Jürgen Habermas (2011): Zur Verfassung Europas. Ein Essay, Suhrkamp.
Rezension
Autor: Fabian Kempf
Jürgen Habermas gilt als einer der bedeutendsten öffentlichen Intellektuellen unserer Zeit. Als Teil der neueren Generation der Frankfurter Schule äußert er sich zu aktuellen Themen, so auch und gerade zu Europa.
In seinem Buch „Zur Verfassung Europas“ tut er genau dies: Er analysiert und kritisiert die Europäische Union, sucht ihre Rolle im internationalen System und bietet einen Lösungsansatz für die Probleme des Weltsystems und der Union. Er beginnt mit einer ausführlichen Erklärung der Menschenrechte und der Menschenwürde, basierend auf Kants universalistischem Ansatz. Diese Ausführungen sind wichtig, um seine „politische Utopie“ einer Weltgesellschaft zu begründen. Hier sieht er die EU als eine Art Projekt, welches als Vorbild einer politischen Weltgesellschaft gesehen werden kann.
Um diese Rolle zu erfüllen, müsste die EU sich jedoch ändern. Habermas gilt als ein Vertreter des vereinigten Europa als Bundesstaat. Nationalstaaten sieht er als ein überholtes Konzept, welche unfähig sind, in einer globalisierten Welt handlungsfähig zu regieren. Anstelle der Nationalstaaten soll zuerst einmal eine gesamteuropäische Demokratie rücken, die durch die Unionsbürger legitimiert und konstituiert werden soll. Es soll eine transnationale Öffentlichkeit geben, die eine Möglichkeit der politischen Willensbildung auf Europaebene bekommen und auch durchsetzen kann.
Dieses Konzept wendet er, wenn auch etwas lockerer, auf das Weltsystem an. Auf Basis der universalistischen Menschenrechte sei es möglich, eine demokratische Weltgesellschaft mit supranationalen Institutionen zu bilden, die durch die Weltbürger legitimiert sind, auch exekutiv zu handeln. Hier spricht er von Institutionen, die durch moralisches Recht agieren und unabhängig von nationalen Einflüssen sind.
Im Kleinen soll Europa also vor allem eine Verfassung und eine exekutive Regierung erhalten, die nun vollständig hinsichtlich der Kompetenzen über den Regierungen der Mitgliedsstaaten steht. An diesem Punkt setzt auch seine Kritik des derzeitigen Europas an. Es gäbe keinen demokratischen, transparenten politischen Prozess in der EU. Die Rolle des Rats sei undemokratisch und genau das Gegenteil seiner Forderungen. Nationale Machthaber würden nationale Interessen auf europäischer Ebene durchdrücken und auch die Europawahlen würden parteiübergreifend mit nationalen Anliegen geführt. Die europäische Öffentlichkeit wäre komplett außen vor und abgekapselt von aktueller europäischer Politik. Er schreibt, unser jetziges Europa sei eine kurzsichtige Institution zur Krisenbewältigung und die Weitsicht zu einer sinnvollen europäischen Politik wäre schlichtweg auf keiner Agenda zu finden.
„Zur Verfassung Europas“ kritisiert die nationalstaatliche Politik als handlungsunfähig und überfordert, um aktiv eine menschenwürdige Welt zu gestalten. Als Antwort sieht Habermas die demokratische Selbstbestimmung der Menschen im Weltbürgertum bzw. als Unionsbürger. Im Anhang geht er auf die damals aktuelle Finanzkrise als bestes Beispiel für den fehlenden Gestaltungswillen der europäischen Politiker ein.
Seine Analyse und seine Ideen bieten viel Raum zum Anecken und lassen berechtigte Diskussionen zur Verfassung der Europäischen Union und der Geopolitik zu. Der Essay bietet sich durch eine vergleichsweise leichte Schreibweise gut an, um sich mit Habermas auseinanderzusetzen und seine konstruktive Kritik an der Europäischen Union in die individuelle Betrachtung mit einfließen zu lassen. Durch die Covid 19-Pandemie bleibt auch die Auseinandersetzung mit der Finanzkrise weiterhin sehr aktuell und einige der damaligen Fehler der Regierungschefs lassen sich leicht auf die derzeitige Situation übertragen, auch wenn die EU heute schon etwas geeinter auf diese Krise reagiert.
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