In diesem Beitrag stellt Greta Bachmann folgenden Aufsatz vor:
Müller Gomez, Johannes / Reiners, Wulf / Wessels, Wolfgang (2017): EU-Politik in Krisenzeiten. Krisenmanagement und Integrationsdynamik in der Europäischen Union; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 67, 37/2017. S. 11-17, online unter: https://www.bpb.de/apuz/255603/eu-politik-in-krisenzeiten.
„Krisen spielen in der Geschichte und der Fortentwicklung des EU-Systems […] eine zentrale Rolle“ (S. 11).
In ihrem Beitrag analysieren die Autoren die zentralen Probleme und das dazugehörige Krisenmanagement der Europäischen Union, um eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern sich die Rollen- und Aufgabenverteilung der EU-Akteure verändert hat und in welche Richtung sich die EU entwickeln wird.
Unter dem Begriff der Krise verstehen die Autoren eine „akute Bedrohungslage für zentrale Werte oder vitale Systeme […], die eine rasche Reaktion erfordert und durch große Ungewissheit gekennzeichnet ist.“ (S. 11). Krisen auf EU-Ebene sind durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass sie aufgrund ihres transnationalen Charakters direkt oder zumindest indirekt nicht nur einen Mitgliedsstaat betreffen. Aufgrund dieser Tatsache besteht die Strategie der Mitgliedsstaaten darin, auf eine auftretende Krise eine gemeinsame Lösung zu finden (vgl. S. 11).
Die Eurokrise im Jahr 2010, als Folge der Finanzkrise, gefährdete den gemeinsamen Währungsraum. Als Reaktion auf die unmittelbare Bedrohung richteten die Regierungs- und Staatschefs, unterstützt durch die Europäische Zentralbank, Überwachungs- und Rettungsmaßnahmen ein. Ein Beispiel hierfür ist die Einrichtung des zunächst befristeten EU-Rettungsschirmes, der im Jahr 2012 zu dem permanenten EU-Stabilitätsmechanismus wurde. Im Anschluss an die gemeinsamen Reaktionen auf die aufgetretenen, unmittelbaren Probleme wurde ein bislang nicht abgeschlossener Reformprozess in Gang gesetzt. Dieser sollte die durch die Krise offengelegten Defizite in der Währungs- und Wirtschaftsunion beheben (vgl. S. 12).
Auch anhand der weiteren Krisen, die durch die Autoren beschrieben werden, erkennt man ein eindeutiges Krisenbewältigungsmuster. Sowohl der Ukrainekonflikt, als auch die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sowie der Brexit zeigten, dass sich die EU-Staaten trotz unterschiedlicher nationaler Interessenlagen auf eine gemeinsame Linie einigen können.
Die Einigung auf eine gemeinsame Linie im Hinblick auf die Ukrainekrise stellt einen außenpolitischen Erfolg im Sinne einer „EU-Außenpolitik mit einer Stimme dar“ (S. 13). Der Brexit sorgte nicht für einen Auflösungsprozess der EU, sondern belebte einen bislang nicht möglichen Diskurs bezüglich engerer Kooperation in Europa, etwa im Bereich der Verteidigungspolitik.
Lediglich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise finden sich nationale Abweichungen, die zeigten, dass die Bewältigungsmaßnahmen der EU nicht immer von allen Mitgliedsstaaten getragen werden. Beschlossene Notfallmaßnahmen wurden von einzelnen Mitgliedern boykottiert und als Reaktion darauf nationale Wege eingeschlagen (vgl. S. 12ff.). Der Umgang mit der Flüchtlingskrise offenbart die Problematik, „dass Einstimmigkeit bei der Suche nach EU-weiten Regelungen nicht immer einfach herzustellen ist“ (S. 15).
Generell offenbart sich im Umgang mit transnationalen Krisen eine wiederauftretende, zeitliche Abfolge. Zunächst wird auf nationaler Ebene geprüft, ob es sich tatsächlich um ein europäisches Problem oder nicht eher um ein individuelles Problem des einzelnen Staates handelt. Der darauf folgende Konsens im Hinblick auf die kurzzeitige Krisenbewältigung und längerfristige strukturelle Anpassungen zwischen den EU-Institutionen und den einzelnen Mitgliedsstaaten stellt den eigentlichen Schlüsselmoment dar.
In diesem Zusammenhang offenbaren sich vier große Strategielinien. Das Krisenmanagement, insbesonders kurzfristig verabschiedete Notfallmaßnahmen, sind in erster Linie die Angelegenheit des Europäischen Rats. Der Grund hierfür ist vor allem die Tatsache, dass „außerordentliche Krisenbekämpfungsmittel […] auf europäischer Ebene nicht zur Verfügung stehen“ (S. 15). Zudem kann es aufgrund des bestehenden Zeitdrucks zu der Herausbildung einer Führungsgruppe innerhalb des Rats kommen, da die Einbindung aller EU-Akteure und Mitgliedsstaaten in einem sehr engen Zeitrahmen nicht immer möglich ist (vgl. S. 15).
Neben dieser Führungsgruppe übernehmen EU-Institutionen, wie etwa die Europäische Kommission, „bei der Konsenssuche in Krisensituationen immer wieder wichtige Aufgaben bei der Erarbeitung und Vermittlung europäischer Lösungen“ (S. 16). Als letzte Linie ist die Tatsache entscheidend, dass gefundene Instrumente zur Lösung von Krisensituationen sich teilweise außerhalb des bestehenden Rechtsrahmens der Europäischen Union befinden. Dennoch gelten sie als „Ausgangspunkt für einen substanziellen Fortschritt des EU-System“ (S. 16).
Anhand der aufgezeigten Sofortmaßnahmen und weiterführenden Strategien der EU zur Bekämpfung und Vorbeugung von Krisen zeigt sich, dass die Union als Ganzes durchaus fähig ist, diese zu managen. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass „Krisen wie ein Katalysator für weitere Integrationsschritte“ (S. 16) wirken. Die Strategie der EU, durch Konsensfindung Krisen gemeinsam zu managen, kann durchaus als vergleichsweise zuverlässig und stabil bezeichnet werden.
Es zeigt sich jedoch auch, dass eine zunehmende Integration die Komplexität des europäischen Systems erhöht und gleichzeitig für Mitgliedsstaaten eine zunehmende Abhängigkeit und eine gemeinsame Verwundbarkeit im Krisenfall bedeutet. Im Hinblick auf das zukünftige Krisenmanagement ist davon auszugehen, dass die beschriebenen Muster und die Weiterentwicklung des europäischen Systems beibehalten werden (vgl. S. 17).
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