In diesem Beitrag stellt Konstantin Grabowski folgenden Text vor:
Keutel, Anja (2012): Geschichte und Theorie der abgestuften Integration Europas; SEU Working Papers 2/2012; Leipzig: Freie Universität Berlin, FB Politik- und Sozialwissenschaften, Institut für Soziologie, VW-Nachwuchsforschergruppe "Sozialraum Europa", online unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-365997.
Die Autorin beschäftigt sich in ihrem Paper mit der Geschichte und Theorie der abgestuften Integration Europas. Sie stellt die Frage, wann und wie oft die abgestufte Integration in der Geschichte Europas vorgekommen ist und spannt den Bogen weiter zur Theorie und Aussicht der abgestuften Integration. Die Idee eines abgestuften Integrationsprozesses in der EU ist nicht neu und begleitet diese seit ihrer Gründung (vgl. S. 4). Es gibt mehrere Konzepte, die sich mit der abgestuften Integration beschäftigen. Es lässt sich jedoch festhalten:
„Die Strategie der abgestuften Integration soll immer dazu dienen, Blockaden, die sich aus der Anwendung einheitlicher Integrationsmethoden ergeben, aufzuheben. Die einzelnen Konzepte unterscheiden sich dann nur hinsichtlich der Frage, in welchem Integrationsfeld diese Einschränkung stattfinden und mit welcher Intensität sie vollzogen werden soll“ (S. 4).
Keutel stellt fest, dass die Akzeptanz bezüglich der Forderung nach einer abgestuften Integration bei folgenden drei zentralen Anlässen am höchsten ist (vgl. S. 5). Ein erster Auslöser kann sich durch negative Referenden ergeben. Exemplarisch wäre hier der Vertrag von Lissabon zu nennen, der von der irischen Bevölkerung abgelehnt wurde. Dabei wurde gefordert, ein Voranschreiten der willigen Staaten zu ermöglichen sowie Irland aus bestimmten Integrationsprozessen auszuschließen (vgl. S. 5).
Als zweite Ursache benennt Keutel die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Hierzu zieht sie die Rede von Willy Brandt im November 1974 heran, der zu dieser Zeit bereits über eine Abstufung der wirtschaftlichen Integration spricht (vgl. S. 5). Auch Wolfgang Schäuble und Karl Lammers forderten 1994 beim Eintritt Österreichs, Finnlands und Schwedens ähnliches (vgl. S. 6). Ein weiterer Anlass konstituiert sich durch die allgemeine Stagnation des Integrationsprozesses. Keutel führt in diesem Zusammenhang beispielhaft die Stagnation der EWG in den 60er und 70er Jahren an:
„Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 verfolgten die 6 Gründungsstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten das Ziel, ihre nationalen Volkswirtschaften miteinander zu verschmelzen. Das Kernprojekt dieser Gemeinschaft war deshalb die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes (EWGV, Art. 3). Trotz zahlreicher Bemühungen gelang es den Mitgliedstaaten jedoch lange nicht, diese ehrgeizige Zielsetzung in einem überzeugenden Maße umzusetzen“ (S. 7).
Zudem erschwerte die „Politik des leeren Stuhls“ des französischen Präsidenten die Integration in den 1960er Jahren (vgl. S. 6). Der Premierminister von Belgien wurde schließlich 1974 beauftragt, Lösungsvorschläge für diese Krise zu liefern. In seinem Bericht legte Leo Tindemans erstmals „in der Geschichte der Europäischen Integration ein[en] detailliert ausgearbeitete[n] Plan für die Etablierung abgestufter Integrationsstrategien [vor]“ (S. 8).
Jedoch stellen die meisten Forderungen nach einer nicht-einheitlichen Integrationsmethode eine reine Drohgebärde dar, um eine Blockade zu lösen sowie die Schaffung einer einheitlichen Integration wieder zu ermöglichen.
„Bei den meisten Forderungen dieser Art werden die oben genannten Begriffe wie ‚Kerneuropa‘ oder ‚abgestufte Integration‘ deshalb auch nur schlagwortartig verwendet, ohne dass eine detaillierte Explikation des dahinter stehenden Konzeptes erfolgen würde“ (S. 9).
Die Autorin sieht die Stärken einer abgestuften Integrationsstrategie vorrangig in einer Reaktion auf „ein immanentes strukturelles Problem der europäischen Integration […], nämlich auf den Zielkonflikt zwischen Integration und Erweiterung“ (S. 17).
„Die Entstehung der Europäischen Gemeinschaften, wie wir sie heute kennen, geht auf zwei zentrale Entwicklungslinien zurück: auf die europäische Integration und auf die europäische Erweiterung. Zwischen diesen beiden Entwicklungslinien besteht in dem Sinn ein Konflikt, dass mit der zunehmenden Erweiterung der Gemeinschaft die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration im Inneren immer weiter verschlechtert werden“ (S. 17).
Eine Erweiterung erhöht die Heterogenität der Gemeinschaft, welche wiederum Integrationsprozesse erschwert und Krisen mit sich bringt, beispielhaft kann hier die Osterweiterung genannt werden. Um Integration und Krisen in Zukunft trotz unterschiedlicher Interessen überwinden zu können, benötigt es eine abgestufte Integrationsstrategie (vgl. S. 18).
Die abgestufte Integration begleitet die Europäische Gemeinschaft seit ihren anfänglichen Integrationsprozessen. Damals wie heute kann eine Forderung nach einer nicht-einheitlichen Integration dazu dienen, Blockaden und Stagnationen zu lösen, aber auch einen Lösungsansatz bieten, um die Krisen in Europa zu bekämpfen und zu überwinden.
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