In diesem Beitrag stellt Kathrin Blanke folgenden Aufsatz vor:
Schneider, Etienne / Syrovatka, Felix (2020): Corona und die nächste Eurokrise; in: PROKLA 199, 50. Jg. Heft 2/2020, S.335-344, online unter: https://doi.org/10.32387/prokla.v50i199.1873.
Im Juni 2020 äußern sich die Autoren zur Corona-Pandemie und der Gefahr einer weiteren Eurokrise. Dabei geben sie zu Beginn einen Überblick über die Versäumnisse der letzten Jahre in Bezug auf Reformen der Währungsunion der EU.
Aufgrund der globalen Ausweitung und des schlimmen Krankheitsverlaufs von Covid-19 wurden innerhalb der EU strikte Maßnahmen getroffen, um die Pandemie einzudämmen. Unter anderem waren während des ersten Lockdowns große Teile der Industrie lahmgelegt. Die Pandemie legte dabei die Missstände und Krisentendenzen der WWU offen. Anders als in der Finanzkrise (ab 2007) sind hier viele realwirtschaftliche Sektoren wie die Gastronomie oder der Tourismus betroffen.
„Die damit verbundenen Kreditausfälle und der Preisverfall an den Anleihen- und Aktienmärkten wird das ohnehin schon fragile Banken- und Finanzsystem weiter unter Druck setzten. Zwar konnte durch das Eingreifen der Zentralbanken und der Lockerung von Regulierungsbestimmungen ein Übergreifen bislang verhindert werden, jedoch erscheint dies insbesondere in Europa mit jedem weiteren Tag des Ausnahmezustands schwieriger.“ (S. 337)
Zusätzlich können laut den Autoren verbriefte Kredite und hoch verschuldete Unternehmen der Auslöser für eine weitere Finanzkrise sein. Wie auch schon seit 2007 kann die Struktur der WWU und die fehlenden Reformen die Krise verschlimmern. Zum einem stellen sie die These auf, dass die Finanzkrise nie überwunden wurde und die "Konstruktionsfehler" der WWU trotz jahrelanger Diskussionen nie behoben worden sind. Zudem sehen sie die Rolle Italiens, von einer wirtschaftlich stabilen Macht hin zu einem wirtschaftlichen Brennpunkt, sehr kritisch.
Als Beispiel dafür, dass die Eurokrise nie ganz überwunden wurde, wird das Bruttoinlandsprodukt von Griechenland angeführt, welches 2019 auf demselben Stand wie 2002 war. Auch andere Länder wie Spanien, Portugal und Frankreich konnten ihr wirtschaftliches Niveau vor der Eurokrise nicht mehr erreichen. Dabei nahmen in den letzten Jahren die sozialen Ungleichheiten zu und die Staatsverschuldung stieg immer weiter.
Zwar gelang es der EZB mit ihren Anleihekäufen, die schwierigste Phase der Eurokrise zu beenden, doch wurden weitere Veränderungen versäumt und deshalb wurde die Eurokrise nie gänzlich überwunden. Die Autoren verweisen hier auf zwei grundlegende Konstruktionsfehler der WWU, welche in den über 10 Jahren nach der Eurokrise behoben werden sollten. Zum einen gibt es keine wirksamen Maßnahmen, welche soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen Ländern und Regionen ausgleichen würde. Zum anderen darf die EZB nicht als Kreditgeber letzter Instanz auftreten, was bedeutet, dass sie nicht unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen darf.
Reformvorschläge drehten sich um Eurobonds, die Einführung des Amtes eines europäischen Finanzministers, ein Eurozonenbudget und eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Diese Ideen könnten die Missstände in der WWU in einem gewissen Maße ausgleichen und kommende Krise somit abmildern. Diese Ideen wurden vor allem durch die südlichen Staaten sowie Frankreich unterstützt. Aufgrund von widersprüchlichen Interessen haben die nördlichen Länder und die Bundesregierung die Reformen blockiert.
Man setzte im Süden daher auf Austeritätspolitik und schadete damit der sozialen Infrastruktur der Staaten sowie dem Gesundheitssystem und schwächte zusätzlich die wirtschaftliche Entwicklung. Weitere Missstände sind die Wiedereinführung der Kreditverbriefung im Rahmen der Kapitalvermarktung, eine europäische Finanztransaktionssteuer wurde nicht geschaffen und die Europäische Bankenunion bleibt unvollendet.
„Die Corona-Krise trifft damit nicht nur auf eine fragile Währungsunion, sondern zugleich auf ein immer noch instabiles und unzureichend reguliertes europäisches Finanzsystem.“ (S. 339)
Die Autoren zeigen weiterhin auf, dass Italien aufgrund der Reformversäumnisse als Verlierer dasteht. Nicht nur, dass die Pandemie sie sehr stark getroffen hat, sondern auch die wirtschaftliche Lage hat sich verschlechtert. So wandelte sich Italien in der Finanzkrise von einem überdurchschnittlichen zu einem unterdurchschnittlichen Industrieland. Sie führen als Beleg das BIP an, welches heute auf demselben Stand ist wie 2006. Zudem hat Italien eine Staatsverschuldung von 136 Prozent des BIP. Demzufolge leidet Italiens Wirtschaft durch den Shutdown im Frühjahr 2020 enorm und es drohen Unternehmenspleiten, welche Bankeninsolvenzen verursachen könnten. Wenn es dazu kommen würde, könnte die italienische Situation, als drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, die Währungsunion zusammenbrechen lassen.
Schon Mitte März beschloss die EZB einen Anleihekauf im Umfang von 750 Milliarden Euro, um den Risikoaufschlägen der italienischen Staatsanleihen entgegenzutreten. Dieses Anleihekaufprogramm, (Pandemic Emergency Purchase Programme - PEPP) hat weitere Diskussionen innerhalb des EZB-Rates verursacht, denn durch dieses Programm könnte die EZB ein Drittel der Staatsanleihen einiger Länder besitzen. Zusätzlich ist unklar wie lange die EZB mit Staatsanleihen das Finanzsystem stabilisieren kann.
Wieder wurde der Ruf nach Reformen und dieses Mal nach Coronabonds laut, welche wiederum abgelehnt wurden. Als Lösung wurden 540 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungsschirm ESM für den Gesundheitssektor bereitgestellt. Weitere Maßnahmen wie die Arbeitslosenrückversicherung bleiben befristet. Dies zeigt, dass lediglich die Haftungssumme in geringen Maße erhöht wurde, aber sonstige Mittel wurden nicht für das EU-Budget mobilisiert. Zudem sind alle vergebenen Gelder rückzahlungspflichtig, dies hat zur Folge, dass sie nach der Pandemie eine strenge Sparpolitik durchlaufen müssen.
„Unterm Strich konnten die Maßnahmen, insbesondere das Eingreifen der EZB, eine neuerliche Eskalation der Eurokrise bislang abwenden. Zugleich blieben sie in der Logik der Stabilitätsunion verhaftet. Alle Vorstöße in Richtung einer Fiskalunion wurden vom nordeuropäischen Staatenblock abgewehrt und eine grundlegende Rekonfiguration der WWU-Architektur wurde verhindert.“ (S. 341)
Die Autoren skizzieren drei mögliche Szenarien, wie mit der Krise umgegangen werden kann. Im ersten Szenario würde die Eurozone auseinanderbrechen und die Gefahr einer Renationalisierung bestehen. Das ist aufgrund der aktuell schwierigen Situation in Italien oder Spanien denkbar, aber aufgrund der Bedeutung des Euros für den Weltmarkt unwahrscheinlich.
Das zweite Szenario besteht in der pragmatischen Stabilisierung. Hier stockt die EZB weiterhin ihre Anleihekäufe auf und drückt damit die Spekulationsdynamik der schwächsten Mitglieder schon zu Beginn der Krise. Die Eurokrise besteht dann zwar weiter, eskaliert aber nicht. Am Ende ist dies mit einer starken Sparpolitik verbunden.
Das dritte Szenario zeigt die Krise als Möglichkeit für postneoliberale Politik der sozialen Infrastrukturen und der sozial-ökologischen Transformation. Es beginnt wie das zweite, aber durch die Corona-Pandemie sind starke Missstände im Gesundheitssystem sowie der sozialen Infrastruktur sichtbar geworden. Demzufolge sind viele gegen eine extreme Sparpolitik. (S. 341-343)
Anstelle von austeritätspolitischen Einschnitten werden die öffentlichen Haushalte einnahmeseitig, etwa durch die Einführung bzw. Erhöhung von Vermögens-, Erbschafts- und Bodenpreissteigerungssteuern konsolidiert und auf diese Weise kann auch die Finanzierung sozialer Infrastrukturen gesichert und sukzessive ausgebaut werden. Dadurch kann die Krise auch sozialpolitisch abgefedert werden. (S. 343)
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