Dienstag, 6. Juli 2021

Europäischer Rat und Brexit-Prozess

In diesem Beitrag stellt Lea Bauer folgenden Aufsatz vor:

Bujard, Birgit/Wessels, Wolfgang (2021): Der Brexit-Prozess und die Austrittsdoktrin: Die Führungsrolle des Europäischen Rats; in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Heft 14, S. 13-24, online unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s12399-021-00842-z.

In dem Aufsatz von Bujard und Wessels geht es um die zentrale Rolle des Europäischen Rats während des Brexit-Prozesses. Das Verhältnis mit Großbritannien war von Anfang an schwierig und wurde auch nach dem Beitritt 1973 nicht wesentlich besser. Immer wieder wurden Ausnahmen oder besondere Regelungen für Großbritannien beschlossen, wie z.B. im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9% der Bürger für den britischen Austritt aus der Europäischen Union. Der Prozess begann, und es mussten viele Hindernisse bewältigt werden. Der Europäische Rat setzte sich kurze Zeit nach dem Referendum am 28./29. Juni mit den Konsequenzen auseinander. Hierbei legte er die zentralen Aspekte der Unionsreaktion fest und richtete sich nach Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). Dieser beinhaltet die Regelung zu einem „geordneten“ Austritt.
Der Austrittsprozess beginnt mit der Sendung einer Austrittsnotiz des beteiligten Staates an den Europäischen Rat. Diese hat Großbritannien am 29. März 2017 eingereicht, und die Verhandlungen wurden aufgenommen.

Der Europäische Rat legte die Leitlinien fest und übertrug der Kommission die Verhandlungsführung. Die Vertreter des Präsidenten des Europäischen Rats nahmen an allen Verhandlungsrunden und Sitzungen teil und das Europäische Parlament wurde eng eingebunden. Die Verhandlungen gliederten sich in zwei Phasen: Zuerst wurden die wichtigen Aspekte des Austritts und danach die künftige Beziehung geklärt. Letzteres kann erst nach dem endgültigen Austritt abgeschlossen werden.

Die größte Frage war die der Offenhaltung der Grenze zwischen Irland und Nordirland aufgrund des Friedensabkommens von 1998. Nach mehreren Verhandlungen konnte man sich darauf einigen, dass trotz des Austritts Großbritanniens aus der EU-Zollunion und des Binnenmarktes für Nordirland die Regeln und Zölle weiter gelten werden (S. 17).

Nach Artikel 15 EUV gab der Europäische Rat zudem die Zielvorstellungen der EU für die weiteren Verhandlungen vor. Er klärte die Unterschiede zwischen Nichtmitgliedern und Mitglieder und blieb der Verhandlungslinie treu. Es wurden schon früh Festlegungen für die weiteren Verhandlungen getroffen (S. 18f.):

  • Eine teilweise Integration in die bestehenden Strukturen der EU ist nicht möglich.
  • Eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung sowie in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird angestrebt.
  • Differenzierung zwischen Mitgliedern und Drittstaaten.
  • Einigungen über einzelne Politikfelder werden abgelehnt.
  • Freihandelsabkommen für Warenhandel und Einigung über Dienstleistungshandel.
  • Fischerei – Beibehaltung des aktuellen Zugangs.

Im März 2020 wurden die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen aufgenommen. Die Festlegungen und das Verhalten des Europäischen Rates zeigen deutlich, dass dieser federführend in diesem Prozess war und ist. Durch die Regelungen wurden „hohe Schutzvorkehrungen“ (S. 19) getroffen, wie am Beispiel des Freihandelsabkommens und durch die Ergänzung mit Level Playing Field-Regelungen zu sehen ist.

Nicht alle Ziele wurden bei den Verhandlungen erreicht, sodass z.B. keine Regelungen in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestehen oder bei der Fischerei ebenfalls nicht alle Regelungen beibehalten werden konnten.

Während des gesamten Prozesses, welcher von Befürchtungen über eine Spaltung Europas begleitet wurde, hielten die 27 Staaten gut zusammen. Der Prozess forderte aufgrund der Thematik und der bestehenden Gefahren zudem von allein einen hohen Grad der Zusammenarbeit. Dieser Zusammenhalt wurde vor allem durch das Festhalten an den Leitlinien gefördert.

Für die erste Phase wurde im Vergleich zur zweiten Phase mehr Zeit aufgewendet, was jedoch auch an der Corona-Pandemie lag und den langwierigen Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen (S. 20).

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Europäische Rat der „zentrale Gestalter des Brexit-Prozesses und der neuen EU-britischen Beziehung“ (S. 21) ist. Um dieses Vorgehen zu festigen und vorbereitet zu sein, könnte es zu einer nachhaltigen Austrittsdoktrin kommen. Folgende Punkte könnten enthalten sein:

  • Stellung Mitglied gegenüber Nichtmitglied.
  • Teilmitgliedschaften sind nach einem Austritt nicht möglich.
  • Schutz der Integrität des Binnenmarktes.
  • Solidarität der Mitglieder.
  • Verfahren und Beschlüsse sind „Chefsache“.

Die Verhandlungen über die Beziehungen sind nicht endgültig abgeschlossen, aber die Rolle des Europäischen Rats ist klar: Er wird eine Schlüsselrolle übernehmen.

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