Autor: Felix Mütsch
„Die Tür ist zu. Mit einem lauten Knall, doch ziemlich überraschend zugeschlagen. Auf beiden Seiten sitzen und stehen Menschen mit ratlosen Gesichtern und rasenden Herzen. Die einen haben die Tür aus Angst zugeschlagen, aber jetzt ist die Angst nicht weg, sie ist nur überraschenderweise allgemein. Auf beiden Seiten der Tür sucht man Halt. Einige Naive fragen schlicht, ob man noch mal von vorne anfangen könnte. Und wie so häufig nach der Scheidung eines Ehepaars in mittleren Jahren fragen sich alle, ob das wirklich sein musste.“Mit diesen Worten beginnt Roland Koch, der ehemalige Ministerpräsident von Hessen und CDU-Politiker seinen Beitrag in der FAZ und kreiert damit eine Metapher zu der derzeitigen Lage in Europa. Er thematisiert damit primär den Brexit und nimmt diesen als Beispiel dafür, was in Europa vermehrt zu beobachten ist.
So lobt er zuerst einmal die Entstehung der EU und sagt aus, dass die Vorstellung eines Lebens ohne die EU für viele nicht mehr umsetzbar sei. Jedoch kritisiert Koch, dass sich das Bild von Europa gewandelt hat und sich die Politik nur noch hinter der Bürokratie verschanzt und so die emotionale Ebene von Europa in den Hintergrund gerät, was zur Folge hat, dass die Gesellschaft und die Politik sich immer weiter voneinander entfernen.
Als Gründe für diese aktuelle Lage nennt Koch die Annahme, durch die Beseitigung von nationalen Grenzen hätten Grenzen ihren Sinn verloren. Er folgert daraus, dass wenn man die nationalen Grenzen beseitigt, dass man dann die Außengrenzen von Europa festigen muss, da sonst die einzelnen Länder nicht mehr gewillt wären, ihre nationalen Grenzen aufzugeben.
Nach dieser Kritik an der derzeitigen Situation gliedert er seinen Beitrag in einzelne Lehren, die für den Bestand von Europa gedacht sind.
In seiner ersten Lehre sagt Koch, dass eine Bedingung für eine europäische Gemeinschaft die Sicherheit sei und diese nur gewährleistet werden kann, wenn die Grenzen nach außen ausreichend geschützt werden. Als Lösungsansatz spricht Koch eine Frontex-Grenzschutzgruppe an, welche aus 10.000 Polizisten und Soldaten unter europäischem Kommando bestehen soll. Er geht davon aus, dass dieser Vorschlag auf eine große Zustimmung stoßen würde. Des Weiteren wäre eine solche Grenze in seinen Augen auch ein „Gestaltungsmittel“, um zu bestimmen, wer dazugehört und was die Anforderungen an die jeweiligen Bürger sind.
Auch Rituale und Traditionen sind für Koch in einer Gesellschaft wichtig, da diese für Vertrauen und Verbindlichkeit sorgen.
„In Europa sind christlich-jüdische Werte, die daraus entstandenen Traditionen und Rituale die Statik des gemeinsamen Hauses.“Koch sagt damit aus, dass diese Werte von jedem respektiert werden müssen, so muss man aber auch alle anderen respektieren. Verliert die Bevölkerung jedoch das Gefühl der Kontrolle über das Verhältnis von „Identität & Fremdheit“, wie Koch es nennt, dann folgt daraus, dass die Regierung, wie schon in Polen oder Frankreich, ihre Mehrheit verliert.
In seiner zweiten Lehre betont Koch die Weltoffenheit von Europa, sagt aber im gleichen Atemzug, dass man jedoch die einzelnen Länder nicht grundlegend verändern darf, da dies sonst zur Abschottung und zu Nationalismus führt. Er schließt daraus, dass die Bedingung eines emotionalen, kulturellen und religiösen Gemeinsamkeit als Fundament gegeben sein muss, und begründet so auch seinen Standpunkt zu den Türkei-Beitrittsverhandlungen. Er sagt, dass hier dieses Fundament eben nicht gegeben sei.
In der dritten Lehre geht er weiter auf dieses Problem ein und sagt auf der einen Seite, dass die Beitrittsverhandlungen die EU zerstören könnten, jedoch die Türkei ein wichtiger Partner für die EU werden muss. Als konkrete Lösung dafür bezieht er sich nochmal auf den Brexit und sagt, dass dieser neue Perspektiven eröffnet, da beide Seiten keine starre WTO-Grenze haben wollen und somit eine Lösung anhand der Freihandelszone EFTA gesucht wird, welche auch für die Zusammenarbeit mit der Türkei eine Möglichkeit wäre.
Koch stellt klar, dass diese Lehren essentiell für die EU sind und man sich erst, nachdem diese Probleme geklärt sind, wieder mit den inneren Herausforderungen beschäftigen kann. Die wirtschaftlichen Fragen treiben laut Koch die Politik weiter. Er geht davon aus, dass Frieden und Einfluss zwar wichtig sind, es jedoch keine Akzeptanz von transnationalen Entscheidungen geben wird ohne eine Wohlstandsvision.
Diese ist daher wichtig, da es durch die Globalisierung immer wieder zu Wohlstandsverschiebungen kommt und sich andere Länder in ihrer Entwicklung nicht aufhalten lassen. Daher muss Europa auch bei diesem Punkt eine Lösung finden, da das Versprechen, die „wettbewerbsfähigste Region der Welt“ zu sein, nicht ganz aufgegangen ist.
Als Lösungsansatz nennt Koch mehrere Punkte, wie den Zusammenhalt bei Kranken- und Rentenversicherungen, die Anerkennung von akademischen Abschlüssen, die europaweite Vergabe von Funkfrequenzen und dass Nordamerika und Europa ein gemeinsamer Markt werden muss. Zudem spricht er die grenzüberschreitenden Investitionen in die Infrastruktur an.
In der vierten Lehre sagt Koch, dass der Gedanke der Gemeinschaft zerstört wird, solange es keine schnelle Wachstumsinitiative gibt. Doch selbst im Falle des Erfolgs existiert immer noch das Problem des Euro. Er bezieht sich auf Kohl, der sagte, dass der Euro der entscheidende Faktor ist, der die Vision eines gemeinsamen friedlichen und wohlhabenden Europas unumkehrbar macht. Sagt jedoch, dass dieses Ziel nur durch Kompromisse erreichbar ist.
Vor allem Deutschland muss viele Kompromisse eingehen und mit Geld sowie Geduld bezahlen, um die Vorteile weiterhin genießen zu dürfen. Jedoch darf sich Deutschland nicht für dumm verkaufen lassen und die beteiligten Staaten müssen eine Balance finden zwischen Solidarität und der zukunftssicherndern Disziplin. Koch sieht die verschuldete Politik als Verbrechen gegenüber den zukünftigen Generationen.
In seiner vorletzten Lehre geht Koch nochmal auf die Währungsunion ein und sagt, dass diese zerfällt, wenn es keine strukturellen Reformen von der Zentralbank ausgehend gibt. Er betont, dass für diese jedes Land selbst verantwortlich ist. Auch hier wird es wieder zu Streitigkeiten kommen, jedoch müsse man diese durchstehen. Des Weiteren muss man die Vereinheitlichungsvorschriften ablegen und darf keine detailgenauen Regelungen festlegen und diese an die ökonomische Realität anpassen. Zudem darf man nicht alles auf Brüssel schieben.
In der sechsten und letzten Lehre spricht Koch darüber, dass durch das Absehen von den Regulierungen mehr Gestaltungsfreiheit gewährt wird und die nationalen Parlamente gestärkt werden können, was dafür sorgt, dass der EU wieder mehr Autorität und Ansehen zugesprochen werden.
Im Weiteren Beitrag betont Koch weiter die Wichtigkeit seiner Lehren und stellt klar, dass damit nicht jedes Problem gelöst werden kann.
Nach einer kleinen Zukunftsvision spricht Koch davon, dass man für diese Freiheit, Werte und Pluralität kämpfen muss und viel Zeit investieren. Er stellt zum Schluss ganz klar fest, dass in seinen Augen dem heutigen Europa der Geist fehlt und es daran ist, diesen wieder zu finden und Streit dafür ein unausweichliches Mittel darstellt.
Roland Koch positioniert sich in seinem Beitrag klar. Er fordert, dass man für ein gemeinsames und starkes Europa kämpfen und streiten muss. Und er erkennt viele Probleme, welche derzeit die Bürger in Europa beschäftigen. Mit seinen einleitenden Worten macht er die Situation deutlich.
Man merkt stark, dass er für ein gemeinsames Europa ist. Er spricht im Zusammenhang damit auch kritische Themen an, wie die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie das Problem mit den Grenzen, und schreckt dabei nicht davor zurück, sich klar zu positionieren und seine Meinung zu sagen, was in der heutigen Zeit eine rare Beobachtung ist.
Er positioniert sich bei seinen Aussagen politisch gesehen relativ in der Mitte, so fordert er zum Beispiel einen verstärkten Grenzschutz, welcher in seinen Augen unvermeidlich ist, wenn man die Binnengrenzen auflösen möchte, und spricht von der Erhaltung von Werten und Ritualen der einzelnen Länder, um die Zustimmung der Bürger zu gewährleisten, spricht auf der anderen Hand jedoch auch von der Pluralität und Weltoffenheit Europas, welche ein wichtiges Gut darstellt, welches die Bürger in Europa genießen dürfen. Außerdem stellt er fest, dass auch einzelne Länder, wie Deutschland einstecken können müssen, um diese europäische Gemeinschaft zu erhalten und ihr zu neuem Glanz zu verhelfen, sich jedoch nicht zum Narren halten zu lassen.
Erwähnenswert sind auch Roland Kochs Alternativvorschläge. Er kritisiert nicht nur ein Thema oder positioniert sich auf einer Seite, sondern bringt auch teilweise konkrete Vorschläge, wie dieses Problem auf einem alternativen Weg zu lösen ist, oder durch Kompromisse bewerkstelligt werden kann.
Jedoch sind Kochs Überlegungen sehr optimistisch, was auf jeden fall lobenswert ist, jedoch könnte man seine anthropologische Sichtweise infrage stellen. Ob diese Lehren Anklang finden werden, ist noch nicht beantwortet, und selbst wenn diese eine hohe Zustimmung bekommen werden, so wird viel Zeit benötigt werden, um diese umzusetzen.
Auf jeden Fall bietet Koch mit seinem Beitrag eine gute Grundlage und bringt gute Ansätze, auf welchen man aufbauen kann und sollte, um den „Geist“ von einem gemeinsamen Europa wiederzufinden. Europa ist zerrüttet und ein Leben ohne dieses Europa, wie es die junge Generation nur kennt, ist nicht mehr vorstellbar. Und Koch erkennt den Sachverhalt richtig, es wird zu Streitigkeiten kommen, und da muss man einfach darüberstehen.
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