Mittwoch, 3. Februar 2021

Aufsatz zur politischen Repräsentation von Frauen

In diesem Beitrag stellt Mona Meinikheim folgenden Aufsatz vor:

Hoecker, Beate (2011): Politische Repräsentation von Frauen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Vergleich; in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 42, 1/2011, S. 50-65 (online unter: http://www.jstor.org/stable/24240341).

Die Soziologin und Privatdozentin an der Universität Hannover, Beate Hoecker, beschäftigt sich in ihren Büchern, Aufsätzen und Artikeln immer wieder mit der Partizipation von Frauen in der Politik. In dem wissenschaftlichen Aufsatz, den ich nun vorstellen möchte, thematisiert sie diese politische Repräsentation in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anhand von Datenbanken der Europäischen Kommission. Sie unternimmt im Verlauf dieses Artikels erst eine statistische Bestandsaufnahme und versucht im Anschluss für die dargestellte Unterrepräsentation des weiblichen Geschlechts in der Politik Erklärungsansätze zu finden.

In der Einführung ihres Artikels stellt Hoecker klar, dass „Frauen in politischen Spitzenpositionen keineswegs eine Selbstverständlichkeit“ (S. 50) darstellen. Dies unterstützt sie durch die Tatsache, dass es 2010 „lediglich zehn gewählte weibliche Staatsoberhäupter und gleichfalls nur zehn Regierungschefinnen“ (S. 50) gab. Sie weist darauf hin, dass sich der Forschungsstand stets weiter entwickle und betont, dass auf europäischer Ebene die Frage nach politischer Chancengleichheit von Frauen und Männern immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Die Gleichstellung der Geschlechter als Grundrecht wird von der Europäischen Kommission demnach genauso unterstützt, wie die „gleichberechtigte Vertretung von Frauen und Männern in Entscheidungspositionen“ (S. 51).

Im ersten großen Abschnitt („Statistische Bestandsaufnahme“) nutzt Hoecker empirische Belege, um daraus bestimmte Schlüsse zu ziehen. Dabei analysiert sie eingangs „1.1. Die parlamentarische Repräsentation von Frauen in den EU-Staaten“ (S. 51), blickt dann auf „1.2. Die Repräsentation von Frauen in den Regierungen der EU-Staaten“ (S. 53) und richtet dann den Blick hin zu der „1.3. […] Repräsentation von Frauen in den europäischen Organen / Institutionen“ (S. 55).

Bei der Betrachtung der parlamentarischen Partizipation hebt sie hervor, dass Parlamente ihrer Meinung nach „als Schlüsselinstitutionen demokratischer Systeme“ (S. 51) gelten und „nicht zuletzt ein Indikator für Chancengleichheit“ (S. 51) sind. Nun stützt sich Hoecker auf die Datenbank der Europäischen Kommission zu Frauen und Männern in Entscheidungspositionen mit dem Stand vom 2. März 2010 (Tabelle 1, S. 52). Daraus schließt sie, dass nur „knapp ein Viertel (24 Prozent) aller Abgeordneten in den nationalen Parlamenten der EU“ (S. 51) weiblich sind.

Mit Schweden, den Niederlanden und Finnland sind nordische Länder an der Spitze des Frauenanteils, während Deutschland 2010 „nur“ 33 Prozent weibliche Repräsentanten im Bundestag hatte. Negativ fallen in dieser Statistik vor allem ost- und mitteleuropäische Staaten wie Slowenien, Rumänien, Ungarn und die Mittelmeerinseln Zypern und Malta auf, in denen nur 9-14 Prozent der nationalen Parlamentarier Frauen sind.

Diese Überlegung führt Hoecker weiter und stellt fest, dass „die seit der Erweiterung im Jahr 2004 bestehende Kluft zwischen den alten und neuen Mitgliedsländern“ (S. 53) der EU auch vor der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik nicht Halt macht. So resümiert die Autorin zum Ende dieses Abschnitts, dass „nicht von einer angemessenen, geschweige denn paritätischen Vertretung von Frauen in den nationalen Parlamenten die Rede sein“ (S. 53) kann.

Mit Blick in die Zukunft stellt die Verfasserin schließlich die These auf, dass Frauen „erst in fünfzig Jahren (2060) europaweit die Hälfte aller Parlamentssitze einnehmen“ (S. 53) würden, obwohl nach einer Umfrage im Jahr 2009 „mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) eine Veränderung der parlamentarischen Unterrepräsentation von Frauen als dringend geboten“ (S. 53) ansehen.

Der nächste Teilabschnitt thematisiert die „Repräsentation von Frauen in den Regierungen der EU-Staaten“ (S. 53). Auch hier basieren Hoeckers Thesen auf einer weiteren Tabelle der „Datenbank Frauen und Männer in Entscheidungspositionen“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2010. Mit 27 Prozent fällt die „Regierungsbeteiligung von Frauen aktuell etwas höher aus als ihre parlamentarische Vertretung“ (S. 53f).

Auf der einen Seite werden Staaten wie Finnland genannt, wo es mit 60 Prozent eine weibliche Mehrheit in der Regierung gibt. Deutschland wird in der tabellarischen Darstellung mit 38 Prozent Frauenanteil in das obere Drittel eingestuft. Erschreckend stellt Hoecker hierbei aber auch fest, dass beispielsweise der Frauenanteil in der ungarischen Regierung gar nicht existiert (0 Frauen, 16 Männer). Mit 16 Prozent und 33 Prozent fällt „der so genannte gender gap zwischen alten und neuen EU-Staaten […] somit bei der Regierungsbeteiligung erkennbar größer aus als bei der parlamentarischen Vertretung“ (S. 55).

Im Hinblick auf den Anteil der weiblichen Ministerinnen stellt die Autorin fest, dass die parteipolitischen Zusammensetzungen einen großen Einfluss auf die Frauenrepräsentation haben. Ideologisch eher links stehende Parteien stuft sie als frauenfreundlicher ein als beispielsweise Mitte-rechts Parteien. Weiter stellt Hoecker bei der Zuteilung der Ressorts der Ministerinnen fest, dass vor allem Ämter mit soziokulturellen Aufgaben von Ministerinnen bekleidet werden, und somit „das traditionelle Muster, wonach Frauen eher die als weich geltenden Ministerien übertragen werden […] noch immer erkennbar“ (S. 55) ist.

Im dritten Abschnitt wird die „Repräsentation von Frauen in den europäischen Organen / Institutionen“ anhand einer dritten tabellarischen Darstellung analysiert. Das direkt gewählte Europäische Parlament kann schon seit jeher auf eine „vergleichsweise hohe Repräsentation von Frauen“ (S. 55) zurückblicken, die sich in den letzten drei Jahrzehnten auf bis zu 35 Prozent steigerte. Wiederum stehen hier Finnland und Schweden mit deutlich über 50 Prozent Frauenanteil im Europäischen Parlament an der Spitze der Auflistung.

Tabelle 4 richtet den Blickwinkel auf die durchschnittlichen Frauenanteile in der EU, wobei zwischen den alten EU-15 Ländern und den neuen EU-12 Ländern unterschieden wird (Stand 2010). Betrachtet man die Differenz zwischen alten und neuen Mitgliedsstaaten, stellt man fest, dass sie bei dem Frauenanteil im Europäischen Parlament mit nur acht Prozentpunkten erheblich geringer ausfällt. So fasst Hoecker zusammen, dass aus Sicht der Beitrittsländer „Frauen im EP mit Abstand stärker repräsentiert sind als in den nationalen Parlamenten und Regierungen“ (S. 57). In der Europäischen Kommission hingegen stellen nach Tabelle 4 Frauen nur ein Drittel aller Kommissare.

Zum Ende dieser Bestandsaufnahme zieht Hoecker das Fazit, dass sich „die politische Repräsentation von Frauen auf nationaler wie europäischer Ebene im Durchschnitt leicht erhöht hat“ (S. 57), dennoch das Ziel der Geschlechterparität in der Europäischen Union noch weit entfernt liegt. Zudem sei zu beachten, dass die politische Gleichstellung in den Mitgliedsländern sehr unterschiedlich fortgeschritten ist.

Im zweiten Teil versucht Hoecker, für die parlamentarische Repräsentation von Frauen in den EU-Staaten erste Erklärungsversuche zu unternehmen. Dabei wird in institutionelle, kulturelle und sozialstrukturelle Faktoren unterschieden.

Die institutionellen Faktoren, welche die vermeintliche Unterrepräsentation von Frauen in den Parlamenten erklären, sind zum einen das Parteiensystem und zum anderen das Wahlsystem. Hoecker geht davon aus, dass in Staaten, in denen ein Verhältniswahlsystem etabliert ist, die Kandidatur von Frauen für politische Positionen eher gegeben ist. Wird hingegen mit Mehrheitswahl entschieden, schwinden meistens die guten Chancen für weibliche Parlamentarierinnen. Dies liegt vor allem an der „starken Personenorientierung“ (S. 58) im Mehrheitswahlsystem, denn in einem Wahlkreis muss sich die Kandidatin gegen mögliche Kontrahent*innen direkt durchsetzen, auch wenn die politische Kompetenz von Frauen vor allem in ländlichen Regionen leider weiterhin teilweise angezweifelt wird.

Durch Listenwahlen im Sinne des Verhältniswahlrechts gelingt es den Parteien bewusst oder unbewusst, auch Frauen aufzustellen, die jedoch keinerlei direkten Wahlkampf leisten müssen. Außerdem wird in diesem Zusammenhang das Thema Frauenquote immer wieder diskutiert. Die Idee der „Quotierung der Parteilisten zu Gunsten von Frauen“ (S. 59) muss laut der Autorin verbindlich und explizit auch für aussichtsreiche Plätze gelten.

Hoecker zeigt im weiteren Verlauf drei Beispiele für eine gesetzliche Wahlquote auf. So zeigen die Umsetzungen der Idee in Belgien, Spanien und Frankreich, dass ein solches „Paritätsgesetz“ in etablierten Demokratien gut funktionieren kann. So gilt bereits seit 2002 in Belgien, dass sich „die Zahl der Kandidaten jedes Geschlechts auf den Listen um nicht mehr als eins unterscheiden“ (S. 59) darf sowie verschiedene Geschlechter auf den ersten beiden Listenplätzen stehen müssen. In Spanien wird seit 2007 vorgesehen, dass jedem Geschlecht ein Anteil von mindestens 40 Prozent zustehen muss und in Frankreich werden seit 2000 sogar Listen für ungültig erklärt, sollten sie dem „Paritätsgesetz“, also 50 Prozent für jedes Geschlecht bei Listenwahlen, nicht entsprechen.

Bei gesetzlichen Wahlquoten ist demnach neben einem Beschluss eines relevanten Geschlechteranteil (Parität = 50% - 50%) auch auf Rangfolgebedingungen und mögliche Sanktionen zu achten. Folglich stellt Hoecker eine weitere Tabelle vor, in der die Parlamentarische Repräsentation in den EU-Mitgliedsstaaten (hoch, mittel, niedrig), die Einführung des Frauenwahlrechts (früh, mittel, spät), die Zustimmung zur traditionellen Arbeitsteilung (mehrheitliche Zustimmung, Ablehnung), das Wahlsystem (Verhältnis-, Mehrheits-, oder Mischwahlsystem), die Geschlechterquoten für öffentliche Kandidaturen (ja - gesetzlich/parteilich, nein) und die Beschäftigungsquote von Frauen (hoch, mittel, niedrig) miteinander verglichen werden (Tabelle 5, S. 60f.).

Ein weiterer wichtiger Faktor, den Beate Hoecker aufzeigt, ist die Kultur. Die politische Kultur basiert somit auf der „Gesamtheit aller politisch relevanten Meinungen, Einstellungen und Werte der Mitglieder einer Nation“ (S. 62), die je nach kulturellen Bedingungen stark variieren können. So wird angenommen, dass eine nur geringe parlamentarische Vertretung von Frauen typisch ist für Länder, in denen mehrheitlich traditionelle Rollenbilder gelebt werden. Im Umkehrschluss kann die Autorin daraus schließen, dass skandinavische Länder mit einer eher egalitären Kultur wie Schweden oder Dänemark in den Tabellen meist ganz oben stehen, da sie einen hohen Frauenanteil in der politischen Praxis aufzeigen können.

An dieser Stelle wird Detlev Lück zitiert, der nach mehreren Untersuchungen darauf schließen konnte, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem in Süd- und Mitteleuropa einen Trend hin zu mehr Egalität gibt. So rücken traditionelle Rollenbilder weiter in den Hintergrund, während Leitbilder Anerkennung finden, in denen es gemeinsame und gleichberechtigte Zuständigkeiten gibt. Trotz des Einstellungswandels in großen Teilen von Europa, dominieren vor allem in „postkommunistischen, osteuropäischen Ländern noch traditionelle Geschlechterrollenbilder“ (S. 63). Auch deshalb gibt es auf Seiten der osteuropäischen EU-Länder kaum Unterstützung „für eine dringende Erhöhung des Frauenanteils in den nationalen Parlamenten“ (S. 63).

Als letzten wichtigen Punkt bezieht sich Hoecker auf die sozialstrukturellen Faktoren. Hierbei werden vor allem Bildung, Berufstätigkeit und die persönliche Lebenssituation beleuchtet. Im Hinblick auf Bildungsunterschiede zwischen den Geschlechtern zeigt Hoecker den Wandel der Bildungschancen auf, da Frauen aus fast allen EU-Ländern mittlerweile sowohl im Schulwesen als auch in den Hochschulen die Männer eingeholt oder sogar überholt haben. Demnach können für die Autorin Defizite im Bildungsstand nicht verantwortlich für eine geringe Repräsentation von Frauen im politischen Geschehen sein.

Auch die Berufstätigkeit wirkt sich nur positiv auf das Interesse beider Geschlechter an Politik aus. Die Frauenerwerbstätigkeit ist demnach ein Abbild des Frauenanteils unter den Abgeordneten; sind viele Frauen in den nationalen Parlamenten vertreten, so gibt es auch eine hohe weibliche Beschäftigungsquote. Darüber hinaus spielt die persönliche Lebenssituation ebenfalls eine entscheidende Rolle. Denn nur wenn ein Angebot an sozialen Einrichtungen gegeben ist, wird es Frauen erst ermöglicht, sich beruflich und auch politisch zu engagieren. In diesem Punkt sieht Hoecker bei einigen EU-Mitgliedsländern noch erheblichen Nachholbedarf.

In ihrem Fazit zeigt die Autorin nochmals auf, dass es für den unterschiedlichen Stand der parlamentarischen Repräsentation von Frauen keine allgemeingültige Erklärung gibt, da die Einflussfaktoren national sehr unterschiedlich aussehen. Im Anschluss legt sie dennoch Tendenzen dar, die charakteristisch für entsprechend hohe, mittlere und niedrige parlamentarische Repräsentation von Frauen stehen könnten.

Schließlich weist Beate Hoecker noch darauf hin, dass es für fundiertere Erkenntnisse noch weiterer Forschungen bedarf, die sich mit den „Zusammenhängen zwischen institutionellen, sozialstrukturellen und kulturellen Faktoren“ (S. 65) auseinandersetzt, um die parlamentarische Repräsentationen von Frauen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union tiefergehend zu vergleichen. Letztlich resümiert die Autorin: „Die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse in Politik wie Gesellschaft bleibt auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der politischen Agenda“ (S. 65).

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