Ein Bericht von Vanessa Hofmaier und Sophia Schultze
Bericht über die Stadtführung „Migratorische und soziologische Wirkung der EU auf die Stadt Brüssel“ mit Malte Woydt
Am Montagmorgen startete unsere Stadtführung durch Brüssel auf dem Place des Barricades, direkt neben unserer Jugendherberge. Geführt wurden wir von Malte Woydt, der Politologe und Historiker ist. Schon am Startpunkt wies uns Woydt auf den klassizistischen Baustil hin, welchen wir auch an vielen weiteren Orten der Stadt begutachten konnten. Bei diesem Baustil wurde die Individualität der Bürger eingeschränkt, da vorgegeben wurde, wie die Fassade des Gebäudes aussehen soll. Dabei sieht man, dass alle Gebäude den gleichen Aufbau und das gleiche Bild nach außen haben. Klassizismus, so Woydt, ist eine Architektur für Untertanen.
Während der ersten Minuten im Bus ging Woydt auf den Aufbau und die geographische Lage Brüssels ein. Brüssel ist eine große Region und besteht aus mehreren kleineren Gemeinden, durch die wir auch später auf unserer Tour durchgefahren sind, was für einige von uns eine neue Information war. Alle 19 Gemeinden sind unabhängig voneinander, mit zum Beispiel eigenen Organisationen und Vereinen. Zu den Gemeinden gehören auch Brüssel-Stadt und Anderlecht. Man kann sich die Region Brüssel also wie ein kleines Bundesland vorstellen. Auffällig waren die zweisprachigen Straßenschilder, welche wir an verschiedenen Stellen der Stadt sehen konnten. Diese sind auf den inner-belgischen Sprachenkonflikt zurückzuführen. Dabei geht es um den flämisch-wallonischen Sprachenstreit.
Auf dem Weg zum belgischen Regierungsviertel konnten wir aus dem Bus die Säule für die belgische Unabhängigkeit mit einem Ewigkeitsfeuer in der Mitte begutachten, die mitten auf dem Kongressplatz in Brüssel steht.
Das Regierungsviertel erstreckt sich um einen großen Park, der als politisches Zentrum von Brüssel bezeichnet wird. Alle vier Seiten des Parks sind mit verschiedenen Regierungsinstitutionen bebaut. Im Süden befindet sich der königliche Palast, der die konstitutionelle Monarchie symbolisiert. Im Palast befinden sich die Büro- und Arbeitsgebäude des Königs und seiner Mitarbeiter. Auf einer Nebenseite befinden sich normale Wohnungen, aber auch Botschaften aus der Schweiz, USA und Großbritannien. Gegenüber des Palastes finden sich die Parlaments- und Regierungsgebäude. Diese sind bewusst, zum Zeichen der Gewaltenteilung, dem Palast gegenübergestellt. Da die Bank in früheren Zeiten in Belgien einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hatte, hat die Bank auch eine Seite am Park des Regierungsviertel bekommen. Im 19. Jahrhundert wurde Belgien vom Finanzbürgertum regiert. Ein Paradies des Kapitalismus, so Karl Marx. Auch heute befindet sich in diesem Gebäude wieder eine Bank.
Auf der weiteren Fahrt erzählte Woydt uns von der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur Brüssels. Die Strukturen in Belgien sind anders als in Deutschland, was für die Deutschen oft nicht nachvollziehbar ist, da sie davon ausgehen, in einem Idealstaat zu leben. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Deutschland vergleichbares Sozialsystem eingeführt. Die Belgier wollen bewusst eine schwache Regierung. Woydt erklärte das anhand eines Beispiels mit dem Einwohnermeldeamt. In Belgien leben viele Menschen, die entweder gar nicht registriert sind, also keine Aufenthaltsgenehmigung haben, oder an einer falschen Adresse (nach Umzug etc.) gemeldet sind. Dies erschwert die Arbeit im Sicherheitssektor. Allerdings wird dabei sichtbar, dass in Belgien eine größere Toleranz herrscht. Des weiteren führt Woydt an dieser Stelle an, dass in Belgien jeder ein Recht auf Bildung hat und somit alle Kinder, egal ob mit oder ohne Aufenthaltsgenehmigung, in Belgien zur Schule gehen dürfen.
Unser erster Ausstiegspunkt befand sich vor dem beeindruckenden Justizpalast. Das zeigte sich auch an der polizeilichen Präsenz. Der Justizpalast ist ein Zeichen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Heute befindet sich der belgische Kassationshof darin.
Da Brüssel eine sehr hügelige Landschaft hat, konnte man von dieser Stelle ins Tal und auf den kleineren Hügel nach Westen der Stadt schauen. Diese Straße kennzeichnet die Grenze zwischen Osten und Westen. Anders als in anderen europäischen Städten lebt in Brüssel die wohlhabende Gesellschaft im Osten der Stadt und die ärmere im Westen. Dies hat den Grund, dass die Luft im Westen wegen der vorherrschenden Windrichtung eine bessere Qualität besitzt. Das kommt aus dem 19. Jahrhundert, als die Abgase der Fabriken über den östlichen Teil der Stadt abziehen.
Die gehobene Gesellschaft Brüssels wollte jedoch den weitschweifenden Blick über die Stadt genießen und mochte diese vor ihren Füßen zu haben. So durften auch wir den Blick über die Stadt genießen. Man konnte verschiedene Stadtviertel, den Stadtrand sowie Kirchen und Gebäude sehen. Erschreckend war, dass kaum Grünfläche im Westen Brüssels sichtbar waren. Außerdem lag direkt unter uns eine Schule, die ihren Eingang direkt an der Straße also im Osten hatte, damit die Schule, die sich eigentlich im Westen befindet, einen guten Ruf hat. Auch heute vergrößert sich die Stadt weiter in Richtung Osten.
Unseren nächsten Halt machten wir an einem kleinen Park, der nach Woydt eine gute Struktur aufweist, da Bereiche für alle Bürger geschaffen wurden, zum einen gibt es einen kleinen Teich mit Enten, eine Wiese zum Lesen und Tore zur sportlichen Aktivität.
Da uns ein kurzer Regenguss überraschte, nutzten wir die Gelegenheit, uns in einem Vorhof unterzustellen. Dabei konnten wir verschiedenen Fragen auf den Grund gehen, die uns Studenten beschäftigten. Dazu gehörte die Bildungspolitik Belgiens. Dieses System basiert auf dem Trägersystem. Die meisten belgischen Bildungseinrichtungen befinden sich in katholischer Hand. In Belgien besuchen die Kinder ab sechs Monaten bis zum zweiten Lebensjahr eine Kinderkrippe, im Anschluss eine Vorschule, bis sie dann mit sechs Jahren zur Primarstufe wechseln. Nach sechs Jahren Primarstufe schließt die Oberschule mit weiteren sechs Jahren an. Dies ist für alle verpflichtend. Trotz des intakten Schulsystems herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, welche auf eine zu theoretische und veraltete Berufsausbildung zurückzuführen ist.
Auf unserer Weiterfahrt vom Park ins Europaviertel sind wir durch das Stadtviertel Molenbeek gekommen. Molenbeek zählt zu den ärmsten Gemeinden Brüssels. Dort sind vor allem Einwanderer angesiedelt. Viele nutzen die Chance, sich schnell hochzuarbeiten und in andere Gemeinden umzuziehen, andere bleiben für längere Zeit dort. Das kann zu Konflikten zwischen den Bürgern aus Molenbeek führen.
Angekommen im Europaviertel waren wir schon am Ende unserer Stadtführung. Damit dieses Viertel überhaupt entstehen konnte, mussten zwei frühere Stadtviertel weichen. Heute finden in Brüssel jährlich um die 750 Demonstrationen statt. Vor allem vor den Institutionen der Europäischen Union, auch wir konnten eine der Demonstrationen sehen.
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