Hillje, Johannes (2019): Plattform Europa. Warum wir schlecht über die EU reden und wie wir den Nationalismus mit einem neuen Netzwerk überwinden können, Verlag J. H. W. Dietz.
Rezension
Autorin: Miriam Nonnenmacher
Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGO. Seine Beratungsschwerpunkte sind: Politische Strategie, Strategische Kommunikation, Framing, Krisenkommunikation, Themen-Management, Kampagnen, Regierungs- und Verbandskommunikation, Image-Building, Digitalstrategien und Forschung und Analysen (siehe: https://www.progressives-zentrum.org/author/johanneshillje/).
Aufbau
Das Buch ist in drei übergeordnete Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel wird das Problem Europa im Teufelskreis des Krisendiskurses näher geschildert. Dabei wird der Teufelskreis aus Krise, News und Nationalismus beschrieben und erklärt. Das zweite Kapitel behandelt die Ursachen für den toxischen Europadiskurs und erklärt damit die Probleme aus dem ersten Kapitel. Die zentrale These des Buches ist dabei das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit, welche trotz zahlreicher Bemühungen noch nicht geschaffen werden konnte. Im dritten Kapitel werden zuerst die ungenützten digitalen Potenziale für die europäische Öffentlichkeit geschildert. Dabei wird die momentane Struktur des Internet durch die Digitalisierung kritisiert: „Mit der Digitalisierung ist die Öffentlichkeit der Öffentlichkeit abhandengekommen.“ (S. 15). Deshalb entwirft Hillje mit der „Plattform Europa“ einen eigenen Vorschlag. Dabei ist das Ziel dieser Plattform eine Demokratisierung des digitalen Europas und gleichzeitig die Schaffung einer digitalen Öffentlichkeit mit den europäischen Werten. Damit soll die von den Nationen unabhängige Struktur des Netzes der europäischen Integration helfen.
Inhalt
Im ersten Kapitel kritisiert Hillje, wie über die EU gesprochen wird, denn Sprache sieht er als großen Machtfaktor, deshalb untersucht er die Framing-Effekte. Sein Fazit ist erschreckend, die EU wird heruntergeredet und kleingemacht. Den Grund sieht er darin, dass die EU von den Nationalstaaten nicht als Teil des „Eigenen“, sondern als etwas „Fremdes“ verstanden wird. Das Fremdheitsdenken funktioniert, weil der öffentliche Austausch national organisiert ist und es kein europäisches „Wir“ gibt, dadurch gibt es kein europäisches Gemeinwohl (vgl. S. 26ff.).
Im Buch wird das Wesen der politischen Krise geschildert, die Art der Berichterstattung und die Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger. Ein Kernproblem bildet der Fakt, dass Medien und Populisten von Krisenmomenten leben und profitieren (vgl. S. 37ff.). Eine Kulturalisierung der politischen Sachfragen findet statt, dabei stellt Hillje fest, dass „eine ausgeprägte Form des Nationalgefühls während der Krise deutlich zu [nimmt], gleichzeitig [entsteht] auch ein stärkeres Distanzgefühl zur Europäischen Union.“ (S. 56). Dieser Teufelskreis ist kein Zufallsprodukt, sondern ein Resultat von Politik und Medien.
Im zweiten Kapitel stellt Hillije klar, dass eine europäische Öffentlichkeit notwendig ist, aber geklärt werden muss, welche Form diese haben sollte. Dabei werden zwei Modelle vorgestellt: Ein supranationales Abbild der nationalen Öffentlichkeit versus eine Europäisierung der nationalen Öffentlichkeit. Durch vergangene und gescheiterte Beispiele erläutert Hillje, dass beide Modelle ihre Grenzen haben. Die Voraussetzungen für politische Willensbildung sind momentan nicht gegeben, nicht wegen Desinteresse, sondern durch den fehlenden europäischen Diskurs.
Die nationale Filterblase macht europäische Meinungsbildung unmöglich. Hier fehlt ein europäisches Gegengewicht, durch das Fehlen wird Populismus und Nationalismus vorangetrieben. Kein Zusammengehörigkeitsgefühl kann entstehen, für dieses und eine europäische Gemeinschaft fehlen auch Identifikationsfiguren und eine ausreichende Transparenz von Prozessen, die EU bleibt für viele eine Blackbox. Deshalb fühlen Bürgerinnen und Bürger sich erst ihrer Nation zugehörig und dann erst als Europäer. Hier wird zwischen einem vorhandenen Zugehörigkeitsgefühl und einem fehlendem Zusammengehörigkeitsgefühl differenziert. Um das zu ändern, braucht Europa einen gemeinsamen Kommunikationsraum, in dem ein Austausch stattfinden und Kontakt entstehen kann (vgl. S. 67–113).
Im dritten Kapitel widmet sich Hillje seinem eigenen Lösungsvorschlag. Information sollte zum Mittel europäischer Politik werden, dafür muss sich Europa eine Öffentlichkeit schaffen und diese nach demokratischen Werten sicherstellen. Er stellt fest, dass die mediale Öffentlichkeit größtenteils auf Plattformen stattfindet, hier kann aber nicht souverän gehandelt werden. Hillje argumentiert, dass die Demokratie für die digitale Welt gemacht ist, aber diese bisher noch nicht für die Demokratie. Noch wird Digitalisierung von der Wirtschaft gesteuert (vgl. S. 125).
Hier setzt Hillje an, er will, dass Europa eine Plattform wird. Noch gibt es kein duales System auf Plattformen, sie haben keinen öffentlichen Auftrag. Aber sie könnten gesellschaftliche Werte anstreben, wie „Datenschutz, Transparenz, Demokratie, Fairness und Sicherheit“ (S. 129) und digitale Selbstbestimmung ermöglichen. Die Plattform Europa wäre eine Erweiterung zum Wirtschaftsraum der EU. Für Hillje kann die Plattform Europa ein Fundament für vorhandene Probleme bilden, wie der Mangel einer demokratischen Öffentlichkeit, fehlende Beteiligungsmöglichkeiten, Schaffung von kulturellen Verbindungen durch europäische Einheit, und durch verschiedene Apps soll die Plattform für die Bürgerinnen und Bürger nützlich und profitabel werden. Wie Hillje das genau meint, könnt ihr in seinem Buch nachlesen. Denn klar ist für Hillje:
„Wer Europa mögen, soll, muss es nutzen können. Wer sich europäisch fühlen soll, muss Europa erfahren können. Wer europäisch denken soll, muss europäisch handeln können" (S. 157).
Aber er stellt fest, eine europäische Öffentlichkeit allein reiche nicht, auch politische Entscheidungsprozesse müssen sich ändern, mehr Konfliktkultur, Transparenz, und die Regierungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden können. Hillje sieht die Plattform Europa lediglich als Start.
Fazit
Hillje macht in seinem Buch die Probleme der Europäischen Union und deren Ursprung deutlich. Im gesamten Buch werden immer wieder passende Beispiele gefunden und geschildert, wodurch die genannten Probleme anschaulich gemacht und erklärt werden. Dadurch bekommt der Leser eine bessere Vorstellung von der Thematik. Durch seinen visionären Vorschlag für ein digitales, öffentlich finanziertes, gemeinwohlorientiertes und unabhängiges soziales Netzwerk will er eine Lücke schließen und die Digitalisierung für Europa nutzbar machen. Er macht einen Lösungsvorschlag, wie Europa zusammenfinden kann und was sich dabei ändern muss. Ein spannendes Buch, wenn man die Europäische Union nicht aufgeben will und interessiert ist, wie wir den Nationalismus mit digitalen Mitteln überwinden können.
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