Freitag, 17. Juli 2020

Umstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm der EZB

In den letzten Wochen und Monaten wurde viel über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des Anleihekaufprogramms der EZB berichtet. Doch was ist eigentlich genau passiert? Und können die Folgen wirklich so verheerend sein wie manche befürchten?

Die Europäische Zentralbank hat die Möglichkeit, Staatsanleihen ihrer Mitgliedsstaaten anzukaufen. Mit Steuergeld und neugedrucktem Geld kaufte die EZB Staatsanleihen ihrer Mitgliedstaaten im Wert von 2 Billionen Euro. Durch die verkauften Staatsanleihen haben die Verkäufer-Staaten neue finanziellen Mittel zur Verfügung. Salopp ausgedrückt sind Staatsanleihen Aufrufe der Staaten zur Finanzierung.

Die Käufer der Staatsanleihen sind dabei Kreditgeber und bekommen dafür Zinsen als Risikoprämien. Kauft die EZB Anleihen, dann muss sie dies begründen. Und genau deshalb macht sich das BVG Sorgen. Nach ihm sind die Anleihekaufprogramme zu wenig begründet, da diese sehr weitreichende ökonomische Folgen haben. Folgt man dem BVG, sind mögliche Folgen niedrige Zinsen, was das Sparguthaben der Menschen zunichtemacht, Zombieunternehmen, die überleben können wegen billiger Kredite, sowie Banken, die übermäßig profitieren.

Obwohl der EuGH beim Anleihekaufprogramm der EZB keine Bedenken hatte, hält das BVG das Programm für zu wenig begründet. Doch weshalb darf darüber überhaupt das BVG entscheiden? Verfassungsrechtlich geht die Klage des BVG gar nicht direkt gegen die EZB, sondern gegen die Bundesregierung und die Bundesbank. Diese haben die Aufgabe, die Geschäfte der EZB zu kontrollieren, und nach Meinung des BVG haben sie das zu wenig getan. Liefert die EZB keine Begründungen nach, wäre die formale Folge, dass Bundesbank nicht mehr am Anleihekaufprogramm der EZB teilnehmen darf.

Wenn die EZB ihr Vorgehen ausführlicher begründet, ist eine Folge, dass die EZB transparenter wird – aber auch zwangsläufig politischer. Es muss klargestellt werden, dass eine Politisierung der EZB nicht gewünscht ist, da diese nach Vorbild der alten Bundesbank unabhängig und unpolitisch sein soll. Politischer Einfluss und juristische Kontrolle sollen möglichst keinen Einfluss auf die EZB haben. Die EZB ist dafür zuständig, die Stabilität des Euros zu gewährleisten, und nicht dafür da, eine Fiskalpolitik zu machen – und dies kann nicht immer trennscharf unterschieden werden.

Doch auch unter Ökonomen ist die Entscheidung höchst umstritten. Zum einen weisen sie darauf hin, dass das Anleihekaufprogramm ausführlich beschrieben und Rechenschaft über das Handeln abgelegt wurde. Zum anderen bringen viele Ökonomen hervor, dass es nicht bewiesen sei, dass Zombieunternehmen deswegen überleben. Allgemein sind sie der Überzeugung, dass das Urteil nicht praxisnah sei und werfen dem BVG vor, fundamentale Zusammenhänge nicht verstanden zu haben.

 Das Problem, das aus dem Urteil entsteht, ist jedoch allgemeiner. Nach einem demokratischen Prinzip wird die deutsche Staatlichkeit aus Wahlen abgeleitet. Es ist über diesen Weg vorgesehen, dass die deutschen Bürger*innen ein Recht bei der europäischen Integration besitzen. Stellvertretend geben Bundestag und Bundesrat der EU begrenzte Vollmachten über manche Gebiete.

Geht eine Vollmacht der EU darüber hinaus, dann muss der EuGH feststellen, ob das möglich ist. Diese Entscheidung können die nationalen Gerichtshöfe jedoch überprüfen. Und genau dies lag im konkreten Fall vor: während der EuGH keine Bedenken bei den Anleihekaufprogrammen hatte, fordert das BVG ausführlichere Begründungen.

Dies wirft das Problem der unklaren Kompetenzenverteilung zwischen EuGH und BVG wieder auf. Laut EuGH hat Europarecht Vorrang und bricht nationales Recht. Dagegen meint das BVG, Europarecht geht nicht vor bei Demokratievorbehalt mit ultra-vires-Entscheidung. Mit einer ultra-vires-Entscheidung ist eine Entscheidung gemeint, die außerhalb der Kompetenzen der Stelle liegen, die diese Entscheidung trifft.

Die Sorge, die aus der Entscheidung des BVG erwächst, ist weniger auf das konkrete Urteil bemessen, sondern mehr, dass damit eine Signalwirkung gesetzt wurde. Zwar ist das BVG nicht der erste nationale Gerichtshof, der ein Urteil des EuGH angefochten hat, doch darf die Wirkung des Paukenschlags nicht unterschätzt werden. Denn das formale Problem ist, dass der Vorrang des Europarechts entwickelt wurde, aber nie in die Verträge übernommen wurde und auch nicht in den nationalen Verfassungen festgeschrieben ist. Werden in Zukunft andere nationale Gerichtshöfe dem EuGH widersprechen, können sie auf das BVG verweisen, was ebenfalls widersprochen hat. Gerade Staaten, die rechtstaatliche Strukturen aufweichen, wie beispielsweise Ungarn und Polen, könnte das eine Chance bieten.

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