Sonntag, 19. Juli 2020

Ein Urteil, zwei Watschen: Bundesverfassungsgericht, EZB und EuGH

Die Vorwürfe und das Urteil

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält ein Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) für verfassungswidrig, anders gesagt, es verstoße teilweise gegen das deutsche Grundgesetz.

Dieses Urteil ist aus vielerlei Perspektiven nur schwer zu nachzuvollziehen, da die EZB gerade durch ihre Anleihekäufe, sprich Schuldverschreibungen einzelner Länder, in den letzten Jahren die Wirtschaft aufrechterhalten hat. Der Zentralbank wird unter anderem vorgeworfen, die Folgen ihres Anleiheprogrammes nicht gründlich bedacht zu haben sowie keine Einschätzung gegeben zu haben, welche wirtschaftspolitischen Konsequenzen auf die niedrigen Zinsen für viele Beteiligte wie Sparer, Unternehmer oder Immobilienbesitzer daraus folgen könnten.

Außerdem sehen die Kläger in dem Programm eine Überschreitung des EZB-Mandats. Es heißt, die EZB betreibe Wirtschafts- statt Währungspolitik. Mit dem Urteil richtet sich das Bundesverfassungsgericht auch gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH), welcher anscheinend nicht erkennt, dass die EZB ihr eigentliches Mandat missachte. Aus Karlsruhe wird eine Begründung von der EZB verlangt, welche die Richter überprüfen wollen, um festzustellen, ob die EZB wirklich so viel Geld benötige, um die Ziele zu erreichen. Außerdem heißt es, dass die Bundesbank sich nur unter bestimmten Auflagen am aktuellen Programm beteiligen dürfe.

Konkret bedeutet das, die Bundesbank hat insgesamt drei Monate Zeit, um gemeinsam mit der EZB zu kontrollieren, ob die Aufkäufe der Staatsanleihen verhältnismäßig sind. Die Richter haben die Aufgabe, die Verfassungsbeschwerden zu überprüfen. Doch welche Argumente sprechen nun für und welche gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?


Pro-Argumente

Stärkere Kontrolle: Mit dem Urteil wird eine stärkere Kontrolle der EZB durch die nationale deutsche Politik gefordert. Eine besondere Beobachtung gilt den möglichen Folgen der Anleihekäufe, welche offiziell und schriftlich festgehalten werden sollen, denn seit 2015 hat die EZB bereits mehr als zwei Billionen Euro in Staatsanleihen investiert. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stimmen die Entscheidungen des EZB-Rates nicht mit den Vorgaben des Europarechts überein. Das Bundesverfassungsgericht zweifelt nicht die Anleihekäufe an sich an, sondern vielmehr, dass die Konsequenzen nicht auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft wurden, denn die Folgen dieser Anleihekäufe könnten theoretisch alle EU-Bürger betreffen. Aus diesem Grund, wird gefordert, dass die Beteiligung der Bundesbank am Programm mit einer Frist von drei Monaten untersagt wird.

EZB soll sich mehr auf die wirtschaftlichen Folgen konzentrieren: Die EZB soll sich nicht ausschließlich auf das Inflationsziel von 2 Prozent fokussieren, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten.

EuGH vernachlässigt seine Aufgabe: Auch richtet sich dieses Urteil sekundär gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der in solchen europarechtlichen Zusammenhängen im Grunde das letzte Wort hat. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hätten die Richter aus Luxemburg nicht erkannt, dass die EZB ihr Mandat überschreitet. Der EuGH komme demnach seinen Aufgaben und Pflichten als Kontrolleur nicht nach und erzwinge im Grunde diese Intervention des höchsten deutschen Gerichts um die Grundrechte zu schützen. Für die Bürger und Steuerzahler bedeutet dieses Urteil, dass unter anderem durch eine richtige und gut durchdachte Währungspolitik, Arbeitsplätze gerettet oder eine Inflation bzw. Deflation verhindert werden können.

Es lässt sich festhalten, dass durch das Urteil aus Karlsruhe, der EZB ein eingeschränkter Handlungsraum mit einem rechtlichen Rahmen vorgegeben wird. Die EZB solle sich stärker an die Verträge und an das übertragene Mandat halten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anleihekäufe also nicht grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt, sondern verlangt nur eine aufschlussreiche Begründung bezüglich der Verhältnismäßigkeit in einem Zeitraum von drei Monaten. 

Contra-Argumente

Eingeschränkte Handlungsfähigkeit der EZB: Die Handlungsfähigkeit der EZB wird eingeschränkt, das betrifft nicht in erster Linie die aktuellen Anleihekäufe der Bundesbank, welche weiterlaufen können, sondern mehr die Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Es dürfen unter anderem nur ein Drittel der bei der EZB bewahrten Anleihen von einem Staat stammen. Jedoch benötigen viele Staaten angesichts der Krisen umfangreiche finanzielle Unterstützung. Aus diesem Grund ist diese Auflage umso schwerer zu erfüllen.

Vorbildrolle: Das Bundesverfassungsgericht schadet seiner Vorbildrolle gegenüber anderen nationalen Gerichten in Europa. Durch seinen Zweifel an der Rechtsprechung aus Luxemburg wird die gesamte europäische Rechtsprechung geschwächt, besonders da Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn richterliche Entscheidungen sowieso nicht beachten.

EZB als Retter in der Not: Die EZB gilt schon lange als einer der wichtigsten Helfer in Krisenzeiten. Besonders im Hinblick auf den Kampf vieler EU-Staaten in der Finanz- und Schuldenkrise. So wurden durch die Anleihekäufen der EZB in den vergangenen Jahren unter anderem die Zinsen niedrig und damit die Wirtschaft stabil gehalten.

Corona-Hilfen: Durch ihr Kaufprogramm kämpft die EZB auch gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona.

Das Urteil kommt nationalkonservativen Regierungen gelegen: Der EuGH hat einen zentralen Teil der nationalkonservativen Justizreform Polens verworfen. Durch das Urteil aus Karlsruhe werden die Kompetenzen des EuGHs jedoch infrage gestellt. Es wird seitens Polens und Ungarns nicht mehr hingenommen, dass Europa sehr weit in ihre nationalen Rechtsordnungen eindringt. Und gerade weil durch das Urteil auch Kritik aus Deutschland gegenüber dem EuGH ausgeübt wird, fühlen sich diese Länder in ihrer Sache bestärkt.

DE könnte ein Vertragsverletzungsverfahren drohen: Den EU-Verträgen zufolge kann die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Länder anstoßen. Das EU-Land, welches angeblich gegen EU-Recht verstößt, wird darum gebeten, erläuternde weitere Informationen abzugeben. Verhärtet sich der Verdacht, so muss die jeweilige Regierung dafür sorgen, den Verstoß zu stoppen. Durch den EuGH können in bestimmten Fällen sogar Geldstrafen anstehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Contra-Argumente bezüglich des Urteils doch überwiegen. Das Urteil enthält einige Schwachpunkte: Das Bundesverfassungsgericht kann im Grunde nur auf Aktivitäten deutscher Akteure Einfluss nehmen, aber theoretisch nicht auf das Handeln einer unabhängigen europäischen Institution. Andererseits wird durch das Urteil zumindest der EuGH auf seine Aufgaben hingewiesen und eine ausführliche Verhältnismäßigkeits-überprüfung verlangt. Jedoch besteht die Gefahr, dass nationale Gerichte anderer EU-Länder ähnliche Urteile verkünden und eine Kettenreaktion ausgelöst wird. Auch die Bundesbank wird in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt.

1 Kommentar:

  1. Liebe Melisa,

    in deinem Beitrag wird zunächst einmal deutlich, worum es in dem Urteil des BVG geht. Bevor du auf die einzelnen Pro-Argumente und Contra-Argumente eingegangen bist, hast du den Sachverhalt wiedergegeben und ebenfalls erklärt, welche Konsequenzen aus dem Urteil des BVG folgen. Nach der Darstellung der Folgen hast du zunächst einmal die Pro-Argumente und dann die Contra-Argumente dargestellt. Im Fazit hast du eine Abwägung vorgenommen und festgestellt, dass es mehr Contra-Argumente in Hinblick auf das Urteil des BVG gibt. Zusammenfassend hast du ebenfalls auf das Risiko einer Kettenreaktion verwiesen.

    Viele Grüße

    Gurmeet

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