitraum von 2011 bis 2020 sind die Nominallöhne je Beschäftigten in der EWU jährlich nur um 1,7% gestiegen.

Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten, denn Lohnerhöhungen lassen sie steigen und Produktivitätsfortschritte lassen sie sinken. Besonders wichtig ist hier zu wissen, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten der wichtigste Faktor für die Preisentwicklung ist. Die Arbeitsproduktivität stieg in der EWU von 2011-2019 jährlich um durchschnittlich 0,81% an. Damit hätten die nominalen Löhne jährlich um rund 2,7% steigen müssen, um die Zielinflationsrate von 1,9% erreichen zu können. Diese sind aber nur um rund 1,09% angestiegen.

Aufgrund dessen besteht die Gefahr, dass in den nächsten Jahren der nominelle Lohnanker bricht, denn die hier betrachtete mikroökonomische Logik, wonach Unternehmen durch Lohnzurückhaltung gerettet werden müssen, erscheint hier besonders plausibel. Dies bedeutet, dass die Versuchung bei den Unternehmen naheliegt, die Krise mithilfe sinkender Löhne zu meistern. Damit würde es aber zu einer Deflation kommen, die wiederum zu einer Erhöhung der Realschulden der Unternehmen und damit zur Lähmung der Investitionsneigung des Unternehmens führt.

An diesem geringen Wachstum und vor allem dem Verfehlen des Inflationsziels konnte auch eine expansive Geldpolitik der EZB nichts ändern. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde seit 2012 schrittweise gesenkt und befindet sich heute bei einem Wert von Null. Die von der EZB genutzte „Easy Money policy“ oder auch „einfache Geldpolitik“, bei der die Geldmenge normalerweise durch Senkung der Zinssätze erhöht wird, konnte das Investitionsverhalten der Unternehmen nicht nachhaltig verändern.

Die EZB, die ab 2012 insgesamt geldpolitisch richtig gehandelt hat, konnte allerdings ohne die Unterstützung der Fiskal- und Lohnpolitik Kollateralschäden nicht vermeiden und damit wurden die Gefahren von Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten deutlich erhöht. Hier zu erwähnen ist noch, dass die Entwicklung der Aktienkurse in der EWU sehr beunruhigend ist und mittlerweile ein Kursniveau erreicht wurde, das mit der Spekulation vor der Finanzmarktkrise 2008 vergleichbar ist.

Heine und Herr sprechen neben der Geldpolitik auch die Fiskalpolitik als einen gesonderten Punkt an. Für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist das Zusammenspiel zwischen der Geld- und Fiskalpolitik enorm wichtig. Mit Beginn der Corona-Krise schaltete man in der EWU auf eine expansive Fiskalpolitik um, die entweder zu einer Erhöhung der Staatsausgaben oder zu einer Senkung der Steuern führt.

Im Frühjahr 2020 beschlossen die Finanzminister der EU ein Finanzpaket (Coronahilfen) in Höhe von 540 Mrd. Euro. Um die künftige Entwicklung beurteilen zu können, muss beachtet werden, dass es sich bei diesem Corona-Programm um eine einmalige Maßnahme handelt. Hinzuzufügen ist noch, dass die Fiskalpolitik eine eigenständige Angelegenheit der Mitgliedsländer bleibt und damit eine gemeinsame Fiskalpolitik in der EWU erschwert.

Derzeit ist es noch nicht absehbar, ob die EWU erneut zu früh eine expansive Fiskalpolitik aufgibt und damit Wachstumschancen verspielt. Auszuschließen ist hier nicht, dass vorrangig Deutschland die wachsende Verschuldung der öffentlichen Haushalte in einigen Ländern der Eurozone zum Anlass nimmt, den Fiskalvertrag schnell wiederzubeleben. Nicht nur die Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat in der EWU zugenommen, sondern auch die Quote des Unternehmenssektors und der privaten Haushalte. Zusammengenommen stieg die Verschuldung auf 174% vom BIP 2020 an.

Dieser trendmäßige Schuldenaufbau kann die künftige ökonomische Entwicklung erheblich belasten. Falls die Unternehmen und privaten Haushalte ihre Verschuldung zu reduzieren versuchen, belasten sie durch die zurückgehenden Konsum- und Investitionskäufe die effektive Nachfrage und bremsen damit eine expansive Geldpolitik aus. Aber nicht nur dies ist ein Problem, sondern die hohen Verschuldungsquoten erschweren auch Maßnahmen gegen inflationäre und deflationäre Entwicklungen.

Beispielsweise steht die EZB bei einer Inflation vor dem Dilemma, dass steigende Zinssätze die Schuldner*innen in die Knie zwingen und so eine konjunkturelle Krise eingeleitet wird - und je höher die Schuldenbestände, umso gravierender ist die Krise. Eine notwendige EWU-weite Lösung ist zurzeit noch nicht in Sicht und ebenso gibt es keine gemeinsame Einlagenversicherungen der entsprechenden Mitgliedsstaaten.

Zusammenfassend lässt sich nun sagen, dass die Lage der Eurozone alles andere als rosig aussieht. Es existieren erhebliche Risiken und es kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass die vorherrschende ökonomische Lage außer Kontrolle gerät. Des Weiteren liegen in den Bereichen Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik der EWU deutliche strukturelle Defizite vor, die zunächst behoben werden müssen. Hier muss es eine bessere Zusammenarbeit dieser Bereiche geben.

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