In diesem Beitrag stellt Stephanie Roth folgenden Aufsatz vor:
Jutta Limbach / Jürgen Gerhards (2012): Europäische Sprachenpolitik; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 4/2012, S. 48-57 (Online-Version).
Am 26. September ist der europäische Tag der Sprachen. In diesem Zusammenhang tritt immer wieder die Frage auf, wie man in Europa mit den vielen Sprachen umgeht und welche Schwierigkeiten es dabei gibt. Mit diesem Thema beschäftigt sich ein etwas älterer, aber nicht weniger wichtiger Beitrag von Jutta Limbach und Jürgen Gerhards.
„Die Europäische Union fördert das Erlernen von Fremdsprachen ungeachtet ihrer Verbreitung. Kann die Mehrsprachigkeit zur Konsolidierung Europas beitragen? Oder wäre die privilegierte Förderung des Englischen als "Lingua franca" sinnvoller?"
Mit dieser Leitfrage beginnt der Artikel und stellt die aktuelle Lage der verschiedenen Sprachen dar. Zunächst wird die Sicht von Jutta Limbach betrachtet. Sie ist für die Mehrsprachigkeit in der EU. Dabei betrachtet sie zunächst die Ausganslage. Es bestehen durch die vielfältigen Verzahnungen und Verknüpfungen immer mehr Durchlässigkeiten. Klare Grenzen gibt es nur noch wenige. Diese Offenheit bedeutet aber auch, dass es eine Tendenz gibt, kulturelle und sprachliche Vielfalt abzubauen. Auch der Druck auf Grund der Globalisierung, eine oder wenige Weltsprachen zu haben, wird zunehmend größer. Für die deutsche Sprache ist dies jedoch nicht mehr relevant. Sie kann nicht mehr die Weltsprache werden.
Aber warum wurde die englische Sprache überhaupt zur Weltsprache? Dies hat damit zu tun, dass eine Sprache „eng mit politischer, wirtschaftlicher und kultureller Macht verknüpft“ ist. Zwei Faktoren haben bei der englischen Sprache die Weichen gestellt: „die Expansion der britischen Kolonialmacht zum einen und der Aufstieg der USA zur führenden Wirtschaftsmacht des 20. Jahrhunderts“.
Zukunft der deutschen Sprache
In Europa ist Deutsch die am häufigsten gesprochene Muttersprache. Im Zuge der Osterweiterung sprechen Deutsch auch viele als Fremdsprache. Dies hat zur Folge, dass Deutsch zusammen mit Französisch nach Englisch die am häufigsten gesprochene Sprache ist.
Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen Sprachenwandel geben wird. Laut der Autorin wird in einem Bericht des British Council vorhergesagt, dass „die (…) Lingua franca (sich) bald mit anderen Sprachen“ die Rolle der vorherrschenden Sprache teilen muss. Interessant hierbei ist folgende Aussage: „Voraussagen für das Jahr 2050 prophezeien, dass die chinesische Sprache Mandarin, Hindu/Urdi, Englisch, Spanisch und Arabisch die großen internationalen Verkehrssprachen sein werden. Jede dieser Sprachen wird ihre Einflusssphäre haben“. Dies wirft für mich die Frage auf, ob das Angebot der Fremdsprachen in der Schule noch zeitgemäß ist.
Sprachenregime der Europäischen Union
In der EU wird weiterhin die kulturelle und sprachliche Vielfalt und ihre Bewahrung großgeschrieben. Dies bedeutet, dass alle Sprachen, die in den Mitgliedsstaaten gesprochen werden, gleichberechtigt sind. Demzufolge spielt weder die Größe noch die Anzahl der Bevölkerung noch die Wirtschaftskraft eines Landes eine Rolle.
Dies hat zur Folge, dass jede EU-Institution selbst bestimmt, welche Sprachenpraxis sie wählt. Zum Beispiel wird im Europäischen Gerichtshof intern Französisch gesprochen. Die Europäische Kommission hingegen hat die Arbeitssprachen Englisch und Französisch. Deutsch ist intern die dritte Arbeitssprache. Nur im Europaparlament werden alle Sprachen gesprochen. Folglich ist die Arbeit der EU sehr mühsam: 506 Sprachenkombinationen und 2500 Dolmetscher verdeutlichen dieses Ausmaß der Sprachenvielfalt.
Ein neues Sprachenregime der Europäischen Union
Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich gemeinsam das politische Ziel der Mehrsprachigkeit gesetzt. Dies zeigt sich auch darin, dass mittlerweile 23 offizielle Sprachen in der EU gesprochen werden. Frau Limbach führt hierbei aus, dass es nicht reicht, den Wortschatz und die Grammatik einer Sprache zu beherrschen, sondern dass man auch über die Kultur und den Hintergrund Bescheid wissen muss, um es verstehen zu können. Die Einsprachigkeit würde hier weiterhin die „Ungleichheit der Gesprächspartner“ verstärken. „Dagegen befördert die Mehrsprachigkeit die grundlegenden europäischen Prinzipien der Demokratie, der Gleichbehandlung und der Transparenz. Das meint vor allem die Durchschaubarkeit des politischen Geschehens.“
Bildungsziel Mehrsprachigkeit
Ziel der Politik, vor allem der Deutschen, ist es, die Mehrsprachigkeit als wichtiges Bildungsziel zu betrachten. Dies ist deshalb so wichtig, weil dadurch die Menschen zu Weltbürgern gemacht werden. Die Werte der Europäischen Union würden, wenn es nur noch die englische Sprache gäbe, im Widerspruch dazu stehen. Das hat damit zu tun, dass die Sprachen dann nur noch in der Freizeit gesprochen und sich dadurch ein Kulturverlust etablieren würde. Jede Sprache beinhaltet auch Kultur und demzufolge sei es wichtiger, die Mehrsprachigkeit als Bildungsziel zu verankern, als nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen.
Demgegenüber spricht sich Jürgen Gerhards für die Lingua franca Englisch aus. Er ist der Meinung, dass es in Zeiten der Globalisierung und einer zunehmenden Vertiefung innerhalb Europas sinnvoller ist, eine Sprache, und zwar Englisch, zu verwenden.
Sprachenpolitik der EU
Die EU betreibt keine Homogenisierung der Sprachen. Es werden 23 Amtssprachen in der EU gesprochen. Während in allen Bereichen eine Vereinheitlichung angestrebt wird, wird dies in der Sprachenpolitik nicht (vgl. Verordnung Nr. 1 von 1958). Dies hat zur Folge, dass alle Gesetze, Dokumente und Verordnungen in alle 23 Sprachen übersetzt werden und auch die Antworten auf Fragen in der jeweiligen Sprache des Antragsstellers abgefasst werden müssen.
Weiterhin ist interessant, dass, je öffentlicher und politischer eine Entscheidung ist, desto eher werden Amtssprachen verwendet, je schwächer der öffentliche Charakter ist, desto mehr werden die verwendeten Sprachen auf Englisch oder Französisch reduziert.
Die aktive Fremdsprachenpolitik (vgl. Artikel 126, Absatz 2) wird von der EU als zentrale Aufgabe gesehen. Dies bedeutet, dass es eine Politik der Mehrsprachigkeit geben soll. Hierbei ist das Ziel, dass die Bürger der EU nicht nur ihre Muttersprache, sondern auch eine bis zwei andere EU-Sprachen sprechen sollen. Dabei ist es unwichtig, ob diese weit verbreitet ist oder nicht. Das Ziel ist, dass eine Mobilität innerhalb der EU stattfinden und dadurch neben dem Abbau von Vorurteilen auch ein wirtschaftliches Wachstum der EU unterstützt werden kann. Dies wird durch zahlreiche Projekte, wie z.B. „Sokrates“ oder „Leonardo da Vinci“ gefördert.
Vier Argumente für eine veränderte Sprachpolitik
Englisch ist die meistgesprochene Sprache der Welt. Aus diesem Grund lernt jemand, der eine Fremdsprache lernt, zunächst Englisch. Dies verstärkt sich, je jünger die Menschen sind. Dies ist auch der Grund, warum bestimmte Sprachen immer mehr oder immer weniger gesprochen werden. Betrachtet man dieses Phänomen weltweit, dann kann es dort ebenfalls beobachtet werden, wenn es auch noch keine umfangreiche Studien dazu gibt. Durch die Osterweiterung wurde zwar nicht die Anzahl der Personen, die Englisch als Muttersprache haben, erweitert, wohl aber die Anzahl derer, die Englisch als Fremdsprache sprechen. Demzufolge ist für Gerhards klar, dass Englisch als Weltsprache auch die Sprache innerhalb der EU sein müsste.
Der Nachteil einer vielfältigen Auswahl von Sprachen ist, dass die Anzahl der möglichen Sprachkombinationen sehr groß ist. Das bedeutet, dass es nicht gewährleistet ist, dass Sprecher in einer bestimmten Sprachenkombination sich über den Weg laufen. Demzufolge wäre es deutlich einfacher, eine Sprache zu haben. Die Vorteile davon wären vielfältig. Zum einen würde die Mobilität erhöht werden, da man sich überall verständigen kann. Die Folge davon wäre, dass der inner- und außereuropäische Handel auf Grund der besseren Sprachverständigkeit erleichtert werden würde. Ein weiterer Punkt wäre das verbesserte Arbeitsangebot innerhalb der EU. Auf Grund der Einheitssprache wäre es möglich, überall in der EU zu arbeiten, unabhängig von der Sprache.
„Kurz: Eine einheitliche Fremdsprache würde die Verständigung in ganz Europa deutlich verbessern und das europäische Projekt voranbringen.“
Die Nachteile, die durch eine einheitliche Fremdsprache entstehen, werden überschätzt. Dass Sprache und Kultur sehr eng miteinander verknüpft sind, wird vielfach in Pro und Kontra-Diskussionen betrachtet. Es geht Gerhards in erster Linie darum, dass man in den einzelnen Staaten sehr wohl seine Muttersprache sprechen kann, aber z.B. Englisch als eine gemeinsame Fremdsprache sieht, die gefördert werden sollte.
Ungerechtigkeiten durch die Privilegierung einer Sprache lassen sich partiell kompensieren. Es herrscht die Angst vor, dass jemand, der Englisch als Muttersprache hat, einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt hätte bzw. keine neue Sprache mühsam lernen muss, da er diese Sprache ohnehin kann. Dem kann dahingehend begegnet werden, dass die 27 EU-Länder sich in unterschiedlichem Maß finanziell an der Sprachförderung beteiligen. Länder, deren Bürger wenig Englischkompetenz haben, werden mehr gefördert als Länder, die englischsprachig sind. Dadurch würden die Nachteile aufgehoben werden. Dass dies schon jetzt so gehandhabt wird, zeigt die Regionalpolitik, genauer die Strukturförderung schwacher Regionen. Aus diesen vier genannten Gründen sollte es, nach Meinung Gerhards, eine Lingua franca in Europa geben.
Insgesamt finde ich, dass beide Seiten sowohl gute Pro- als auch Kontra-Argumente anführen. Interessant ist, dass sie viele Fakten, die gleich sind, ganz unterschiedlich auslegen und bewerten. Ob letztendlich Englisch als Einheitssprache sich weiterentwickeln wird oder nicht, wird sicherlich nicht nur ein Teil der Politik, sondern auch der gesamten Entwicklung der Sprachen in der Welt geschuldet bleiben. Die Frage bleibt trotzdem offen: wird auch Englisch zugunsten anderer Sprachen wie z.B. Mandarin verdrängt werden?
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