Sonntag, 26. Juli 2020

Spannungsfeld zwischen EU-Recht und nationalem Recht: BVG und EZB / EuGH

Grob vereinfacht steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) im Spannungsfeld nationaler und supranationaler Rechtsprechung, wobei die Rechtssprechung des EuGH als unabhängiges Instrument der EU-Jurisdiktion Vorrang haben sollte. Diesen stellt das BVG auch nicht in Frage, betont aber, dass die Vertragsstaaten als Herren der Verträge ein gewisses Mandat zur Überwachung über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen hätten.

Demnach sieht sich das BVG zum Einschreiten ermächtigt und fordert von der EZB die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Regulierung der EU-Geldpolitik in Relation zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die EU-Bürger*innen, in diesem Fall die Bürger*innen der Bundesrepublik Deutschland. Nach Ansicht der Kläger und zuletzt auch des BVG wurde dies nicht hinreichend erwogen und vom EuGH nicht hinreichend überprüft. Obwohl mit dem Urteil selbst eine Unverhältnismäßigkeit bereits postuliert wird, ergibt sich für die EZB dadurch lediglich eine transparentere oder genauere Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des Programms für Staatsanleihenkäufe, welches dem EZB als vorrangiges Instrument der Preisregulierung dient.

Besonders brisant ist nach Auffassung vieler Kommentatoren auch, dass hier in die Unabhängigkeit der EU-Institutionen – vor allem der EZB – eingegriffen wird, was eigentlich als absolutes „no go“ gilt. Hierbei entstünde der Eindruck, Deutschland würde dabei aus purem Eigeninteresse in die Entscheidungsmacht der EZB und der Prüfinstanz der EuGH eingreifen wollen, was nicht nur eine EU-Rechtsverletzung zur Folge hätte, sondern den integrativen und solidaritätsstiftenden Charakter der EU, der eben durch diese Unabhängigkeit gewährleistet werden soll, überschattet.

Während die einen applaudieren, steht anderen der Angstschweiß im Gesicht. Doch hat das Urteil denn wirklich so viel Sprengkraft? Die Aufforderung zur Prüfung der Staatsanleihenkäufe wird von Merkel als „heikel aber heilbar“ bezeichnet (siehe Finke et al.). Heilbar – sozusagen also eine Verletzung, ein Kränkeln der europäischen Rechtsgemeinschaft, das besonders deshalb so besorgniserregend erscheint, weil es eine ansteckende Wirkung haben könnte. Gerade Mitgliedsstaaten wie Ungarn oder Polen, deren Regierungen sowieso dazu tendieren, europäische Statuten zu ignorieren, sehen sich bereits im Urteilsspruch der BVG bestätigt und könnten ihrerseits die vertragsüberwachende und übergeordnete Stellung des EuGH abermals in Frage stellen.

Zudem geht aus den Beiträgen hervor, dass das BVG in seiner Urteilsfindung nicht gerade eine breite Spanne an Wirtschaftsexperten zu Rate gezogen hat. Allenfalls konservative Ökonomen und Versicherungen seien hier weisend gewesen – dabei hätten Erstere nicht erkannt, welche gravierende Veränderung die Geldmärkte durchlaufen hätten und Letztere aus Eigeninteresse und nicht aus Interesse an der Allgemeinheit geklagt.

Laut Gammelin hat das die Schwächung der EU zur Folge. Obwohl das BVG beteuerte, dass ihr Urteil nicht die Maßnahmen zur Corona-Krisenbewältigung betreffe, sondern konkret auf den PSPP gerichtet sei, betont Gammelin, dass die Schlagkraft des Votums daraus hervorginge, dass die EU just in diesem Moment Einheit in der Krisenbewältigung praktizieren müsse. Auch Voßkuhle hatte sich, dieser Brisanz bewusst, konkret abmildernd dazu geäußert und somit zumindest die Märkte beruhigt.

Schmieding weist zudem den Vorwurf der mangelnden Transparenz seitens der EZB zurück und verweist auf die regelmäßigen Pressekonferenzen, auf denen die Entscheidungen begründet werden und die Rechenschaftsplicht gegenüber dem EuGH. Außerdem stünde Deutschland mit seiner schwarzen Null gut da, und sowohl Niedrigzins als auch die niedrigen Renditen seien eben nicht nur auf die EZB-Maßnahmen zurückzuführen, sondern das Resultat komplexerer Zusammenhänge. Daher wäre der Nachweis einer Verhältnismäßigkeit für deutsche Bedingungen ohnehin nicht Aufgabe der EZB oder EuGH und schlichtweg auch nicht sinnvoll.

Dieser kritischen Lesart steht der Beitrag von Bednarz entgegen. Die Juristin sieht in dem Urteil eher eine festigende Wirkung auf die Gemeinschaft, da es zurecht mögliche Kompetenzüberschreitungen rügt, dadurch aber auch eine sehr konkrete Kompetenzverteilung anmahnt, die dann rechter Stimmungsmache entgegenwirken würde. Das Argument der negativen Beispielrolle für Ungarn oder Polen sei zwar nachvollziehbar, mache aber das Votum an sich weder unzulässig noch unergründbar. Zudem sei die Tendenz des EuGH, die Kompetenzen der EU-Institutionen gerne mal auch über die vertraglich vereinbarten Befugnisse hinweg zu erweitern, nicht ganz von der Hand zu weisen.

Nicht von der Hand zu weisen ist letzten Endes vor allem das Spannungsverhältnis zwischen EU-Recht und nationalem Recht, der EU-Geldpolitik und den wirtschaftlichen Auswirkungen auf nationaler Ebene. Im positiven Tenor von Bednarz lässt sich nur hoffen, dass die EU nun gestärkt aus diesem Konflikt hervorgegangen ist. 

Literatur

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