Freitag, 9. Juli 2021

GASP nach dem Brexit

In diesem Beitrag stellt Louis Hakim Karl folgenden Text vor: 

Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela (2019): Gemeinsame Außer- und Sicherheitspolitik der EU: Neue Perspektiven nach dem Brexit-Referendum?; in: Rektoratskommission Studium Generale (Hrsg.): Europa – Realität und Vision, Ausgabe 2016/2017, Heidelberg University Publishing, S. 11-28, online unter: https://doi.org/10.17885/heiup.studg.2019.0.24039.

Müller-Brandeck-Bocquet stellt zunächst fest, dass die EU seit Anfang der 2010er Jahre in massiv belastenden Krisensituationen steckt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezeichnete die aus verschiedenen Krisenherden bestehende Situation als „Polykrise“. Der Brexit symbolisiert einen Bruch in der EU und stelle laut Müller-Brandeck-Bocquet einen Höhepunkt in der Polykrise dar, da erstmals in der Geschichte der EU ein Mitgliedstaat die Gemeinschaft verlassen will (S. 11). Jedoch bietet der Austritt der Briten auch neue Perspektiven für die EU-Außenpolitik, auf die Müller-Brandeck-Bocquet im vorliegenden Beitrag genauer eingeht.

Bevor sich Müller-Brandeck-Bocquet den möglichen Perspektiven und Folgen widmet, klärt sie zuerst den Begriff der EU-Außenpolitik. Hierbei sei es entscheidend, die Außenpolitik der EU in einem mehrdimensionalen und dem Lissabonner Vertrag entsprechendem Ansatz zu betrachten, da verschiedene Dimensionen unterschiedliche Zuständigkeiten und Prozesse einbeziehen (S. 14).

Handelspolitik, Entwicklungshilfe und Humanitäre Hilfe sind beispielsweise die zentralen Bausteine der Gemeinschaftsdimension, während die intergouvernemental geprägte Dimension zentral aus GASP und GSVP besteht. Laut Müller-Brandeck-Bocquet benötige es einen mehrdimensionalen Ansatz zum Verständnis der EU-Außenpolitik, da sich so Gestaltungsmöglichkeiten und Leistungen erkennbar machen lassen (S. 15).

Großbritannien legte während der EU-Mitgliedschaft sehr viel Wert auf das Erfüllen außenpolitischer Aufgaben und zählte immer zu den großen Akteuren der internationalen Politik. Folglich werden nach dem Brexit allen Dimensionen der EU-Außenpolitik die qualitativen Beiträge Großbritanniens fehlen. Zudem galt Großbritannien lange als ausgleichende Kraft zwischen EU und USA in Krisengebieten wie dem Nahen Osten und führte den Kampf gegen eine Vergemeinschaftung von GASP und GSVP an (S. 17ff.).

Müller-Brandeck-Bocquet schreibt, dass aufgrund neuer internationaler Bedrohungen bereits nach dem Brexit-Votum überlegt wurde, wie die intergouvernementale Dimension der EU-Außenpolitik ohne Einfluss von Großbritannien aussehen könnte (S. 20). Infolgedessen schlugen die Außenminister von Frankreich und Deutschland eine europäische Sicherheitsagenda vor, um durch stärkere, flexiblere und analytischere Fähigkeiten den neuen internationalen Herausforderungen zu entgegnen.

Das deutsch-französische Konzept „Erneuerung der GSVP“ beinhaltet viele Vorschläge, die bereits im Vorfeld umfassend diskutiert und von den Briten blockiert wurden: Ein europäisches Hauptquartier für militärische und zivile Missionen und Operationen sowie eine Verknüpfung mit dem Konzept der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit aus dem Lissabonner Vertrag. Laut Müller-Brandeck-Bocquet sei die deutsch-französische Arbeit im Dunst der Polykrise so sehr untergegangen, dass die Rückmeldung nach dem Brexit-Votum überraschend lautstark geschah (S. 22).

Der deutsch-französische Vorstoß zur Erneuerung der GSVP wurde im Herbst 2016 konkretisiert und zu einem mehrstufigem neuen europäischem Projekt transformiert. Sowohl der damalige Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk als auch der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprachen sich für die Schaffung eines EU-HQ aus.

In einer Rede zur Lage der EU vom 14.09.2016, die den Titel „Hin zu einem besseren Europa – einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“ trägt, plädiert Juncker für deutlich mehr Härte der GSVP und Entwicklung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten durch Schaffung eines Europäischen Verteidigungsfonds (S. 23).

Zwei Tage nach Junckers Rede trafen sich die 27 Staats- und Regierungschefs und bekannten sich zur EU als Garant für Frieden, Demokratie und Wohlstand. Die EU-Kommission fasste die zentralen Prioritäten der kommenden Monate im „Bratislava-Fahrplan“ zusammen, in dem innere und äußere Sicherheit als Themenfelder klar dominierten. Laut Müller-Brandeck-Bocquet stehe der Gipfel in Bratislava stellvertretend für einen wichtigen Wendepunkt: Die Loslösung aus der Schockstarre des Brexit-Votums und den Willen, weiterhin zu Europa zu stehen (S. 24).

Neben Großbritannien trug auch der Wahlerfolg von Donald Trump zum Selbstbehauptungswillen der EU bei. Trumps verbale Attacken auf NATO und EU während des Wahlkampfs sorgten zunächst für Verunsicherung innerhalb Europas. Jedoch sorgte Trumps Wahlsieg für eine deutliche Fokussierung der EU auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik. So appellierte der Europäische Rat an die Selbstverantwortung der Europäer:innen für ihre Sicherheit, forderte einen Ausbau der Zusammenarbeit und rief zur autonomen Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten auf (S. 25).

Abschließend stellt Müller-Brandeck-Bocquet fest, dass die EU-27 durch das Brexit-Votum und Trumps Amtseintritt in einen Handlungszwang geraten ist. Die sinkenden Fähigkeiten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der gleichzeitige Druck der USA den NATO-Verpflichtungen nachzukommen, bildeten eine unangenehme Lage für die EU. Die steigenden Zustimmungsraten der Bürger:innen zum Integrationsprojekt und die weiterhin bestehende Einheit und Geschlossenheit der EU-27 bieten eine umfassende Grundlage, um sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu stellen (S. 27 ff.).

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