Mak, Geert (2012): Was, wenn Europa scheitert, Pantheon Verlag.
Rezension
Autor: Sebastian Koschmieder
Zu Beginn eröffnet Mak anhand eines selbst erlebten Schicksals seines Autorenfreundes Tišma aus Jugoslawien, wie es für ihn um Europa steht. „Die Gefahr ist groß, dass uns dasselbe widerfährt. Dass uns das gesamte europäische Projekt, dieses kostbare Erbe früherer Generationen von Europäern, unbemerkt aus den Händen gleitet.“
Danach leitet Mak über zu den außenpolitischen Herausforderungen für die Europäische Union und verweist in diesem Zuge auf die bröckelnde hegemoniale Stellung der USA und das aufstrebende China. Mak führt weiter detailreich aus, wie die Krise um Griechenland die EU fast an den Rand des Ruins getrieben hat und bereits im Verborgenem über eine Zeit nach der EU gesprochen wurde. All dies lässt gewiss keine Hoffnungen aufkommen, es sei gut um die EU bestellt – früher und heute nicht!
Ein sehr schöner Rückblick sind die Errungenschaften, welche durch Brandt, Monnet oder Geremek entstanden sind. Und an solchen Erfahrungen und Persönlichkeiten fehlt es. Parteien des rechten Randes und deren Mitstreiter würden niemals so reden geschweige denn denken, wenn sie, wie Mak schreibt, „Schlachtfelder, Bombardements, Hunger oder Konzentrationslager selbst erlebt hätten." Stattdessen wird von einem Vogelschiss in der deutschen Geschichte gesprochen oder das Juden-Denkmal in Berlin denunziert und die Taten der Nationalsozialisten heruntergespielt.
Und heute? Ist Europa der größte Binnenmarkt der Welt und in der Gesamtheit betrachtet ebenso die größte Wirtschaftsmacht. Das lässt auf der einen Seite hoffen und macht Mut, doch auf der anderen Seite sind dieser Erfolg und Frieden auch nicht von ewiger Dauer und müssen immer wieder neu austariert und neu definiert werden. Denn insbesondere wenn Menschen, für die Krieg und Tod weit weg sind, schnell von Waffengewalt sprechen und das Durchsetzen von eigenen, nationalen Interessen an vorderster Stelle stellen, dann ist äußerte Vorsicht geboten.
Seine zu Beginn düsteren Ausführungen weichen dann auch endlich einem positiveren, strahlenden Europa, das von Anziehungskraft während des Ost-West Konflikts geprägt ist und für viele Menschen seit jeher ein Ziel war. Und mit den Verträgen von Rom und Maastricht, so führt er ganz richtig aus, gaben die einzelnen Staaten Souveränität ab und es begann eine „Blütezeit“ Europas.
Doch dann folgt für Mak ein Bruch, den ich nur schwerlich mitgehen kann. Er zeichnet ein Bild von Europa, das ich in seiner Faktenlage verstehe, aber emotional nicht mitgehen kann. Zum einen sind seine Ausführungen zum Scheitern der EU hinsichtlich der Entwicklung zum „dynamischsten und wettbewerbsfähigsten wissensgestützten Wirtschaftsraum“ für mich nicht damit zu rechtfertigen, dass die Europäer weniger Stunden arbeiten wollen, früher in Rente gehen oder (zu) viel Urlaub haben (wollen).
Er vergleicht uns hier mit den Wirtschaften und Märkten von den USA, China oder auch Japan. Doch für mich ist hier allenfalls China zu nennen. Die USA sind aufgrund ihrer militärischen Stärke noch deutlich in der Welt spürbar, doch wirtschaftlich spielen sie längst nicht mehr die Rolle, wie sie das in früheren Jahrzehnten waren. Japan ebenso. Allenfalls China ist für mich ein ernstzunehmender Global Player und versucht, seine wirtschaftspolitischen Interessen mit aller Macht durchzusetzen.
Doch die USA bleiben für mich vor allem im Kopf vieler alter, westlicher Denker weiter bestehen und ihre Hilfe und Unterstützung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden indirekt noch immer gepriesen. Doch für mich muss sich die EU von dem Gedanken lösen, die USA weiterhin in vielen Bereichen als federführend anzuerkennen. Auch Mak lässt hier einen viel zu starken Fokus auf alte, westliche Gemeinschaften erkennen, die es so nicht mehr gibt bzw. die Europa nicht mehr braucht. Viel eher finde ich seine Kritik bezüglich Korruption und Vetternwirtshaft richtig. Dies gilt es zu unterbinden!
Europa muss sich auf seine eigenen „Probleme“ und „Interessen“ konzentrieren und endlich beginnen, sich von den USA zu emanzipieren. Dieser Aspekt kommt in Maks Buch nicht zum Ausdruck, ganz im Gegenteil. Deshalb begreifen die europäischen Staaten auch nicht, dass eine gemeinsame Außenpolitik unabdingbar ist. Hier stimme ich Maks Aussagen vollständig zu, dass dies deutlich stärker geschehen muss. Gegenüber Staaten mit nicht-demokratischer Ordnung gelingt das insgesamt auch gut, aber wiederum westliche Staaten, welche ebenfalls die Todesstrafe verhängen oder ohne UN-Mandat Kriege gegen Länder in Afrika oder im Nahen Osten führen, wird jegliche Kritik vermieden.
Sehr interessant sind Maks Ansichten und Ausführungen zur Entstehung des Euro bzw. welche Spannungen hinter den Kulissen auftraten und dass weder der Sitz der EZB in Frankfurt ein Zufall ist, oder die Kritiker sich durchsetzen konnten, Deutschlands bis dahin starke Rolle als Wirtschaftskraft in Europa einzuschränken.
Mak gelingt für mich dennoch insgesamt ein sehr schöner „Spagat“ zwischen historischen Persönlichkeiten wie Kohnstamm, Monnet und Brandt oder auch Gemerek, die sich um die Europäische Einheit verdient gemacht und Europa immer als ein Friedensprojekt angesehen haben, das für Menschenrechte und demokratische Werte stand. Und auf der anderen Seite skizziert er ein Europa, getrieben von Vetternwirtschaft und Korruption, falschen Ansätzen und vertanen Chancen.
Zum Schluss lässt Mak deutlich gemäßigtere Töne anklingen und blickt Europa versöhnlich entgegen. Dies mag mit Sicherheit dem Umstand geschuldet sein, dass die Eurokrise eine sehr intensive und durchaus existentielle Krise für viele europäische Länder war. Es wäre sehr interessant zu sehen, wie er nun, 10 Jahre später, Europa und den Ist-Zustand beurteilt.
Ansonsten hilft immer noch ein Blick auf die ersten Buchseiten, in denen er leicht zynisch und mit viel schwarzem Humor darstellt, was Europa auch sein kann. Und mit diesen Worten möchte ich die Rezension zu seinem Buch schließen, „It was not created to bring us to heaven, but to save us all from hell“.
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